zur
startseite
zum
archiv
Ultranova
"Ultranova"
erhält beide Hauptpreise
Belgier Bouli Lanners gewinnt in Gijon
Gijon. Nach dem Cannes-Sieg von "L'enfant"
kann die Wallonie in diesem Jahr einen weiteren internationalen Festivalpreis
verbuchen. Der Film "Ultranova", gedreht in der Umgebung der belgischen
Provinzhauptstadt Lüttich, erhielt in Gijón die Hauptpreise der
beiden großen Juries. Das "Festival Internacional de Cine" gehört
nach San Sebastian zu den wichtigsten Filmevents Spaniens.
Mit einem Knall wendet sich der Film "Ultranova"
um den stillen Angestellten einer Immobilienfirma und mit einem Knall endete
auch das 43. Filmfestival von Gijon (28.11. - 2.12.2005): "Ultranova"
erhielt sowohl den Hauptpreis der Internationalen Jury als auch den Preis der
FIPRESCI, des internationalen Kritikerverbandes. Eine klare Entscheidung, die
allerdings nicht überall auf Zustimmung stieß.
Der Knall steht zentral und am Anfang sowie am Ende.
Es ist ein Airbag, der völlig ohne Grund explodiert. Eine Nebenfigur meint
dazu: Ein Zeichen! Dafür, dass man auf einem falschen Weg war. Dimitris
Wege sind unspektakulär. Mit zwei Kollegen verkauft er Häuser auf
der grünen Wiese, die in dieser Gegend oft als brauner, matschiger Acker
erscheint. Der dürre, mürrische Verbrugghe (Vincent Berlogey) mit
seinem Schnauzer macht sich mit seiner Dauerfresse unbeliebt. Der rundlichere
Phil (Michaël Abiteboul) fängt die Spannungen mit Augenzwinkern auf
und erfreut sich an den Kleinigkeiten des Lebens, etwa der Kellnerin in der
Stammkneipe, die ganz sicher schwanger sei. Dann gibt es die beiden Mädchen
einer Möbelhandlung, die sich für Dimitri interessieren. Das Mäuschen
Jeanne (Marie du Bled) scheint ihn zu kennen und beglückt mit naiven Weisheiten,
die sie aber nicht vor der eigenen Traurigkeit bewahren. Cathy (Hélène
de Reymaeker) wird später Dimitris Freundin werden.
Alle diese Figuren haben ihre Geschichte und verändern
sich vor unseren Augen. Eine große Sorgfalt wird den so genannten Randfiguren
zuteil. Eigentlich beiläufige Szenen erweisen sich als Schlüssel zu
komplexen Persönlichkeiten, das anscheinend Flache zeigt sich als märchen-
oder traumhaft. Kamera und Musik (Jarby McCoy) verstärken diesen Effekt.
Wie auch bei den Brüdern Dardenne aus Lüttich,
die schon zweimal die Goldene Palme gewannen ("Rosetta" und "L'enfant"), spielt in "Ultranova" von Bouli
Lanners die Tristesse der Wallonie und ihrer Menschen eine Hauptrolle. Doch
Tristesse ist eigentlich ein zu schönes Wort für die Trostlosigkeit
zwischen Halden, Maaskanälen und öden Brachen. Es wäre gemein
zu sagen, die Menschen haben sich ihrer Umgebung angepasst, deshalb leihen wir
uns die Worte des Regisseurs Bouli Lanners: Er sieht seine Figuren wie ferne
Himmelskörper, die einsam ihrer Bahnen ziehen. Deshalb auch die Titelkreation
"Ultranova" in Anlehnung an den Sternentod mit einem Knall. Es kann
immer mal passieren, dass der Druck von eingeschlossenem Schmerz und Hoffnungslosigkeit
zu hoch wird. Dann explodiert etwa ein griesgrämiger und besonders aggressiver
Kollege. Und irgendwann explodiert ohne Grund der Airbag im Auto. Ein Zeichen!
Dafür, dass man auf einem falschen Weg war, meint eine Nebenfigur dazu.
Der Regisseur Bouli Lanners (geb. 20. Mai 1965) lebt
in Lüttich. Bislang trat er vor allem als Schauspieler in vielen wallonischen
Filmen auf (u.a. "Les convoyeurs attendent"). Zurzeit hat der enorm
talentierte Lanners einen Film in Postproduktion und einen weiteren in Vorbereitung.
"Ultranova" wird in Deutschland von Peripher vertrieben, einem kleinen
Verleih, der nur schwer die Mittel hat, die Qualitäten dieses Films ins
Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Vielleicht gelingt es mit Hilfe
der Preise von Gijón.
Günter. H. Jekubzik
Dieser Text ist zuerst erschienen
bei:
Ultranova
Belgien
/ Frankreich 2004 - Regie: Bouli Lanners - Darsteller: Vincent Lecuyer, Hélène
De Reymaeker, Michaël Abiteboul, Marie du Bled, Vincent Belorgey, Viviane
Robert, Ingrid Heiderscheidt - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge:
86 min. - Start: 5.1.2006
zur
startseite
zum
archiv