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Die
üblichen Verdächtigen
Kammerspiel vs.
Heistthriller
Die üblichen Verdächtigen (in Anlehnung
an Capt. Renaults Anweisung aus „Casablanca“: „Round up the usual suspects!“) Michael McManus,
Dean Keaton, Fred Fenster, Todd Hockney und Roger ‚Verbal’ Kint, von Haus aus
allesamt keine Kinder von Traurigkeit, waren schon des Öfteren Opfer polizeilicher
Willkür. Besonders Keaton, der den Geläuterten mimt, ist ziemlich
angefressen. McManus, Fenster und Hockney wollen zurückschlagen und haben
auch schon was ausbaldowert, Keaton soll aber dabei sein und Kint soll ihn überreden,
um auch mitmachen zu dürfen. Denn irgendwie passt er nicht dazu, als Trickbetrüger,
als Krüppel in einer hard-boiled Mobsterbande. Kint verdient sich aber
seine Meriten, indem er einen ausgeklügelten Plan entwickelt, der der rüpelhaften
und stilistisch gesenkten Herangehensweise seiner Kompagnons überlegen
ist. Die Freude der fünf währt aber nicht lange, denn ein weiterer
Coup bringt die Truppe in Schwierigkeiten. Diesmal hängt zwar nicht die
Allmacht der Polizei als Damoklesschwert über ihnen, aber die bedrohliche
Omnipotenz eines geheimniskrämerischen Gangstergottes – Keyser Söze,
der Wiedergutmachung will und die fünf indirekt für ein „Großprojekt“
anheuert.
Kint vs. Kujan: ‚Verbal’ Kint, unversehrter Überlebender
jenes mittlerweile Wochen zurückliegenden Großprojektes, erklärt
sich bereit, mit dem ehrgeizigen Zollfahnder Kujan ein paar Worte über
das Ganze zu wechseln. Kints Verbrecherromantik („Ich verpfeife keinen.“) ist
zwar für seinen Aggressor Kujan nicht sonderlich hilfreich, trotzdem kann
sich dieser aus dessen episodenhaften Erzählschnipseln eine Wahrheit zusammenbasteln.
Die liegt ihm aber wenig später in Scherben zu Füßen.
„Die üblichen Verdächtigen“ verflechtet
diese beiden Erzählbahnen geschickt durch einen permanenten Wechselgesang
elliptischer Erzählblasen. Einmal bewegt sich der Film im Jetzt und dabei
zumeist beim Dialog zwischen Kint und Kujan. Dann in der Vergangenheit, von
der man sich erhofft, dass sie Aufschluss gibt über das, was so lange nebulös
im Verborgenen bleibt.
Gleichberechtigt sind beide Erzählstränge
aber nicht, denn der jetzige ist zunächst einmal faktisch, der vergangene
aber ist stark abhängig von der Redseligkeit, Kooperationsbereitschaft
und vor allem von der Wahrheitsliebe des Befragten.
Viel mehr kann man erstmal nicht sagen, ohne die
Katze aus dem Sack zu lassen. Deshalb gilt ab hier strikte Spoiler-Warnung.
Das Ungegenständliche, das diesen sinisteren
und manchmal übertrieben apotheosierten Keyser Söze (im Verlauf des
Filmes von mehreren Darstellern gespielt) definiert, gibt ihm sowohl einen mythischen
als auch einen mystischen Touch. Da das Abstrakte und Ungreifbare zwar faszinierend,
aber auf Dauer natürlich ziemlich unbefriedigend ist, wird der Film schließlich
dem hollywoodesken Aufklärungszwang gerecht und bietet eine Lösung,
die eindeutig scheint und ehrlich gesagt auch am schönsten ist. Und obwohl
der Film wahrscheinlich keine alternativen Lösungen im Sinn hatte, sind
solche bei sachter Überdehnung des Interpretationsspielraums durchaus möglich
und auch legitim, vor allem, weil die intendierte bei genauer Betrachtung zuweilen
stark hinkt.
Wenn man sich auf keine Variante wirklich einlassen
möchte und das auch kaum gerechtfertigt werden kann, bleibt Söze objektiv
betrachtet ohne eindeutige Identität, ein Wesen ohne konkrete Eigenschaften,
eine leere Entität, in die man alles erdenkliche reinstecken kann. Das
nimmt Kint dann auch wahr, aber seine potenziell subjektbildenden Ausführungen
sind, wie bekannt, wenn überhaupt, maximal Halbwahrheiten. Und Kint selbst?
Ist er Sözes bester Schauspieler? Ist er Söze selbst? Ist Söze
überhaupt existent oder nur ein impermeabler Schutzschild einer professionell
strukturierten Verbrecherorganisation gegen lästige Ermittler, eine motivierende
Fährte, die sich immer als Holzweg entpuppt (prinzipiell wie bei „Der unsichtbare
Dritte“) und damit umso mehr anstachelt.
Gabriel Byrne war sogar eine zeitlang von der Vorstellung angetan, Keaton sei
Söze.
Im Sinne der filmischen Glaubwürdigkeit ist
es also denkbar, dass am Ende gar keine (halbgare) Wahrheit da steht, und nicht
Illusion mit Wirklichkeit, sondern Illusion mit Überillusion konfrontiert
wird.
Wenn man sich aber an der vorgesehenen Lösung
des Filmes orientiert und Kint doch Söze ist und kein Fallensteller, der
turnusmäßig den Mythos auffrischt, was hat ihn dann dazu bewogen,
sich einer solchen Gefahr auszusetzen und sich derart selbst zu inszenieren,
wie es, wenn man Kint Glauben schenkt, Sözes übervorsichtigem Habitus
kaum mehr widersprechen könnte? Genau hier wackelt die vom Film gedachte
Erklärung, denn es ist schwer nachvollziehbar, dass ein einflussreicher
Gangsterboss, der sich von Berufs wegen in einen klandestinen Umhang hüllt,
seine exhibitionistische Ader entdeckt und seinen stets inferioren Häschern
auf der Nase herumtanzt, um seiner Überlegenheit emphatisch Ausdruck zu
verleihen. Die letzte Konsequenz dieses provokanten Affronts ist dabei dann
auch die zeitlich abgestimmte - deshalb aber sehr riskante - Enthüllung
seiner Identität, für deren Geheimhaltung er doch sonst über
Leichen geht.
Aber wie gesagt, Söze hat kein festes Gesicht.
Der übergestülpte Schluss lässt also
alles in lediglich vager Abgeschlossenheit enden und zwingt zum raschen gedanklichen
Nacherleben, zum Aufdröseln und Auseinanderklamüsern des dreist Aufgetischten.
Der Film täuscht so geschickt, aber teilweise auch unlauter, dass zwischenzeitliche
Mutmaßungen immer wieder im „Nein, das kann doch nicht sein…“ erstickt
werden. Kints körperliche Behinderung ist dabei nicht nur der ostentativen
und notwendigen Ausstellung des Imperfekten zuträglich, das sich dann ins
Perfekte wandelt, sondern produziert auch etwas vorgaukelnd Suggestives, das
natürlich auf einen passenden Nährboden gepflanzt wird, indem es auf
die gefestigte aber trügerische Gewissheit des Zuschauers trifft, dass
das im Film Gezeigte werkimmanent für real zu halten ist. Wenn sich ansonsten
etwas als irrealer Spuk erweist, dann ist in der Regel ein Traum die Erklärung
– und das wäre in diesem Fall ein noch plumperes Totschlagargument gewesen,
konnte also gar nicht erst erwogen werden.
Das Publikum ist inhärenter Bestandteil des
Filmes. Seine substanzielle Rolle wird einem, wenn nicht schon beim „Verhör“,
dessen Zustandekommen überhaupt fragwürdig ist, dann aber spätestens
am Ende deutlich. „Die üblichen Verdächtigen“ erweist sich als purer
Hollywoodfilm, dem die Anwesenheit des Zuschauers immer bewusst ist. Für
wen hätte der Protagonist, der sich schon mal vorsorglich in adrettes schwarz
gekleidet hat, seine überwältigend-theatralische Metamorphose vom
Bodensatz zum Olymp, vom abgebrochenen Zahnkranz zum Motor der Unterwelt denn
sonst zelebrieren sollen. Zur Vervollkommnung dieses Quasi-Verfremdungseffektes
hätte nur noch gefehlt, dass er sich zur Kamera gedreht und direkt an sein
geneigtes Publikum gewandt hätte.
„Die üblichen Verdächtigen“ zeichnet sich
durch seine handwerkliche Klasse, eine, nicht nur nominell starke Besetzung,
einen Score, der die dichte Atmosphäre adäquat unterstützt und
ein mit Einschränkungen solides Drehbuch aus, dessen dramaturgische Spirenzchen
aber auf abstrusen Unwahrscheinlichkeiten fußen, die dem gesunden Menschenverstand
kaum eine wirkliche Chance lassen.
Regisseur Singer und Drehbuchautor McQuarrie, die
im Film Cameos als Verhörpolizisten haben, verblüffen zwar mit der
Brechtstange, trotzdem hat es selten so viel Spaß gemacht, düpiert
zu werden. Dass da im Nachhinein einiges windschief wirkt, sich neben den erwähnten
Unklarheiten beispielsweise noch die Frage aufdrängt, warum das Ermittlertriumvirat
von Kobayashi spricht, als sei dieser real ("Kobayashi!" - "New
York hat mir ´ne Kopie von seiner Aussage gefaxt. Er war ein Spitzel.")?
Na ja. Geschenkt. Der Gesamteindruck stimmt jedenfalls.
Erik Pfeiffer
Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Die
üblichen Verdächtigen
THE
USUAL SUSPECTS
USA - 1995 – 105
min. - Erstaufführung: 18.1.1996/8.10.1996 Video/1.2.2001 DVD
Regie: Bryan Singer
Buch: Christopher McQuarrie
Kamera:
Musik: John Ottman
Schnitt: John Ottman
Darsteller: Stephen Baldwin (Michael McManus), Gabriel
Byrne (Dean Keaton), Benicio Del Toro (Fred Fenster), Kevin Pollack (Todd Hockney),
Kevin Spacey (Roger ‚Verbal’ Kint), Chazz Palminteri (Dave Kujan), Pete Postlethwaite
(Kobayashi), Giancarlo Esposito (Jack Bear), Suzy Amis (Edie Finneran), Dan
Hedaya (Sgt. Goeffrey ‚Jeff’ Rabin), Paul Bartel (Schmuggler), Carl Bressler
(Saul Berg), Phillip Simon (Fortier), Jack Shearer (Renault), Christine Estabrook
(Dr. Plummer)
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