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Tropical Malady

Dschungelkino

 

 

Nach gerade mal vier Filmen gehört der thailändische Filmemacher Apichatpong Weerasethakul, Jahrgang 1970, heute zu den herausragenden Regisseuren seiner Generation. Weerasethakul hat eine ganz eigene Bildsprache entwickelt, ein Gefühl für Rhythmus und Zeitabläufe, das die Konventionen des narrativen Kinos weit hinter sich lässt. Seinen Debütfilm "Blissfully Yours", die unendlich geduldige Schilderung einer queeren Romanze, die mit einem 45-minütigen, schlafwandelnden Dschungel-Ausflug endet, unterbrach Weerasethakul erst nach knapp einem Drittel mit den Titelcredits, um im Folgenden einen völlig neuen Handlungsstrang aufzunehmen.

 

Solche erzählerischen Tricks könnten leicht als billige Effekthascherei verstanden werden, doch Weerasethakuls Filme stehen den experimentellen Arbeiten eines Derek Jarman (nicht nur wegen seiner queeren Thematik) oder James Benning näher als dem klassischen Erzählkino. Es ist ein Kino des Sehens und Erlebens, nicht-linear, impulsiv, direkt und zugleich märchenhaft. Unpathetisch – und im nächsten Moment wieder unglaublich verstrahlt, aber von einer seltenen esoterischen Schönheit, die sich restlos aus unseren rationalen Erfahrungsmustern ausgeklinkt hat. Weerasethakuls Filme sind Filme für Gläubige; die Betrachtenden überlassen sich ganz ihrem Wahrnehmungsapparat und folgen dem Filmemacher bis ans Ende der Welt – in "Tropical Malady" das zweite Mal nach "Blissfully Yours" in den Dschungel Thailands.

 

"Tropical Malady" erzählt wieder die Geschichte eines queeren Liebespaares, des Soldaten Keng und des Bauernburschen Tong. Es ist ein Spiel des Begehrens, das Weerasethakul mit faszinierender Direktheit einfängt und dabei die Zeit aus den Angeln hebt. In der brodelnden Metropole Bangkok entspinnt sich eine zarte Romanze, die das ungleiche Paar vor eine schwere Belastungsprobe stellt – und ihre Beziehung in das Reich der Mythen und Legenden überführt. Keng wird in den Dschungel beordert, um eine Bestie aufzuspüren, die das Vieh der heimischen Bauern schlägt. Dieser zweite Teil des Films, "Der sprituelle Pfad" betitelt, fungiert wie ein Spiegel zum metropolitanen ersten Teil; der mythische Tiger, auf dessen Spur Keng sich begibt, erscheint dem fiebernden Keng mitunter als Tong. Es ist die Fortsetzung ihrer Romanze mit anderen Mitteln, ein Wechselspiel zwischen Jäger und Gejagtem. Ehe er sich versieht, findet Keng sich in einer Jahrhunderte alten thailändischen Volkssaga wieder, und die Affen beginnen zu ihm, dem legendären Krieger, zu sprechen.

 

Weerasethakuls Dschungel ist selbst ein mythischer Ort, niemand hat diesen wuchernden Lebensraum je so verklärt und geheimnisvoll eingefangen. Kengs gleichnishafter Marsch ist keine Reise in das "Herz der Finsternis" wie noch bei Joseph Conrad/Francis Ford Coppola ("Apocalypse Now"), sondern ein bewusstseinserweiternder Trip: Farbe, Geräusche, Erinnerungsfragmente, ein Driften zwischen den Welten. Der thailändische Originaltitel von "Tropical Malady" übersetzt sich wörtlich mit "seltsames Tier". Die Spuren, die Weerasethakul legt, sind frei assoziativ. Ein seltsamer Film ist das, auch. Einer, den man auf der großen Leinwand erlebt haben muss, um zu verstehen, was das Kino heute noch zu leisten im Stande ist.

 

Andreas Busche

 

Dieser Text ist zuerst erschienen im: fluter

 

Tropical Malady

(Sud pralad) Thailand, Frankreich, Deutschland, Italien 2004, Buch und Regie: Apichatpong Weerasethakul, mit Banlop Lomnoi, Sakda Kaewbuadee, OmU, Kinostart: 27. Oktober 2005 bei Salzgeber

 

 

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