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Tropfen
auf heiße Steine
Fassbinder-Verfilmung
von Francois Ozon: Eine tiefschwarze Studie menschlicher Abhängigkeiten.
Inhalt
Leopold
Bluhm (Bernhard Giraudeau), ein Mann mittleren Alters, hat den jungen Franz
(Malik Zidi) auf der Straße aufgelesen. Die beiden unterhalten sich über
die Vergangenheit, über ihre Freundinnen. Doch die Zufallsbekanntschaft
weitet sich aus: Die beiden gehen ins Bett, und Franz zieht bei Leopold ein.
Der verdient als Handelsreisender die Brötchen, Franz kümmert sich
um den Haushalt. Aber mit der Zeit eskalieren die Reibereien zwischen dem Paar.
Schließlich wird Franz, während Leopold auf Dienstreise ist, von
seiner ehemaligen Freundin Anna (Ludvine Sagnier) besucht. Die beiden schlafen
miteinander und Franz will gerade mit ihr das Haus verlassen, als Leopold zurückkehrt.
Als wäre das nicht genug, findet sich auch noch Vera (Anna Thomson ) ein,
eine unwillkommene Erinnerung an Leopolds Vergangenheit. Der Psycho-Krieg gerät
an seinen Höhepunkt.
Kritik
Bilder
eines Stadtviertels als Standfotos, Vorspann. Zwischentitel: Erster Akt. Eine
Tür geht auf, zwei Männer kommen herein. Die beiden prosten sich zu.
"Sie genießen das Leben?" fragt Leopold, der Ältere. "Ja",
antwortet Franz, der Junge. Die souveräne Fassade von Leopold bricht für
einen Moment ein: Schmerz zeigt sich auf seinem Gesicht. Ein kleines Machtspiel
beginnt, ein Austausch von Erinnerungen. Leopold ist selbstsicher und gibt sich
leicht ironisch, Franz ist neugierig und labil: Als er beim Mensch-Ärgere-Dich-Nicht
verliert, wirbelt er die Figuren durch die Luft. Der Ausbruch macht den Weg
frei für den Beginn einer Beziehung: Am Ende des ersten Akts liegen die
beiden im Bett. Im Laufe des Films wird Franz diese Wohnung nicht mehr verlassen.
Ein
Stück des jungen Rainer Werner Fassbinder hat Francois Ozon adaptiert,
ein Drama für vier Personen in einem Set. Die Stilmittel des deutschen
Regisseurs hat er dabei nur in begrenztem Maße übernommen: Die Inneneinrichtung
ist klaustrophobisch, die knallbunten Primärfarben von Fassbinder blitzen
nur gelegentlich auf, und dann in sanft pastellierten Tönen; Ozon benutzt
hauptsächlich ein mattes, lebloses Braun. Was aber wichtiger - und nach
Ozons letztem Spielfilm, dem misslungenen John-Waters-Pastiche Sitcom
überraschender - ist, ist, dass es dem Franzosen gelungen ist, das Theaterhafte
seines Vorgängers abzulegen, das sowohl Stärke wie Schwäche von
vielen unter Fassbinders Frühwerken war, bevor er zum wichtigsten deutschen
Regisseur der Nachkriegsgeschichte reifte (wenn auch mit wechselhaftem Erfolg,
was gemessen an seinem schier unglaublichem Schaffensdrang nicht verwundern
kann). Obwohl Tropfen
auf heiße Steine
Leopolds Wohnung nie verlässt und eigentlich ein reines Dialogstück
ist, gelingt es Ozon mit rasanten Schnittmustern und einer Unzahl an variablen
Einstellungen das Theaterstück Fassbinders ganz kinogerecht von der Bühne
zu befreien. Behalten hat er allerdings Fassbinders oft dunklen Humor, dessen
Faszination für oppressive Beziehungen, und er trifft sogar das eigenwillige
Gespür für populäre Gestaltungsmittel in einer heruntergekommenen,
desillusionierten Welt menschlicher Gefühle: "Prost" sagen Franz
und Leopold auf deutsch zueinander, während sie sonst französisch
reden.
Das
befremdliche, bewusst komische Eindringen von offensichtlich aus der Welt Fassbinders
entlehnten Zutaten - das Dekor ist ganz Siebziger, die Namen und erwähnten
Städte bleiben deutsch, alle trinken Bier, Franz liest Konsaliks "Liebe
ist stärker als der Tod" und trägt einmal sogar Lederhosen -
stellt Tropfen
auf heiße Steine
in einen seltsam zwischen allen Welten hängenden Raum: Der Krieg der Gefühle
ist überall.
Zwischentitel:
Zweiter Akt. Monate müssen vergangen sein, die Beziehung zwischen Franz
und Leopold ist Belastungsproben ausgesetzt: Leopolds etwas bedrohliche Art
unter der bürgerlichen Fassade und Franzens zaghaft überspielte Unterwürfigkeit
beginnen zu bröckeln. Die leicht inzestuöse Vater-Sohn-Beziehung,
die unausgesprochen zwischen den beiden mitschwingt (und nie zum Thema gemacht
wird, ebenso wie die Homosexualität, stattdessen formen die beiden ein
vorbildlich alltägliches Ehepaar), wird durchlässiger: Leopold beginnt
scheinbar unsicher zu werden. Jeden der ersten drei Akte beschließt Ozon
mit der Aufnahme einer nackten Person auf dem Bett, bevor der andere Partner
hinzukommt: Lag am Anfang Franz erwartungsvoll auf der braunen Fläche,
so ist es diesmal Leopold. Das letzte Bild des Akts gehört Franz, wie er
stattlich im Trenchcoat erscheint.
Zwischentitel:
Dritter Akt. An Kleinigkeiten - Franz spielt zu laute Musik auf dem Plattenspieler,
Leopold nörgelt, weil er die Arbeit am Hals hat - entzünden sich immer
heftigere Konflikte. Ozon moduliert deren Ausbrüche in immer kürzeren
Schüben: Manifestationen verbaler Gewalt, depressiv eingefärbt durch
die umgebende Alltagswelt völliger Normalität. Wichtig ist, "dass
es vorwärts geht", betont Leopold immer wieder - und macht sich auf
eine neue Dienstreise. Zum Abschied küsst er Franz auf die Stirn. In Leopolds
Abwesenheit bekommt Franz Besuch von Anna, seiner ehemaligen Freundin. Sie hätte
ihn gern zurück. "Wir waren nie glücklich, wir haben nur geträumt",
sagt Franz. Als sie verletzt ist, fügt er hinzu: "Ich bin nicht grausam,
ich sehe nur klar." Das könnte auch als Motto über vielen von
Fassbinders unbarmherzigen Analysen menschlicher Abhängigkeit stehen, die
ihm oft den Ruf eines Defätisten einbrachten. Ozon hat sich diesen Blick
zu eigen gemacht, aber wie Fassbinder hält er dem eine verzweifelt melodramatische
Hoffnung auf die Liebe entgegen. "Träume, die uns nichts bedeuten",
singt Francoise Hardy und die Kamera wiederholt einen unwiderstehlich eleganten,
symmetrischen Zoom auf die zwei Fenster im Wohnzimmer: Anna und Franz stehen
hinter je einer der beiden Glasscheiben. Im ersten Akt waren es Leopold und
Franz. Aber jetzt ist der Junge sardonisch und überlegen. Am Ende des Akts
liegt Anna auf dem Bett und Franz kommt, wieder im Trenchcoat.
Vierter
Akt: Anna und Franz wollen weggehen, sie liegen auf dem Bett und sein Kopf passt
sich genau in ihre Schulterbeuge, als würde er dorthin gehören. Dann
verdoppelt er sich im Spiegel. "Du weißt, dass die Realität
anders aussieht." Und tatsächlich, in einer Szene, die an die doppelbödige
Science-Fiction der frühen Kurzfilme Rudolf Thomes gemahnt, scheint kurz
die Gravitation aufgehoben im naturalistisch-stilisierten Retrodekor: Franz
räkelt sich auf einem der Fellteppiche am Boden und die Kamera schaukelt
über ihm im Takt der Musik.
Dann
kehrt Leopold zurück, und er hat sich wieder völlig unter Kontrolle:
Nur Spott hat er übrig für die beiden, schon lange betrachtet er Franz
als seine Kreatur. Da kehrt eine andere Kreatur aus Leopolds Vergangenheit zurück,
Vera, die ihn vorher schon mehrmals vergeblich besuchen wollte. Er erkennt sie
zuerst nicht wieder, sie nennt ihm ihren Namen. "Vera, mein Schatz. Mein
Gott, du bist alt geworden." Anna Thomson, die vielleicht beste, auf jeden
Fall die unterschätzteste lebende amerikanische Schauspielerin, spielt
Vera und im durchwegs großartigen Quartett ist ihre zwischen verhärmter
Alterung und reifer Verzweiflung schwankende Figur die Tragischste. Die Umstände
gehen ihr bis ins Mark: Eben noch ist sie nur in einer Kinderrachephantasie
das Kreischen auf der Tonspur, da kommt sie zu sich und geht aus dem Schlafzimmer,
durch den Gang, schleppend, wie mit einer Fußverletzung. Der Schmerz in
ihrem Innern strahlt nach außen, durch ihren füllig gealterten Körper,
er wiegt selbst schwerer als die Grausamkeit von Bernard Girardeaus präzise
unter der Oberfläche lauernden Brutalität.
Als
alle vier Personen beisammen sind, bricht das Poppige in Ozons Inszenierung
endgültig seine hysterische Bahn. Mit einem schier unglaublichen showstopper
- alle Anwesenden schütteln ihr Gesäß zu Tony Holidays Betriebsfeierndiscofeger
"Tanze Samba mit mir" - bringt Ozon die Handlung zu einem Halt, bevor
die Tragödie endgültig einsetzen kann. Franz erkennt in Vera seine
mögliche Zukunft wieder, sein Spiegelbild und einen Mädchentraum der
Vergangenheit, während sich Anna und Leopold im Schlafzimmer beim Beischlaf
zur Ekstase treiben, während sie über Geschäftspläne reden:
Ein wenig wie Faye Dunaway in Network. Zwischen dem Frust der Gefühle und
der Unbarmherzigkeit der Macht schlittert Tropfen
auf heiße Steine
in sein unvermeidliches, absurd-tragisches Ende. Trocken serviert Ozon obendrauf
den makabersten Telefonanruf der jüngeren Filmgeschichte, und das letzte
Bild ist noch einmal die Einstellung von Außen aufs Wohnzimmerfenster.
Die Symmetrie ist gebrochen, nur noch Vera ist da: Verzweifelt versucht sie
das Fenster zu öffnen, aber es geht nicht auf. "Träume"
singt Francoise Hardy wieder und die Kamera entfernt sich. Umsonst alle Liebe,
und eingeschlossen wie in einem UFO der Vergeblichkeit kleben Anna Thomsons
Hände am Glas.
Fazit:
Eine
originelle, völlig kinogerechte Adaption des Fassbinder-Stücks. Aufruhr
der Gefühle zwischen Vergeblichkeit, Widerhaken und Fortschreibung von
Fassbinders Themen.
Christoph
Huber,
15.01.2001
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Tropfen
auf heiße Steine
Gouttes d´eau sur pierres brûlantes
Frankreich, 1999
Mit:
Bernard Giraudeau, Anna Thomson, Malik Zidi
Regie: Francois Ozon
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