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Das
Ufer der Frauen ohne Männer
Erwachsene
Frauen, die noch niemals in ihrem Leben eine Männerhand berührt haben.
Ganze Dörfer, ganze Frauengenerationen, die jahrzehntelang ohne Männer
leben, und dies in einer Kultur, in der eine unverheiratete Frau noch heute
schon im Alter von 23 als alte Jungfer gilt. Dorfstrukturen, die zerfallen,
wenn ein Mann in diese Frauenwelt tritt und die Unmöglichkeit, in dieser
Situation ein Privatleben zu führen. Luu Trong Ninhs Film Ben
Khong Chong
zeigt uns das Dorf, in dem es liegt, das Ufer der Frauen ohne Männer, und
es zeigt damit auch dem europäisch verwurzelten Rezipienten Probleme auf,
die sonst kaum in unser Bewusstsein dringen.
Jahrzehntelang
vom Krieg geschüttelt, entstand in vielen ländlichen Gebieten Vietnams
eine männerlose Gesellschaft, und von einem solchen Fall erzählt dieser
Film, der auf einem in Vietnam sehr erfolgreichen Roman beruht. Es wird die
Geschichte einer ganzen Frauengeneration erzählt, und die eines Mannes,
des einzigen im Dorf. In der Narration lehnt sich Ben
Khong Chong
hauptsächlich an das klassische amerikanische Melodram der 50er Jahre an,
an die große Geschichte vom Verzicht. Von der Frau, die zehn Jahre lang
auf ihren Mann wartet, und als dieser aus dem Krieg zurückkehrt, die einzige
im Dorf ist, die einen Ehemann vorweisen kann. Von dem enormen Druck, der auf
ihr lastet, endlich schwanger zu werden, dem Dorf wieder einen Nachfahren zu
gebären. Und von dem Hass des ganzen Dorfes, der langsam auf sie fällt,
als sie länger und länger nicht schwanger wird. Davon, wie auch der
Mann dazu gedrängt wird, gegen seinen Willen eine andere Frau zu heiraten,
um Nachfahren zu gebären, weil das kollektive Unterbewusstsein des Dorfes
sich weigert zu erkennen, daß er, der Radartechniker aus dem Krieg, derjenige
ist, der keine Kinder bekommen kann. Und davon, wie die Frau daraufhin das Dorf
verläßt und verzichtet, unter dem Druck der Konventionen der sie
umgebenden Gesellschaft. Von unzähligen weiteren ähnlich tragischen
Geschichten der Frauen aus dem Dorf am Fluß, die diejenigen sind, die
unter dem Krieg am meisten zu leiden haben.
Dennoch,
auch wenn eine Inspirationsquelle für Luu Tron Ninh sicherlich der amerikanische
Film war, so ist sein Werk doch gänzlich von diesem unterschiedlich und
unabhängig. So gibt es rein formal eine gänzlich verschiedene Schnittkonvention,
für den westlichen Betrachter zunächst sicherlich ungewohnt, wie nach
einem Schnitt drei Jahre vergehen, und nach dem nächsten noch einmal zwei
weitere. Auch sucht man vergeblich nach Einahltung der in Hollywood so verbreiteten
180°-Regel (Die Kamera filmt die Protagonisten immer nur von einer Seite
aus, wechselt nie über deren Blickachse hinweg), und, vielleicht am wichtigsten,
der Film ist zwar bewegend, aber in keinem Moment sentimental, weil er die dargestellten
Ereignisse nicht symbolisch überhöht, weil nicht, wie in Hollywood,
die Bilder und Objekte zum Träger von Emotion werden, sondern die Personen.
Mit einem Budget von gerade mal 60.000 $ ist Luu Trong Ninh und seinem Bruder
Luu Trong Van, der sich für die Adaption des Romans verantwortlich zeigte,
ein großer Wurf gelungen. Ein Film, der Frauenschicksale darstellt, ohne
sie zu bemitleiden und dadurch zu fetischisieren, ein Film, der über die
vietnamesische Vergangenheit spricht, ohne zu verklären. Hierbei sollte
allerdings auch nicht verschwiegen werden, daß der vietnamesische Staat
als Träger der Förderung des Filmes einige wichtige Szenen aus dem
Film schneiden ließ, die als Ausgangpunkt des Filmes gedacht waren, und
die sich mit der sozialistischen Vergangenheit des Landes befassten, in der
Großgrundbesitzern ihr Eigentum und in vielen Fällen auch ihre Identität
genommen wurde.
Ein
beeindruckender Film, ein hervorragender Film, ein Film aber auch, dem absehbarerweise
das gleiche Schicksal droht wie so vielen Produktionen der Länder, die
hierzulande als filmtechnisches Entwicklungsland gesehen werden, das Schicksal
nämlich, abgesehen von wenigen kurzen Auftritten auf Filmfestivals mehr
oder minder unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu laufen und keinen Verleih
auch nur zu interessieren. Wenigstens kann Ben
Khong Chong
eine erfolgreiche Laufzeit in seiner Heimat aufweisen, ein Erfolg, der ihm von
Herzen zu gönnen, weil so wohlverdient ist. Das Internationale Forum des
Jungen Films widmet seinen Länderschwerpunkt während der 51. Berlinale
Vietnam, und Ben
Khong Chong
ist einer der ersten gezeigten Filme in diesem Kontext. Weitere Filme werden
u.a. Luu Trong Ninhs früherer Film Nga
Ba Dong Loc,
Le Hoangs Ai
Xuoi Van Li
und Nguyen Thanh Vans Doi
Cat
beinhalten.
Benjamin
Happel
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Das
Ufer der Frauen ohne Männer
(Ben
Khong Chong)
Luu
Trong Ninh
Vietnam
2000
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