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U-Carmen
Ein Ja für
die Üppigkeit!
Hüften schaukeln in mordsengen Jeans: "U-Carmen
eKhayelitsha" (Wettbewerb, Berlinale 2005) bringt die ernste Sache Carmen
mit Vergnügen und vielen Zigaretten zum Ende
In Khayelitsha ist die "Carmen"-Sängerin
Pauline Malefane geboren, und in einem südafrikanischen Township von heute
brilliert Bizets Oper, alles andere als abgenudelt. Wo ich mir sonst die Ohren
zuhalte, wenn es wieder mit Auf-in-den-Kampf-Torero losgeht. Im Film vom Opernregisseur
Mark Dornford-May weiß ich, was es mit meinem alten Weghören auf
sich hat. In dem neuen südafrikanischen Film wird klar, wie reguliert,
reduziert, weginszeniert meine Carmens bislang waren, on
diet die Sängerinnen, gar die
Darbietung insgesamt. Jetzt mache ich auf meine alten Tage die neue Erfahrung,
dass ich auf üppige Frauen und dicke Männer stehe.
Den lieben langen Film hindurch Mordshüften,
Superschenkel, Bäuche, jawohl, und dann die Riesenbrüste, die bei
uns, an den Magerkörpern, nur als Implantat erscheinen können. Halten
wir fest: Üppig sein ist total erotisch, wenn man sich so bewegen kann
wie die Südafrikaner im Township, die Hüften schaukeln in mordsengen
Jeans - nicht meinetwegen, sondern ihretwegen. Eine ernste Sache ist die Carmen-Tragödie
gewiss, doch kann man das mit viel Spaß und Witz zu Ende bringen, was
man sich hierzulande merken sollte: Das Sortieren in Show-für-die-Zielgruppe
und Anliegen-für-Problemlöser ist dürftig. Ein großes Ja
fürs Üppige! Und wie war das eigentlich zu Bizets Zeiten? Wie sahen
denn die Frauen bei Renoir aus? Und wenn wir schon dabei sind: Wer sonst kann
beim Hüftenwiegen und Singen den Kaffeebecher, der grad in der Hand ist,
auf den Kopf stellen? Und geraucht wird dazu, wenn es Spaß macht, also
immer. Ich kenne keine Inszenierung, in der so wahrheitsgetreu wie genussvoll
beschrieben wird, wie das ist, wenn man den Rauch der Lunge entsteigen lässt
und sieht, wie er sich mit der Luft vermischt. Gleich fang ich wieder an damit.
Ende der Diskussion.
Die Arbeit in der Zigarettenfabrik, das Leben im
Township, all das hat dokumentarischen Anstrich. Zwischen Inszenierung und Abbild
wird nicht sortiert. Auch nicht berücksichtigt, dass die Polizei von Kapstadt
den Film unterstützt hat - jedenfalls dort nicht, wo korrupte Polizisten
Frauen schlagen und Sex erpressen. Nichts mit Sponsor-Bedienen. Umgekehrt. Die
"Carmen von Khayelitsa" nutzt die Bizet-Vorlage, um schnell mal zu
zeigen, wie Kollegen fürsorglich im richtigen Moment ein Kondom ins Auto
werfen. Oder wie man die Oper ebenfalls im richtigen Moment mit traditioneller,
aber aktueller afrikanischer Musik unterfüttert. Das große Finale
ist nicht Bizet, sondern Eigenes, mindestens ebenbürtig in der Schlusstotalen.
Umgekehrt ist es uns mit dem Film ergangen, der beim
Drehen noch "Die Spalte" hieß. In Simbabwe. Aber der Regisseur
war ein Weißer (Schlingensief), und ich war weiß uniformiert, kolonialzeitmäßig.
Die verführerische Ortsmusik von Harare wurde in der Endmischung ("United Trash") eliminiert. Carmen aus Khayelitsha hat meinen
Gefühlshaushalt wieder aufgepäppelt. Danke!
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen
am 14.2.2005 in der taz Berlin lokal
U-Carmen
Südafrika
2005 - Originaltitel: U-Carmen eKhayelitsha - Regie: Mark Dornford-May - Darsteller:
Pauline Malefane, Andile Tshoni, Lungelwa Blou, Zorro Sidloyi, Andries Mbali,
Zamile Gantana, Andiswa Kedama - FSK: ab 6 - Fassung: O.m.d.U. - Länge:
122 min. – Goldener Bär der Filmfestspiele Berlin, 2005 - Start: 22.12.2005
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