zur startseite
zum archiv
True Romance
Es
soll ja Leute geben, die nicht wissen, daß Quentin Tarantino vor „Pulp
Fiction“
noch einen anderen Film gemacht hat (falls jemand dazu gehört: der Film
heißt „Reservoir
Dogs“).
Noch mehr Leute wissen aber auch nicht, daß der gute Mann davor seine
Semmeln mit Drehbuchschreiben verdiente. Und daß dabei ein Film herauskam,
den jeder ernsthafte Tarantino-Fan (und alle anderen Leute auch) gesehen haben
sollte. Erst letzte Woche kniete mal wieder eine meiner Nachbarinnen vor meinem
Videoregal auf der Suche nach einem netten Film. Und mal wieder hörte ich
die Frage: „Was ist denn ‚True Romance‘?“. Nach dem typischen Aufschrei des
Entsetzens, der auf diese Frage für gewöhnlich folgt, konnte ich sie
innerhalb von zwanzig Sekunden davon überzeugen, daß sie diesen Film
gesehen haben MUSS. Und damit die Filmszene-Leser möglichst nie in diese
Situation kommen, sollen hier ein paar Worte verloren werden über einen
Film, ohne den es „Pulp Fiction“ nie gegeben hätte.
Schon
allein die Personenkonstellation von „True Romance“ ist überaus tarantino-esk:
Der Comic-Verkäufer und leidenschaftliche Elvis-Fan Clarence lernt an seinem
Geburtstag in einem Karatefilm-Triple Feature („Streetfighter“, „Die Rückkehr
des Streetfighter“ und „Die Schwester des Streetfighter“) die zuckersüße
Alabama kennen, die dann erfreulicherweise auch gleich bei ihm übernachtet.
Wie sie ihm in der Morgendämmerung gesteht, ist sie allerdings ein Call-Girl,
angeheuert von Clarence’s Boss als ein Geburtstagsgeschenk. Nun hat sie sich
aber Hals über Kopf in Clarence verknallt und will mit ihm durchbrennen.
Clarence’s Versuch, von Alabama’s Zuhälter auf friedliche Art und Weise
ihre Sachen zu holen, geht ein kleines bißchen schief, zudem nimmt er
auch noch den falschen Koffer mit, und schon befindet sich das junge Paar auf
dem Weg nach L.A. mit einem Koffer voll Koks, die rechtmäßigen Besitzer
bereits auf den Fersen.
„True
Romance“ ist so etwas wie die perfekte Symbiose der Talente von Drehbuchschreiber
und Regisseur. Während Charaktere, Dialoge und die streckenweise komplett
abgedrehte Handlung mehr als deutlich darauf hinweisen, daß eine gewisse
Sinnverwandschaft zu „Pulp Fiction“ besteht, versah Popcornkino-Ikone Tony Scott
(„Top Gun“, „The Last Boy Scout“) den Film mit mächtigem visuellen Tempo
und sehr hübsch choreographierten Gewalteinlagen (den großen Shoot-out
am Ende muß man gesehen haben, um es zu glauben). Herausgekommen ist dabei
so etwas wie die hochglanzpolierte Comic-Version von „Pulp Fiction“: ein Film
mit einem hoffnungslos romantischen Märchen als Grundgeschichte, überlagert
mit einem hemmungslos gewalttätigen Crime-Plot, der sich selbst zu keinem
Zeitpunkt so richtig ernst nimmt und daher für manch lautstarken Brüller
gut ist.
Das
Ganze macht vor allem deshalb so einen gewaltigen Spaß, weil man das Vergnügen
spürt, das die Macher gehabt haben müssen. „True Romance“ ist eines
der sehr seltenen Projekte, bei dem eine Vielzahl großer Namen für
ein besseres Frühstück mitmachten, weil sie einfach Bock drauf hatten.
Und wenn solche Leute erst einmal Bock haben, dann gehen sie auch richtig fein
ab: Berufs-Bösewicht Gary Oldman ist als Alabama’s Zuhälter Drexl
schlichtweg das größte abgefuckte Arschloch aller Zeiten. Dennis
Hopper erklärt Christopher Walken in der vielleicht besten Szene, die Tarantino
je geschrieben hat, die wahre Herkunft der Sizilianer. Samuel L. Jackson, James
Gandolfini oder Tom Sizemore haben ähnlich feine Kurzauftritte. Tony Scott
leistet sich den Luxus, jemanden wie Val Kilmer in eine Rolle zu packen, in
der er unmöglich zu erkennen ist. Und der damals noch sehr unverbrauchte
Brad Pitt erfreut den Zuschauer als der Inbegriff des ewig bekifften Mitbewohners.
Simply hilarious.
„True
Romance“ ist schlicht und einfach 100 % purer Spaß, und für jeden
Filmliebhaber sowieso Pflichtprogramm. Die Verbindung zur Entstehung zu „Pulp
Fiction“ ist übrigens folgende (ein bißchen Trivial-Wissen zum Protzen
auf der nächsten Party): „True Romance“ war ursprünglich die erste
Hälfte eines Drehbuchs, das Tarantino zwecks Geldbeschaffung aufbrach und
in zwei Teilen verkaufte. Das eine Stück ging für 1,5 Millionen Dollar
an Tony Scott, die zweite Hälfte erstand ein gewisser Oliver Stone und
machte daraus „Natural Born Killers“. Warum sich Tarantino heutzutage wesentlich
besser mit Tony Scott als mit Oliver Stone versteht, dürfte auf der Hand
liegen. Jedenfalls: Mit besagten 1,5 Millionen Dollar hatte Tarantino das nötige
Kleingeld zusammen, um „Reservoir Dogs“ ins Rollen zu bringen. Der wiederum
sorgte für die nötige Reputation, dank der halb Hollywood seine Tür
einrannte zwecks einer Rolle in seinem nächsten Streifen. Und der ist ja
bekanntlich längst Filmgeschichte.
Noch
ein Wort der Warnung: Die Fernsehfassung von „True Romance“ braucht man sich
gar nicht erst antun. Diese ist nämlich identisch mit der Schnittversion
von United Video (um die man sowieso immer einen Riesenbogen machen sollte),
die von der Originalfassung ca. 5-10 Minuten kürzten. Besonders schlimm
ist dies beim erwähnten grandios-genialen Showdown: Vom mehrminütigen
Schluß sind ca. 30 Sekunden übrig gelassen worden, die auch noch
das eigentliche Ende aussparen. Eine der größten Frechheiten, die
auf dem Videomarkt erhältlich sind.
F.-M.
Helmke
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Zu diesem Film gibt's im archiv mehrere Kritiken
True Romance
usa 1993
regie: tony scott
drehbuch: quentin tarantino
cast: christian slater,
patricia arquette,
michael rapaport,
christopher walken,
gary oldman,
brad
pitt,
dennis
hopper,
bronson pinchot, u.a.
spielzeit
119 min.
zur startseite
zum archiv