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Die
üblichen Verdächtigen
Nothing
is what it seems
Es
gibt Filme, die erlangen durch überaus dubiose Kanäle ihren Kultstatus.
Nun kann man über den Begriff ‚Kult’ denken, wie man will, im Falle von
„Die üblichen Verdächtigen“ lässt sich kaum bestreiten, dass
dieser Film seit seinem Erscheinen im Jahre 1995 unter Filmkennern zum absoluten
Kult avanciert ist.
Die
Geschichte hinter diesem Film ist aber auch zu schön.
Zwei
Herren stehen eines Abends in der Kinoschlange und überlegen sich, wie
ihr nächstes Drehbuch aussehen, wovon der nächste Film handeln könnte.
Ohne eine konkrete Idee zur Story zu haben, sind sie sich bereits darüber
einig, wie das Kinoplakat zum Film aussehen wird: Fünf Herren soll man
bei einer Gegenüberstellung sehen. Das legt den Schluss nahe, dass ein
wie auch immer geartetes Gangsterfilmchen entstehen dürfte.
Was
dann auch der Fall ist. Mit unverschämt schmalem Budget und innerhalb von
nur 28 Tagen Drehzeit entsteht ein Film, der an der Kinokasse nur durchschnittlich
erfolgreich ist, der aber so ziemlich jeden, der irgendwann einmal das Glück
gehabt hat, ihn sehen zu dürfen, in seinen Bann gezogen haben dürfte.
„Verhaften
sie die üblichen Verdächtigen“, heißt es sinngemäß
im Filmklassiker „Casablanca“.
Die üblichen Verdächtigen sind im Falle des Films von Bryan Singer
fünf Herren, die mit dem Gesetz, wie sollte es auch anders sein, nicht
auf dem besten Fuße stehen. Dean Keaton (Gabriel Byrne), Todd Hockney
(Kevin Pollack), die Kumpel McManus (Steven Baldwin) und Fenster (Benicio DelTorro)
sowie Roger ‚Verbal’ Kint (Kevin Spacey) treffen, so erfahren wir durch die
Erzählung Verbals, bei einer fadenscheinigen Gegenüberstellung aufeinander.
Dies nehmen sie zum Anlass, gemeinsam ein Ding zu drehen. Sträubt sich
Keaton, der inzwischen mit der Anwältin Edi zusammen ist und zu einem rechtschaffenen
Bürger werden will, zunächst gegen die Pläne seiner vier Kollegen,
so lässt er sich schon bald vom geschwätzigen Verbal („People say
I talk too much...“) breitschlagen. Ein Ding wollen sie drehen, doch nach Drehen
dieses einen Dings taucht der mysteriöse Kobayashi (Pete Postlethwaite)
auf. Im Auftrag des noch viel mysteriöseren Keyser Soze teilt er den fünf
Herren mit, dass sie einen weiteren Deal zu erledigen haben – andernfalls wird
es ihnen und ihren Lieben schlecht ergehen.
All
dies und noch viel mehr jedenfalls behauptet Verbal. Die verschachtelte und
überaus clevere Erzählung beginnt da, wo der Film im Grunde endet
– mit dem Ergebnis des von Keyser Soze eingeforderten Deals. Selbiger läuft
nämlich bei Weitem nicht so glatt, wie die fünf Kriminellen sich das
erhofft hatten. Verbal ist der einzige Überlebende und wird von Agent Kujan
(Chazz Palminteri) verhört. Besonders interessiert ist dieser an Dean Keaton,
dem er schon lange auf der Spur ist. Dass Keaton tot sein soll, will Kujan nicht
glauben. „Convince me!“, fordert Kujan Verbal auf – und Verbal, das muss man
dem verkrüppelten Kleinganoven lassen, gibt sein Bestes. In allen Einzelheiten
erzählt er vom ersten Zusammentreffen der fünf Ganoven und der Durchführung
der ersten Straftat. Immer wieder wird er dabei von Kujan unterbrochen, in die
Enge getrieben, angeblafft. „I am smarter than you!”, gibt Kujan Verbal zu verstehen
– und der Zuschauer ist geneigt, ihm zuzustimmen, denn einen besonders cleveren
Eindruck macht der Krüppel nicht gerade. Zwar hatte er den genialen Plan
zur Durchführung des ersten Deals geliefert, was ihm den liebevollen Spitznamen
‚the man with the plan’ einbrachte... doch Kujan scheint er nicht gewachsen
zu sein.
An
dieser Stelle sei gesagt, dass es im Grunde müßig ist, die Geschichte
des Films weiter zu vertiefen, denn alles läuft auf Folgendes hinaus: Nothing
is what it seems. Die Story von „Die üblichen Verdächtigen“ wird uns
zu 90% von einer der Figuren des Films erzählt – was bedeutet, dass nichts
von dem, was der Zuschauer da präsentiert bekommt, auch wirklich wahr sein
muss. Dass dem so ist, vergisst man zwar während des Sehens immer wieder,
und so ist man geneigt all das, was auf der Leinwand vor sich geht, als die
einzige und absolute Wahrheit zu akzeptieren. Doch ganz am Ende steht man dann
vor den Trümmern seiner Wahrnehmung und dessen, was man für bare Münze
genommen hatte – und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Singer
spielt virtuos auf der Klaviatur der beiden großen Ws: Wahrnehmung und
Wahrheit. Dabei verlangt er dem Zuschauer ungewöhnlich viel ab: Absolute
Aufmerksamkeit, konzentriertes Mitdenken und, wenn möglich, auch noch cleveres
Kombinieren. Puzzlestücke wollen zusammen gesetzt, Verbindungen hergestellt
werden... wer da nicht richtig aufpasst, kann schnell den blutroten Faden verlieren.
Wahrnehmung
und Wahrheit sind essenzielle Bestandteile einer filmischen Erzählung.
Ein Film will dem Zuschauer generell Glauben machen, dass das, was er erzählt,
die absolute Wahrheit innerhalb seiner filmischen Erzählung ist. Normalerweise
gibt es auch wenig Grund, an dem, was sich auf der Leinwand abspielt, zu zweifeln.
Meist werden Filme, selbst Filme aus dem Thrillergenre, so direkt, so ‚straight-forward’
erzählt, dass man ihnen ohne große Anstrengung folgen kann. Schon
gar nicht werden Wahrheiten vorgegaukelt, die sich am Ende der Erzählung
als völlig falsch erweisen. Das liegt unter anderem auch daran, dass man
es in den meisten Fällen mit einer auktorialen Erzählung zu tun hat.
Der Regisseur oder höchstens noch der Drehbuchautor erzählen uns ihre
Geschichte – warum sollten wir am Wahrheitsgehalt dessen, was sie uns erzählen,
zweifeln?
„Die
üblichen Verdächtigen“ nun bedient sich eines anderen Erzählstils.
Eine Figur des Films, Verbal Kint, erzählt einer anderen Figur und damit
auch dem Zuschauer, was sich zugetragen hat. Und obwohl der Zuschauer von Beginn
an weiß, dass er der Erzählung einer Filmfigur folgt, fällt
ihm nicht ein, irgendetwas von Verbals Bericht anzuzweifeln. Selbst Agent Kujans
Einwürfe und sein Widerspruch lassen den Zuschauer das Erzählte nicht
hinterfragen. Der Zuschauer nimmt die Geschichte so wahr, wie Verbal sie präsentiert.
Singer
ist sich der Sehgewohnheiten seines Publikums nur zu bewusst und spielt mit
der Wahrnehmung des Zuschauers. Und obgleich er seinem Publikum immer wieder
Möglichkeiten bietet, das Gesehene zu hinterfragen, verlässt es sich
darauf, Verbal Glauben schenken zu können. Was am Ende zu einem Aha-Erlebnis
führt, wie man es selten im Kino zu sehen bekommt.
Im
Grunde ist „Die üblichen Verdächtigen“ eine Reflexion über das
Geschichtenerzählen. Nicht nur das Geschichtenerzählen im Kino, sondern
ganz generell das Erzählen von Geschichten. Wie leicht werden wir dazu
verleitet, allem, was uns erzählt wird, zu glauben? Dabei spielt es meist
noch nicht einmal eine Rolle, wer uns etwas erzählt, und worum es sich
dabei dreht. Seien es die täglichen Nachrichten, seien es Romanerzählungen,
seien es Urlaubserzählungen von Freunden, seien es... ja seien es ciao-Berichte:
Ob ausgeschmückt oder nicht, ob sachlich oder euphorisch, wir sehen meist
keinen Anlass, am Wahrheitsgehalt des Erzählten zu zweifeln.
Sind
wir deshalb leichtgläubig? Wer weiß. Bryan Singer jedenfalls macht
sich eine gewisse Leichtgläubigkeit des Zuschauers zunutze, spielt mit
Erwartungshaltungen (denn hey: Diesem Verbal MUSS man doch einfach glauben!)
und führt den Zuschauer mit diebischer Freude hinters Licht.
Von
dem, das sei der Vollständigkeit halber noch erwähnt, ohnehin nicht
viel zu sehen ist in diesem Film, der sich an seine Vorbilder aus der Film Noir-Bewegung
anlehnt. Stilistisch ist „Die üblichen Verdächtigen“ ein wahrer Augenschmaus,
exotische locations und ein interessantes Spiel mit Licht und Schatten lassen
kaum erahnen, wie gering die Produktionskosten tatsächlich gewesen sind.
Hinzu kommt ab einem bestimmten Punkt eine gewisse Ausweglosigkeit, mit der
sich die fünf Helden des Films konfrontiert sehen – auch immer gern genommen
in den klassischen Film Noirs der 40er und 50er Jahre.
Abschließend
bleibt zu sagen, dass Bryan Singer mit seinem Film ein großer Wurf gelungen
ist – auch, wenn’s an der Kinokasse damals kaum jemand zur Kenntnis genommen
hat. Das Drehbuch ist verdientermaßen mit einem OSCAR veredelt worden,
ebenso wie die schauspielerische Leistung von Kevin Spacey. Es gibt viel zu
sehen in diesem Film, und das immer und immer wieder; einer der wenigen Filme,
die mit jedem Sehen noch eine Idee besser werden. Und einer der wenigen Filme,
die man nach dem ersten Sehen sofort noch mal sehen sollte – denn wer lässt
sich schon gerne nach Strich und Faden verarschen? Und außerdem hätte
man doch gerne gewusst, ob man nicht gleich in Runde 1 dahinter hätte kommen
können, wer denn nun eigentlich Keyser Soze ist...
Petra
H. Knobel
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei: www.ciao.de
Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Die
üblichen Verdächtigen
THE
USUAL SUSPECTS
USA - 1995 – 105
min. - Erstaufführung: 18.1.1996/8.10.1996 Video/1.2.2001 DVD
Regie:
Bryan Singer
Buch:
Christopher McQuarrie
Kamera:
Musik:
John Ottman
Schnitt:
John Ottman
Darsteller:
Stephen Baldwin (Michael McManus), Gabriel Byrne (Dean Keaton), Benicio Del
Toro (Fred Fenster), Kevin Pollack (Todd Hockney), Kevin Spacey (Roger ‚Verbal’
Kint), Chazz Palminteri (Dave Kujan), Pete Postlethwaite (Kobayashi), Giancarlo
Esposito (Jack Bear), Suzy Amis (Edie Finneran), Dan Hedaya (Sgt. Goeffrey ‚Jeff’
Rabin), Paul Bartel (Schmuggler), Carl Bressler (Saul Berg), Phillip Simon (Fortier),
Jack Shearer (Renault), Christine Estabrook (Dr. Plummer)
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