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Die
unbarmherzigen Schwestern
Inhalt:
Bis
zum Jahre 1996 gab es in Irland die sogenannten Magdalenen-Heime. Diese wurden
von katholischen Schwestern geleitet und boten jungen Sünderinnen die Möglichkeit
durch Strafarbeit ihre Taten zu bereuen. Ein uneheliches Kind oder das Geständnis
vergewaltigt worden zu sein, zählten zu diesen Sünden und brachten
junge Frauen in diese getarnten Arbeitslager voller Gewalt, Hass und Spott.
Der Film erzählt die Geschichte von vier Frauen, die in den 60er Jahren
in ein Magdalenen-Heim kommen und wie sie mit der Situation fertig werden.
Kritik:
Eine
Hochzeitsfeier. Ausgelassen tanzen die Menschen, die Trommel, angetrieben von
einem vor Eifer schwitzenden Priester, gibt wild den Takt vor, es wird getrunken,
gelacht und gesungen. Bald darauf finden sich ein junger Mann und eine vielleicht
noch etwas jüngere Frau in einem Zimmer desselben Hauses ein. Er küsst
sie forsch. Sie ist entsetzt, fragt ihn, was das soll, schließlich sei
er ja ihr Cousin. Beim Rausgehen schlägt er ihr die Tür vors Gesicht,
wirft sie damit zu Boden und vergewaltigt sie Sekunden später. Danach finden
sich beide Figuren wieder im Festsaal ein, wo die Feier ununterbrochen fortgesetzt
worden ist. Der Mann trinkt etwas, die Frau spricht scheinbar mit einer Freundin
- scheinbar, denn wir können nur ihre Lippenbewegungen sehen, können
sie der Musik wegen nicht hören. Die blonde Freundin steht auf, spricht
mit dem Vergewaltiger in augenscheinlich aufgeregtem Tonfall. Dann geht sie
weiter, redet mit anderen Männern auf dem Fest, die dann mit dem bis dato
musizierenden Priester hinausgehen. Durch einen Türspalt sehen wir, wie
sie in den Raum deuten, gestikulieren und damit offenkundig die Vergewaltigte
meinen. Tränen fließen über ihr Gesicht. Die nächsten Szenen
zeigen, wie ein Wagen vermutlich einige Tage später vor dem Haus ihrer
Familie vorfährt und sie unvermittelt abholt.
Selten
gelingt es einem Filmemacher, die Koordinaten seines Werkes in einer einzigen
Sequenz in derartiger Präzision abzustecken. Wer genau hinschaut, diese
ersten Szenen ob ihrer Dialogferne nicht als bemühten Kunstgriff, sondern
als prologartige Zusammenstellung der Essenz betrachtet, wird sich vielem bewusst,
was gerade von der Kirche und manchen Kritikern unbeachtet geblieben ist: Peter
Mullans The
Magdalene Sisters
ist ein Pamphlet - jedoch keines gegen die katholische Kirche. Denn wie diese
erste Szene des Films noch mehr als die ihr folgenden deutlich macht, sind die
wahren Initiatoren der grausamen Repressalien nicht der Pater und die Nonnen,
sondern viel eher Vater und Mutter in einem Gesellschaftsbild, das sich verzweifelt
aufbäumt gegen die breit angelegte Entmündigung des Establishments
durch die progressive Jugendbewegung der 60er-Jahre, in denen The
Magdalene Sisters
spielt. Nichtsdestotrotz ist es Mullans erklärtes Ziel, die Degradierung
des Klerus' zum strafenden Werkzeug einer restringierten Gesellschaft zu verurteilen;
aufzuzeigen, dass die katholische Kirche die ihr aufoktroyierte Rolle angenommen
und bereitwillig ausgeführt hat. Er tut dies in einem Film voller Intensität,
Schmerz und Wut.
In
diesem Kontext ist Peter Mullan in gewisser Hinsicht radikal: Er bemüht
sich an nur wenigen Stellen um eine psychologische Verdichtung des Stoffes,
lässt sich beinahe nie auf Stilmittel ein, die seinem kühlen Naturalismus
abwegig wären. Er malt hingegen mit großer Mühe und filmischer
Bravour Bilder, in denen der Gefangenenstatus erfahrbar wird: In bräunlichen,
mich irgendwo ein wenig an Dogma-Filme erinnernden Farbtönen von erstaunlicher
Kraft, skizziert er, wie die Mädchen einen Spießrutenlauf der Entwürdigungen
auf sich nehmen, zu Anfang stets mit dem aufgezwungenen Bewusstsein darüber
im Hinterkopf, dass das, was ihnen hier widerfährt, seine Gründe,
seine Richtigkeit und seinen Sinn hat. Die vier Mädchen, auf die sich der
Film weitgehend vordergründig einlässt, sind Bernadette, Rose, Magaret
und Crispina. Vier unscheinbare junge Frauen, die noch nicht einmal in einem
besonders auffälligen Maße den Umbruchsbewegungen ihrer Zeit "verfallen"
zu sein scheinen. Lediglich ihre Weiblichkeit an sich ist Grundstein ihres Verhängnisses:
Zwei mit unehelichen Kindern (Rose und Crispina), ein Vergewaltigungsopfer durch
den eigenen Cousin (Magaret) und eine, Bernadette, die schlichtweg einmal zu
oft viel sagende Blicke in Richtung der am Zaun des Waisenhauses gaffenden Jungen
geworfen haben muss. Letztere wirkt in ihrer gewissen "Aufmüpfigkeit"
vielleicht noch am ehesten wie das Symbol für eine Zeitenwende, an deren
Ausgang nur die Entmachtung des Althergebrachten stehen kann. Gleichwohl vollzieht
sich an Bernadette wie an kaum einer anderen "Insassin" des Magdalenen-Heims
das klerikale Regiment in all seiner sadistischen Form: In einer der unerträglichsten
Szenen des Films werden ihr nach einem missglückten Fluchtversuch die Haare
von der Oberschwester abgeschnitten, wobei die Schere immer wieder unter der
heftigen Gegenwehr Bernadettes abrutscht und ihr in die Kopfhaut schneidet.
Die Erniedrigung der jungen Frau zieht sich so drastisch fort, dass sie auf
einen Suizidversuch Crispinas irgendwann nur noch verbittert fragen kann, warum
überhaupt irgendjemand noch Anstrengungen unternehmen sollte, sie davon
abzuhalten. Das komplette Brechen des Individuums vor der Heteronomie eines
lückenlosen Kollektivs des Barbarischen ist eines der Kernthemen, denen
sich The
Magdalene Sisters
in der Beschreibung seiner Hauptcharaktere zuwendet. Besonders deutlich wird
dies in der vielleicht psychologischsten Szene des Films, als Magaret per Zufall
eine kleine, unverschlossene Tür im Garten entdeckt, die sie in die Freiheit
bringen kann. Wie ein Atemzug wirken Peter Mullans Bilder in diesen Sekunden,
wenn Magaret vor die Mauern tritt und in der sommerlichen Wärme die Felder
in ungekanntem Grün und Gelb blühen. Minuten lang zögert sie,
lehnt sogar das Angebot eines Autofahrers, sie mitzunehmen ab, bevor sie - natürlich
und unumgänglich - wieder hineingeht. Ist es Angst, die sie bewogen hat,
nicht die Flucht anzutreten? Vielleicht. Vielleicht ist es aber auch die zunehmende
"Einebnung" des autonomen Verständnisses; die Verstümmelung
der Selbstbestimmung durch den Rohrstock der Nonnen.
Die
"Gegenseite" ist in ihrer Zeichnung weniger differenziert dargestellt
und lässt weniger Assoziationen und Gedankenmodelle zu, als die der Mädchen.
Mullan zeichnet die Nonnen und Priester nicht als ein Konglomerat des Bösen,
sondern viel mehr als eines der Unfähigkeit, die gelegentlich in das absolut
Böse umschlägt: Die Nonnen sind von dem, was sie tun, zutiefst überzeugt
und halten eine These, nach der der Mensch, wenn er all seine Sünden auf
Erden abgebüßt hat, nach dem Tod in jedem Fall das Paradies erreicht,
für durchsetzungswürdig. Der Name (Maria Magdalena war ebenfalls eine
"Sünderin", die erst durch ein Leben in Buße geläutert
wurde) besagt es und der Regisseur macht es auch in einer Szene ganz deutlich,
in der die Oberschwester bei einer Filmvorführung von The
Bells Of St. Mary's
(1945) angesichts der eifrig für den Erhalt der Pfarrei eintretenden Schwester
Benedict (Ingrid Bergman) zu Tränen gerührt ist. Mullan macht hierin
deutlich, dass nicht diese Nonnen, beschränkt in ihrem Empfinden für
Menschlichkeit und ihrem pädagogischen Verständnis, die Schuld am
Schicksal von 30.000 jungen Frauen in den Wäschereien der Magdalenen-Heime
tragen, sondern vielmehr eine Kirche und eine Gesellschaft, die diesem Missbrauch
von Macht duldend, ja sogar fördernd gegenüberstanden. Dass die katholische
Kirche hierbei eine differenziert ausgearbeitete Kritik nicht an ihr selbst,
sondern an einem ganz bestimmten, von der Kirche mit zu verantwortenden Sachverhalt,
bei dem sie sich ganz offenkundig zum "Instrument der Sünde"
hat machen lassen, als "antikatholisch" meint deklarieren zu müssen,
ist nicht unbedingt Zeugnis eines selbstehrlichen und reifen Umgangs mit der
eigenen Vergangenheit.
Janis
El-Bira
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Die
unbarmherzigen Schwestern
(The
Magdalene Sisters, 2002)
Regie:
Peter Mullan
Premiere:
30. August 2002 (Venedig Film Festival, Italien)
Drehbuch:
Peter Mullan
Dt.
Start: 09. Januar 2003
Land:
UK, Irland
Länge:
119 min
Darsteller:
Geraldine
McEwan (Schwester Bridget), Anne-Marie Duff (Margaret), Nora-Jane Noone (Bernadette),
Dorothy Duffy (Rose/Patricia), Eileen Walsh (Crispina), Mary Murray (Una), Britta
Smith (Katy), Frances Healy (Schwester Jude), Eithne McGuinness (Schwester Clementine),
Phyllis McMahon (Schwester Augusta), Rebecca Walsh, Eamonn Owens, Chris Simpson,
Sean Colgan, Daniel Costello
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