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Tote
schlafen fest
Blondinen
in Flaschen bevorzugt
I.
Inhalt
II.
Bogart & Marlowe: Die Geburt des Prä-Bond
III.
Slim, oder wie klein-Betty zur lasziven Lauren mutierte
IV.
Der große Schlaf eines großen Träumers
V. Marlowe´s Traum
VI. Ein paradoxes Fazit!
VII.
Randnotizen/-bemerkungen
VIII.
Cast & Credits
I. Inhalt:
---------
Der
schwerkranke General Sternwood hat´s wahrlich nicht leicht. Nicht nur,
daß er dem Tode schon näher ist als dem Leben und wie eine neugeborene
Spinne die Hitze seines Gewächshauses braucht, hat er auch nichts als Scherereien
mit seinen beiden verwöhnten Töchtern. Seine jüngere Tochter
Carmen z.B., zwischen Daumenlutsch- und Nymphomanin-Dasein hin und her schwankend,
wird mal wieder erpresst. Daher engagiert er Privatdetektiv Philip Marlowe,
um endgültig nicht mehr mit solchen Unannehmlichkeiten belästigt zu
werden. Aber Marlowe merkt auch, daß dem General noch etwas anderes am
Herzen liegt: Shawn Regan, einer seiner Angestellten, in dem er fast so etwas
wie ein Sohn sah, ist vor Wochen spurlos, ohne sich zu verabschieden, verschwunden.
Dies hat ihn tief gekränkt.
Die
Anwesenheit eines “Schnüfflers” hat sich im Haus - auch dank eines sehr
redseligen Dieners - schnell herumgesprochen. Der Argwohn von Sternwood´s
älterer Tochter Vivian wurde geweckt und zudem läßt Marlowe
sie über den Inhalt seines Auftrages im Unklaren. Könnte sie der Grund
für seine Recherchen sein, denn auch sie ist einem Erpresser in die Hände
gefallen. Nur geht es in Vivians Fall nicht um die Begleichung von dubiosen
Spielschulden, sondern um das Schweigegeld eines Mitwissers, Eddie Mars. Sollte
Marlowe diese Spur entdecken, wäre ihre Schwester Carmen in sehr großen
Schwierigkeiten, denn sie hat für das plötzliche Ableben Shawn Regans
gesorgt. Von daher tut Vivian alles erdenkliche, um den Privatdetektiv auf falsche
Fährten zu führen, oder die Illusion zu erzeugen (auch für den
Zuschauer), Shawn Regan würde noch leben. Ihre zutiefst unseriöse
Verbindung zu Eddie Mars muß unerkannt bleiben...
II.
Bogart & Marlowe: Die Geburt des “Prä-Bond”:
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Humphrey
Bogart hat stets von sich behauptet:
“Ich
bin nicht attraktiv, habe aber Charakter im Gesicht, was mich Gallonen von Whiskey
gekostet hat.”
(In
irgendeiner Bogart-Biographie mal gelesen, das hat sich eingeprägt)
Was
eigentlich der Besetzung Bogarts als Philip Marlowe eher hinderlich im Wege
stand, bedenkt man doch, daß Chandler seinen Romanheld so beschrieb:
"Er
hat dunkelbraunes Haar, braune Augen, und mit der Beschreibung 'ganz passables
Aussehen' wäre er nicht im mindesten zufrieden." (Quelle: Internationales Lexikon des Films)
Chandler´s
Wunschdarsteller war Cary Grant!!!. (Dennoch begeisterte ihn Bogey´s glänzende
Performance, wen nicht! Wer jetzt die Hand hebt, dem möchte ich nur “MÜLLER´S
BÜRO” in Erinnerung rufen...)
Nein,
der Howard-Hawks-erprobte Cary Grant wäre dem Typus des Individualisten
Marlowe, der für 25 Dollar pro Tag + Spesen Aufträge sinistrer Klienten
annimmt und durch einen Schmelztiegel von Erpressung, Dreck, Korruption und
sonstigen dunklen Machenschaften watet, nicht gewachsen. Er hätte in seiner
oft und gern gesehenen Art wie ein “Milchgesicht-Fremdkörper” in Chandlers
kaputter Welt gewirkt. Ein Dandy auf Urlaub oder ein reicher Dekadenzler, der
mal eben ein Paar Aufträge übernimmt, man hätte es ihm einfach
nicht abgenommen. (“Der dünne Mann” hätte da schon eher gepasst)
Nein,
diese Figur erforderte eine andere Art von Charakter:
Einen
Mann mit Charakter im Gesicht!
Er
kennt die Schattenseiten der Welt - die Gosse - und wäscht die schmutzige
Wäsche, die seine - zumeist - reichen Klienten ungern selbst reinigen.
Mit allen Wassern gewaschen, setzt er sich notfalls brachial zur Wehr oder spricht
- wenn es der Fall verlangt - auch ohne Slang. Stets Herr der Lage, selbst wenn
ihn jemand kurzzeitig mit ein Paar “Freunden” - oft gehörte Bezeichnung
für “Wummen” oder es sind wirklich Freunde, die draußen warten -
droht, aber eines bleibt er dabei immer:
COOL!
(Auch,
wenn ihm gefesselt der Rauch seiner Zigarette in den Augen brennt, das ist er
gewohnt)
In
dieser Hinsicht ist Bogart die Idealbesetzung.
Aber
um ehrlich zu sein - ich habe zwar nie einen Chandler-Roman gelesen, dafür
andere Leinwandadaptionen gesehen -, eines fällt merklich auf:
Bogarts
Marlowe hat mehr mit Bogart zu tun, als umgekehrt. Humphrey spielt sein in den
Jahren immer mehr perfektioniertes und kultiviertes Spiel grandios. Seine üblichen
Verhaltensweisen wie Zähnefletschen, beidhändiges Greifen seines Gürtels
finden ebenso Verwendung wie ein in diesem Film zum Einsatz kommendes, ständiges
Ohrläppchen-Greifen (beim 15. Mal habe ich entnervt aufgehört mitzuzählen).
Zudem
werden - wahrscheinlich aufgrund des Produktionsjahres von THE BIG SLEEP (1946)
- Chandler´s amoralische Anspielungen (wie z.B. der Verkauf von pornographischen
Heften & Drogenkonsum) bewußt (?) umgangen, nebulös gehalten
oder bleiben unerwähnt.
(Allein
den Einfall, pornographische Hefte - also in dieser Zeit nicht leicht zu bekommende
Magazine - im Hinterzimmer eines Buchladens für seltene Bücher zu
verkaufen, halte ich für eine doppeltpointiert-gelungene Anspielung auf
die im Chandler-Universum herrschende Doppelmoral)
Ferner
weicht der Film offenkundig vom Original ab (wer die werkgetreuere Verfilmung
TOTE SCHLAFEN BESSER mit Robert Mitchum gesehen hat, weiß wahrscheinlich,
was ich meine) und geht seine ganz eigenen, oft im Script geänderten und
vollkommen auf den Protagonisten und sein Image zugeschnittenen Wege.
Und
so - wohl Howard Hawks Absicht - mutiert Bogart´s Marlowe zuweilen zu
einem investigativen “Prä-Bond”, einem Womanizer, der “Blondinen in Flaschen
sammelt”.
Seine
sichtbare Wirkung auf das weibliche Geschlecht wird noch durch 4 “schmachtende”
Frauen (Bibliothekarin, Taxifahrerin - mit einem Faible für “Verfolgungsjagden”,
Garderobenfrau und Zigarettenmädchen), die im Roman überhaupt nicht
vorkommen, bewußt verstärkt.
Oder
in einer anderen Situation, die der Feder einer Dorothy Parker entsprungen sein
könnte und ich sie von daher die “Des Mannes Wille ist nicht eine Frau
mit Brille”-Szene nenne:
Dorothy
Malone schließt als aüßerst intelligente, anfangs noch bebrillte,
junge Frau und Ladenbesitzerin ihr Geschäft und nimmt Marlowe zuliebe ihre
Brille ab, um dann “ganz Frau” ihr Haar zu öffnen, was Bogart dann mit
einem begeisterten “HALLO!” quittiert. Seine positive Reaktion wurde von ihr
sehnsüchtig-devot erwartet. Endgültig aufs Äußerliche reduziert,
kann man sie nun “in Flaschen sammeln”. Was dann im Laden passiert, bleibt der
Phantasie überlassen...
Diese
Szene wurde um die eben erwähnt-betont weiblichen Reize ins Spiel bringenden
Aspekte erweitert. Das “Motiv” dafür war für Hawks schnell gefunden:
“Das
haben wir nur gemacht, weil das Mädchen so verdammt gut aussah.”
Ich
kann verstehen, wenn dies bei der einen oder dem anderen Chauvi-Alarm auslöst.
Aber Macho (!?) Hawks hatte ohnehin ein Faible für einen ganz bestimmten
Typus von Frau (allein darüber könnte man einen Bericht schreiben),
den er Bogart bereits zuvor in “HABEN UND NICHTHABEN” zur Seite gestellt hatte
und ihn mit “THE BIG SLEEP” weitersponn und perfektionierte. Natürlich
kam die durch sämtliche Gazetten geisternde Liebesaffäre zwischen
Bacall & Bogart dem Erfolg des Films zugute und das Drehbuch machte auch
in dieser Hinsicht einige spür- und sichtbare Zugeständnisse. Das
Traumpaar ging in die 2. Runde...
III.
Slim, oder wie klein-Betty zur lasziven Lauren mutierte:
---------
Howard
Hawks und Humphrey Bogart waren fast gleich alt (3 Jahre Unterschied) und hatten
noch eine andere Gemeinsamkeit: Sie waren beide auf denselben Typ “reingefallen”,
der dann auch noch knapp 25 Jahre jünger war als sie selbst und allen Widrigkeiten
zum Trotz (Hawks und Bogart bereits verheiratet) geheiratet wurde: Slim!
(Zur
näheren Erläuterung des Namens “Slim”: Howard Hawks war ein Bekannter
von Hemingway und spielte mit seiner Frau Nancy oft ein Spiel, wo er den Part
“Steve” und sie den von “Slim” übernahm. Diese Figuren kommen in Hemingway´s
Buch “Über den Fluß und in die Wälder” vor und benahmen sich
in etwa so wie Bogart & Bacall in der Hemingway-Adaption “HABEN UND NICHTHABEN”
- dort nennt sie Bogey in der bekannten “Du kannst doch pfeifen”-Szene im Original
auch “Steve” - und eben Chandler´s “THE BIG SLEEP”)
Das
“Original” Nancy Gross hatte Hawks in einem Spielclub(!) kennengelernt und er
war auf der Stelle fasziniert von ihrem “Typ”: attraktiv, großgewachsen,
selbstbewußt, provokant, intelligent, spöttisch-kokett und dies kombiniert
mit einem distinguierten Auftreten.
Ein
Satz von ihr mag die Wirkung auf Howard Hawks verdeutlichen:
“Ich
lege Wert darauf, intelligent zu sein, einen unverwüstlichen Humor und
ein gesundes Interesse an Männern zu haben.” (Eigenschaften, die häufig
von Frauen in Hawks Filmen “verkörpert” werden)
Und
wenn man ein Foto von ihr sieht, ist eine gewisse Ähnlichkeit mit Lauren
Bacall (eigentlich Betty Bacal) zu erkennen.
Interessanterweise
wurde Lauren Bacall von Nancy Gross “entdeckt”, als sie ein Foto von ihr in
einem Magazin sah, wo sie als Krankenschwester posierte. Nancy war von Laurens
Auftreten mehr als angetan:
“Sie
war wirklich eine strahlende Schönheit nach meinem Geschmack - tadellos
gepflegt, natürlich, feurig. Und sie hatte eindeutig etwas von einer Raubkatze.”
Oft
und gern-Jäger Hawks hatte mittlerweile auch Feuer gefangen und holte Bacall
nach Hollywood, wo er in einem langwierigen Prozeß des Experimentierens
aus ihr - das Wachs in seinen Händen - “Slim” machte, seine “Traumfrau”.
Ihre
tiefe Stimme mußte sie sich hart erarbeiten, war ihr doch das Gegenteil
naturgegeben. So folgte sie dem Rat ihres “Arztes” Hawks und las in den Bergen
Hollywoods - lt. Legende - “an einem einsamen Plätzchen am Mulholland Drive
den Hasen aus dem Roman `das Gewand´ vor”.
Zudem
ging Hawks bei seiner Frau Nancy “in Schule”, studierte sie eindringlich (ganz
besonders Kleidung, Sprache, Umgang mit Männern) und ließ bei Dialogen
ihre Worte miteinfließen. Fertig war die perfekte Imitation / Creation
“Slim” aka “The Look”: Lauren Bacall
Die
Frage, ob Hawks dies bewußt oder unbewußt tat, ist mehr als interessant,
bin ich doch mittlerweile der Meinung, daß “THE BIG SLEEP” sein persönlichster
Film ist und von daher viel Aufschluß über sein Wesen gibt.
IV.
Der große Schlaf eines großen Träumers:
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Howard
Hawks war ein Träumer, der in der Traumfabrik Hollywood Träume am
laufenden Band produzierte, Traumfrauen / Männerträume inszenierte
(nie werde ich den mehr als provokanten Blick von Jane Russell in “THE OUTLAW”
oder ihr “Duett” mit Marilyn Monroe in “Blondinen bevorzugt” vergessen) oder
aber auch - wie schon erwähnt - Traumpaare schuf.
Und
zwischen Probeaufnahmen, Castings, Dreharbeiten, dem Feilen am Drehbuch und
was sonst noch alles nötig ist, um einen Hollywood-Traum auf Zelluloid
zu bannen, kann ein potentieller Tagträumer von seiner Phantasie stimuliert
/ beflügelt werden. Die Wirklichkeit verschmilzt mit der Illusion.
Von
daher war Hollywood der ideale Ort für Hawks, der sich dank seiner Unabhängigkeit
(oft produzierte er seine Filme und stand nicht selten mit dem Studiosystem
im Clinch) “seine Welt” erschaffen konnte. Der Idealfall für einen Neurotiker,
der sich die Welt “hinbiegt” wie er sie will. Er (ver)formt reale Personen zu
Figuren (sowohl weiblich als auch männlich), die nach seinem Geschmack
sind und stattet sie in dieser “Wirklichkeit” mit den Eigenschaften, die ihn
in der anderen Realität fehlen, aus. Fertig ist der hybride Wunschtraum,
der möglicherweise dazu führt, daß nicht mehr zwischen Sein
und Schein unterschieden werden kann, bzw. die Übergänge beider “Wahrheiten”
fließend sind. Ob Hawks letztendlich diesem Irrtum erlag, ist mir nicht
bekannt, aber ein Potential zum “Spielen mit der Wirklichkeit” war definitiv
vorhanden, ein Auszug aus der Autobiographie von Nancy Gross mag dies vielleicht
verdeutlichen:
“Howard
baute ein solches Phantasieleben um sich auf, daß er es schließlich
für die Wirklichkeit hielt. Es kam ihm nie in den Sinn, daß ich die
Widersprüche zwischen Dichtung und Wahrheit bemerken würde, doch das
tat ich, einfach weil ich ihn dieselben Geschichten immer wieder einem neuen
Publikum erzählen hörte. Der Stoff variierte ständig - er schrieb
sein Drehbuch jedesmal völlig um. Nicht dass Howard log, weil er andere
übertrumpfen oder ihnen die Show stehlen wollte. Er stand nur mit der Wahrheit
auf Kriegsfuß. Seine Flunkerei war eine psychopatische Marotte. Er träumte,
wenn er wach war und hatte einen völlig traumlosen Schlaf.”
(Witzigerweise
sagt General Sternwood in “THE BIG SLEEP”: “Mein Schlaf ist dem Wachsein so
ähnlich, daß er kaum noch den Namen Schlaf verdient.”)
Und
genauso ist “THE BIG SLEEP”:
Voller
Widersprüche, nebulös, wirr und sprunghaft in der Handlung, wie ein
Traum ... Marlowe´s Traum!
V. Marlowe´s Traum:
--------------------
Es
ist fast so, als würde man dem (Wunsch)Traum eines Mannes beiwohnen, der
der Welt seinen eigenen Stempel aufdrückt. Er spielt mit ihr und hält
die Leute gerne zum Narren. Trotz kleinerer Schwächen, kurzzeitiger Knock-outs
oder unliebsamer Bondage-Erfahrungen ist diese, seine Welt ihm im Endeffekt
nicht gewachsen. Marlowe triumphiert, ganz besonders über diejenigen, die
es gewagt haben, ihr eigenes Spiel und dann auch noch - als Steigerung - mit
ihm zu spielen. Aber natürlich liebt er es auch andererseits mit ihnen
zu spielen. So ist er mal Maus oder Katze.
Wird
er verbal oder brachial angegriffen, schafft er es - bis auf 2 Ausnahmen - umgehend,
mit wie aus der Pistole geschossenen Sprüchen oder sonstigen Contra-Paraden,
den Spiess umzudrehen. Dies schüchtert seine Gegner bzw. “Spielkameraden”
ein, aber imponiert ihnen auch. Marlowe macht in seiner Welt einen guten Schnitt.
Sein
egozentrischer Traum folgt konsequent den traumüblichen Gesetzen der Unlogik.
Egozentrisch, weil Marlowe in jeder Situation des Films anwesend ist, als wäre
die Welt um ihn herum “gebaut” (aber das ist ja nicht selten bei Detektivgeschichten
aus der Ich-Perspektive). Zutiefst subjektiv funktioniert er in seinem Traum
als Richter, Ankläger, Beobachter, Retter, Opfer, Kombinierer und was sich
sein Unterbewußtsein noch für Szenarien und Rollen ausgedacht hat.
Der
Part des Individualisten Marlowe wird dadurch noch gekonnt betont. (Ganz nebenbei
hat der Arme nicht mal eine SekretärIn) Diese Welt definiert sich ausschließlich
durch Marlowes Wahrnehmung, was dem Zuschauer die Identifikation mit dem Protagonisten
erleichtert, geht er doch mit ihm eine audio-visuelle Personalunion ein: Was
Marlowe sieht, hört und sagt wird “wahrgenommen” (so ein Wort liebe ich),
alles andere ist absolute Finsternis und bleibt der Phantasie überlassen.
Ein leeres Buch mit sieben Siegeln und einem Druckfehler auf Seite 110.
So
degeneriert Marlowe und der Film zuweilen zu einer Maus in einem verschachtelten
Labyrinth nebulöser Ungewißheit, fern jedweder Rationalität,
dem kaum jemand folgen kann.
Eine
passende Kritik zum Film lautete so:
“Egal,
wann man ins Kino gekommen ist, man hat immer das Gefühl, bereits die Hälfte
des Films verpasst zu haben.”
Und
so ist dann auch das Fazit.
VI. Ein paradoxes Fazit:
-----------------------
“THE
BIG SLEEP” nimmt durch seine sprunghafte & bewußt-subjektive Inszenierung
zuweilen surreale Ausmaße an. Eine perfekt eingefangene, selten so dicht
gesehene schwarz-weiß-Atmosphäre, kombiniert mit der synthetischen
Aura eines omnipräsenten Studiofilms (ich glaube für keine einzige
Szene wurde das Studiogelände verlassen), unterstützen diesen Effekt
kongenial. Studiofilm aber noch aus einem anderen Grund:
Die
Musik von Max Steiner (15 Bogartfilme “untermalt”), die einen Bogart-Fan regelrecht
konditioniert hat, erzeugt ein so familiäres Gefühl, daß man
sich auch nicht darüber wundert, einen von Warner Bros. (53x mit Bogey)
produzierten Film zu sehen. Das passt wie die Faust aufs Auge. Man hatte alles
unter Kontrolle und konnte die perfekte Illusion (=Film, d.h. wenn er funktioniert)
erschaffen, denn:
Trotz
unzähliger Widersprüche macht Hawks aus der Not eine Tugend. Er versteht
es meisterlich den Zuschauer blendend zu unterhalten und auffallende Ungereimtheiten
im Verlauf unauffällig bzw. nebensächlich erscheinen zu lassen. Man
wird bewußt abgelenkt, was Hollywood und Hawks grandios beherrscht. Die
Traumfarbik setzt nicht auf Schlüssigkeit sondern auf Wirkung, Unterhaltung
und Präsentation.
Ein
besonders cleverer “Kniff” ist mir aufgefallen:
Schnitte
und Überblendungen sind ein oft und gern genutzes Mittel um Szenen mehr
oder weniger fließend miteinander zu verbinden. Wenn die Logik aussetzt,
kann man dennoch den Zuschauer bei der Stange halten, indem ihm etwas anderes
vorgesetzt wird, was nicht selten durch Symbole geschieht (wie im Traum). Kommt
der Handlungsfaden ins Stocken, kann aber auf einer anderen Ebene die Verbindung
gehalten werden. Sei es durch zuvor erwähnte Namen, die jetzt wieder auftauchen
und eine Brücke bauen, oder andere Schlüsselelemente.
So
kann man in “THE BIG SLEEP” die Funktion der Tür (Eingang/Ausgang) als
Bindeglied zur nächsten Szene sehen, oder aber auch als Mittel, um die
Geschichte voranzutreiben.
Ständig
werden Türen geöffnet/geschlossen und lassen neue/alte Figuren auf
die Bühne treten, oder sie auch wieder durch selbige verlassen. Besonders
gelungen: Die eine Szene wird mit dem Schließen einer Tür beendet
und die nächste mit dem Öffnen einer anderen eingeleitet. So etwas
empfinde ich - auch im übertragenen Sinne - als eine “konditioniert-fließende
Bewegung”. Ich werde manipuliert...
Hawks
drückt Dir seinen Traum auf und Du fühlst Dich nicht einmal gezwungen-genötigt,
weil er Dir seinen so wundervoll geschüttelt-und-nicht-gerührten Cocktail
auf einem Silbertablett serviert. Du verfällst der Magie eines Illusionisten,
der Dich dank eines guten Drehbuchs mit geschliffenen Dialogen in Kombination
mit amourösen Anspielungen und einer virtuosen Leichtigkeit verzaubert.
Und der Humor kommt in “THE BIG SLEEP” auch nicht zu kurz:
General
Sternwood: “Wie trinken sie ihren Brandy am liebsten?”
Marlowe:
“Aus einem Glas!”
Hawks
verkauft Dir seinen Traum mit dem ihm ganz eigenen Augenzwinkern und einer gehörigen
Portion knisternder Erotik, die sich nicht selten hinter zweideutigen Bemerkungen
im Dickicht des Urwalds versteckt, oder in Form eines realen! Blitzes entlädt:
In
Vivian´s Schlafzimmer faucht sie mal wieder Marlowe an und er faucht dankend
zurück, hat er doch eine SpielkameradIn gefunden. Die Spannung zwischen
ihnen ist so stark, daß Hawks sie mit dieser Naturgewalt betont. Allerdings
ohne Donner, nur ein rein platonisches Aufflackern im Hintergrund. Ein im Raum
stehender Kuss fällt noch nicht.
Blitze,
Donner und Regen liefern dann auch die Vorraussetzungen, daß Marlowe seiner
Natur folgen kann/muß und bei der Buchladenbesitzerin Unterschlupf sucht,
“um dort nass zu werden”. Der passionierte Jäger Hawks geht mit dem “Prä-Bond”-Marlowe
im Großstadtdschungel von Los Angeles auf die Jagd, um gefährliche
Raubkatzen oder “Revierrivalen” zu fangen, erlegen, zum Schnurren zu bringen
und dann wieder frei zu lassen, denn der Morgen stirbt ja bekanntlich nie...
Wer
jetzt sagt: Das geht doch gar nicht, Fangen, Töten, Schnurren und Freilassen?
(Das
witzige ist: Es gibt auch andere interessante Reihenfolgen)
So
mancher Tod schläft eben doch nicht so fest und träumt ergo auch nicht
den großen, tiefen Schlaf. Er besinnt sich eines besseren, wacht wieder
auf und verlangt nach einer “Revanche”, die nächste Duftmarke wurde bereits
gesetzt. Das (Vor)Spiel kann beginnen...
(War
das in seiner Zweideutigkeit eindeutig genug?)
Hawks
will wilde und schnurrende Raubkatzen, die einen Dompteur und Dresseur in Personalunion
(er)fordern. Zucker & Peitsche, es soll ja nicht langweilig werden. Auch
von daher muß es für Hawks ein Vergnügen gewesen sein, als Regisseur
Frauen zu inszenieren, formen und nach seinem Willen zu erschaffen, die ihm
- er ist schließlich DER GROSSE REGISSEUR - hörig zu folgen haben.
Nur
manchmal geht der “Schuss” nach hinten los, oder es fällt gar keiner und
der Jäger schmeißt die Flinte ins Korn, sieht er doch seine Felle
davonschwimmen. Das Geschöpf/sein Traum wagte es, ihrem Schöpfer in
den Rücken zu fallen und sich einem anderen Mann zuzuwenden, einem Mythos,
der sich selbst erschaffen hatte. Da half auch kein Intrigieren gegen Bogart,
der Hawks Traum heiratete. Der Stachel saß tief und nicht nur, daß
er dem Paar nie zur Hochzeit gratulierte, warf er Humphrey ironischerweise das
Erliegen einer Illusion vor:
“Und
das lustige daran ist, daß Bogey sich in die Figur verliebte, die sie
spielte, so daß sie die Rolle ihr Leben lang weiterspielen mußte.”
(Auszug aus “Hawks on Hawks”)
Vielleicht
weil er ein Träumer war, blieb er auch im Alter jung. Was seinen Filmen
immer spürbar anhaftete. Makaber: Mit 81 starb der noch sehr rüstige
“Katzenliebhaber”, als er über seine Hunde stolperte und
den Folgen der daraus resultierenden Kopfverletzung erlag...
Einem
der größten und vor allem vielseitigsten Regisseure aller Zeiten
sage ich:
Danke Howard Hawks!!!
THE
BIG SLEEP ist der Stoff, aus dem Träume gemacht sind!
PS:
Ich
mag ja Katzen lieber, da sie - für mich - Individualismus und Eigensinn
symbolisieren. Bei Hunden assoziiere ich zuallererst Rudelmentalität, Gehorsam
(“will Stöckchen zu Herrchen bringen”) und “die stinken ja immer so wenn
es regnet”.
Und
so warst Du, der die Unabhängigkeit stets suchte, für mich immer ein
Leopard, der am Ende einsam in eine dunkle Gasse geht und deren Finsternis Dich
dann vollends verschluckt...
Marlowe
war genauso, nur läßt Du ihn am Ende nicht einsam-desillusioniert
(wie im Buch) zurück, sondern gibst dem Publikum ein happy end und Bogart
ein Stück Zucker: Lauren Bacall!
Der
einsame Wolf wurde häuslich-domestiziert und heult nicht mehr den Mond
an. Ein pfeifendes Schaf im Wolfspelz - oder andersrum? - fing ihn ein und brachte
ihm das “Kläffen” bei. Natürlich tragen sie weiterhin ihre Pelze -
sie können sie auch tauschen - und ziehen sie bei Bedarf aus, es soll ja
nicht langweilig werden...
VII.
Randnotizen/-bemerkungen:
-------------------------------
-
Es gibt noch eine andere Version des Films, aber die fiel beim Testpublikum
durch und Warner Bros. war auch nicht von der Wirkung Lauren Bacalls begeistert.
Lange blieb der Film im Studiotresor. Später wurden Szenen nachgedreht,
die mehr auf Bogart&Bacall zugeschnitten wurden und prickelnde Erotik versprühten.
Dafür fielen andere Szenen heraus, wie z.B. eine zähflüssige
Auflösung des ganzen Falles von Marlowe vor den Vertretern des Gesetzes.
Die vorher viel gewichtigere Rolle von Bacalls Filmschwester Carmen wurde immer
mehr zu einem schmückenden Beiwerk zurechtgestutzt. So lagen zwischen Drehbeginn
und Premiere 20 Monate.
-
Während der Dreharbeiten kam Bogart zu Hawks und fragte, wer denn eigentlich
wen ermordet hatte. Hawks konnte ihm darauf keine Antwort geben und rief schließlich
Chandler an, der es aber auch nicht mehr wußte...
-
Es gibt in der Geschichte ja noch ein anderes “Lamm”: Die kaltblütige Agnes!
Ihren
Part finde ich am interessantesten. Im gewissen Sinne ist sie Marlowe ebenbürtig,
spielt ebenso ihr Spiel und macht am Ende auch ihren Schnitt. Sie läßt
sich nicht fangen, auch wenn diverse Männer dieser Illusion erliegen, womit
sie den Spieß umgedreht hat. Andere sterben für sie, ohne daß
sie mit der Wimper zuckt. Sie ist die leider viel zu wenig beleuchtete Venusfalle.
Auch wenn sie meint “Ich ziehe immer nur Nieten”, wird sie irgendwann einmal
einen Gewinn einfahren, fällt sie doch wie eine Katze immer wieder auf
ihre Pfoten.
-
Wofür mag wohl das Ohrläppchengreifen stehen? Für Instinkt/Ahnung,
einen analytischen Verstand, der ein Fragezeichen wittert?
-
Bogey war nicht gerade ein langer Kerl - vielleicht deswegen die Anspielung
im Film und sein Konter mit den Stelzen -, daher hat Lauren Bacall in ihren
Szenen mit Humphrey flache Schuhe an, es sei denn, er sitzt gefesselt am Boden.
-
Das Buch “Tote schlafen fest - Mythos und Geschichte eines Filmklassikers” von
David Thomson hat mir sehr viel Aufschluß über Film und Regisseur
gegeben. Viele in diesem Bericht vorkommenden Zitate, stammen daraus. Seitdem
ich nun die dort beschriebenen Charakteristika von Hawks kenne und seine Verbindung
zu Frances Farmer & ihrem Schicksal, muß ich oft an David Lynch und
“MULHOLLAND
DRIVE”
denken. Gerne wüßte ich von ihm, ob es eine Verbindung zwischen ihm
und Hawks/“THE BIG SLEEP” gibt. Auch über Hawks bzw. diesen Film könnte
gesagt werden: “Es war nicht Tag oder Nacht, es war etwas dazwischen.” Eine
bewußte Spielerei, die perfekte Illusion.
-
Marlowe&Toupet=Bogart&Willis: Humphrey und Bruce trugen/tragen oft ein
Toupet und was mir vor Monaten nicht aufgefallen war - obwohl so offensichtlich
-, aber Bruce Willis ist in “LAST
BOY SCOUT”
ein Marlowe par excellence, nur verheiratet mit einer Tochter.
-
Für mich eine ideale Kombination: Los Angeles und Privatdetektiv, vor allem
wenn ein Film so inszeniert wird wie “THE BIG SLEEP”. In der Stadt wo Träume
produziert werden, findet Marlowe im Wirrwarr von Täuschungsmanövern
und abgekarteten Spielen des Rätsels Lösung ... irgendwo in der Nähe
von Realito!!!
-
Gerne hätte ich einen James Bond-Film unter der Regie von Howard Hawks
gesehen, gleiches gilt für “DIE FRAUEN”
-
Die DVD habe ich bei WOM für 9,99 Euro gesehen...
Transpluto-Wertung:
9,25
Transpluto
Dieser Text ist zuerst erschienen bei: ciao.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Tote
schlafen fest
(OT:
The Big Sleep) USA 1944-1946, FSK 16, 110 Min., Krimi, Detektivfilm + diverse
Male vom Original abweichende Literaturverfilmung
VIII. Cast & Credits:
--------------------
Cast:
Humphrey “mega-cool” Bogart (Philip Marlowe), Lauren “im wirklichen
Leben ein Lamm” Bacall (Vivian Rutledge), John Ridgely (Eddie Mars), Martha
Vickers (Carmen “Daumenlutsch” Sternwood), Louis Jean Heydt (Joe “sich selbst
mega-überschätz” Brody), Sonia Darrin (Agnes, die im anderen “BIG
SLEEP” viel schöner war), Dorothy “zu dem Zeitpunkt noch braunhaarig” Malone
(BuchladenbesitzerIn), Peggy Knudsen (Mrs. Eddie Mars), Regis Toomey (Bernie
Ohls), Charles Waldron (General “R.I.P.” Sternwood), Charles D. Brown (Norris),
Bob Steele (Canino), Elisha Cook, jr. (Harry
“Agnes treu ergeben” Jones) u.v.a.
Credits:
Produktion
+ Regie: Howard Hawks
Produktionsfirma:
Warner Bros. (wer sonst?)
Drehbuch:
William Faulkner, Leigh Brackett (Hawks: “eine Frau, die wie ein Mann schreibt”)
und Jules Furthman (nach dem gleichnamigen Roman von Raymond Chandler)
Musik:
Max Steiner (wer sonst?)
Kamera: Sid Hickox
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