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Die
Unberührbare
Schriftstellerin
im verzweifelten Abstieg nach dem Mauerfall - schönes Drama von Oskar Roehler.
Inhalt
Herbst
1989: Die Schriftstellerin Hanna Flanders (Hannelore Elsner ) wird vom Fall
der Mauer endgültig aus der Bahn geworfen. Die Alt-68erin hatte immer die
Hoffnung auf die DDR als bessere Hälfte Deutschlands gesetzt - nach dem
Zerfall ihrer Utopie beschliesst sie nach Berlin zu ziehen und einen Neuanfang
zu wagen. Doch sie wird mit der in Veränderung begriffenen Gesellschaft
nicht fertig - ihr Sohn (Lars Rudolph) will sie eigentlich nicht sehen, ihr
Ost-Verleger (Michael Gwisdek), den sie in typischer Überstürztheit
nicht einmal von ihren Plänen informiert hat, zeigt herzlich wenig Interesse
dran, sich seiner ehemaligen Geliebten anzunehmen. Hanna schlägt sich bei
Zufallsbekanntschaften durch, lernt das ostdeutsche Leben kennen und kann auch
damit nichts anfangen. Also beschliesst sie nach München zurückzukehren,
macht davor aber bei ihren großbürgerlichen Eltern (Helga Göhring
und Charles Regnier) Halt - doch auch dort findet sie keinen Anschluss mehr,
kann sich nicht einmal ihren Stolz überwinden und die Mutter um Rettung
vor dem finanziellen Ruin bitten. Als sie nach dem überstürzten Aufbruch
zufällig ihren Ex-Mann Bruno (Vadim Glowna) am Bahnhof trifft, hofft sie
auf einen letzten Ausweg aus der Verzweiflung...
Kritik
"Wie
kannst du einfach weiterleben?": schon zu Beginn hängt der Tod über
diesem Film. Hanna, die Schriftstellerin, verfolgt im Fernsehen den Mauerfall,
telefoniert depressiv und hat schon die Tabletten vor sich. Als könnte
man den Schmerz nur noch durch Substanzmissbrauch lindern, wenn alle ideologischen
Abwehrmechanismen versagen: Alkohol und Kettenrauchen ziehen durch die Bilder
dieses Films, als wäre die Selbstvernichtung der einzige Weg aus der Bitternis.
Wäre dieser Film nicht eine Liebeserklärung, er wäre kaum zu
ertragen: eine glücklose Winterreise durch Deutschland, die immer wieder
in die Bezugslosigkeit zurückführt.
Regisseur
Oskar Roehler wechselt nach den Berliner Szenefilmen Silvester
Countdown
und Gierig
die Gangart (obwohl beide Titel auf verquere Weise auch zu diesem verhaltenen
Film passen würden - ein letzter Countdown, unterbrochen von Lebensgier):
Die
Unberührbare
erzählt in schön kadrierten Schwarzweissbildern von einer Welt die
hässlich geworden ist, und anstelle einer Handlung im eigentlichen Sinn
eine Serie kompakter, in sich geschlossener Variationen zum Thema der Fremdheit
(die Inhaltsangabe ist in ihrer Klarheit eigentlich irreführend). Hanna
Flanders, die Hauptfigur, ist nach Roehlers Mutter modelliert - Gisela Elsner
hatte 1964 mit dem satirischen Roman "Die Riesenzwerge" den Durchbruch
in der deutschen Literaturszene geschafft. Doch die Vorläuferin der Studentenbewegung
sah sich bald von der Zeit überholt - in den 70ern verhallten ihre schonungslosen
Analysen der BRD ungehört, in den 80ern verschwand sie endgültig in
der Versenkung. Zurückgezogen und in finanzieller Not verkroch sie sich
in ihrem Schwabinger Apartment, verzweifelte nach dem Ende der DDR endgültig
und stürzte sich - von Alkohol und Drogen zerüttet - aus dem Krankenhausfenster
in den Tod.
Das
Schöne an Die
Unberührbare
(neben seinen unbestreitbaren formalen Qualitäten) ist dabei, dass er seine
Hauptfigur als widersprüchlich begreift - eben noch fordert Hanna im Interview
die "Wahrheit von Lenin", dann geht es ab ins Hotel Excelsior, nachdem
trotz Geldmangels noch ein schicker Designermantel gekauft worden ist. Roehlers
Film lässt solche Gegensätze unkommentiert stehen - anstelle einer
einseitigen "Aufarbeitung" eines Schicksals als Gesellschaftsindikator,
bemüht sich Die
Unberührbare
mit Erfolg, den Kern der Beziehungen der Figuren untereinander auszuloten -
der politische Mehrwert stellt sich aus dem Wissen um die Anschauung der Hauptfigur
von allein ein.
Und
so liest sich der Film als eine Abfolge erfolgloser Begegnungen - in einer Welt,
die sie nicht mehr verstehen kann und will, scheitert Hanna auch am menschlichen
Kontakt. Eine wundervolle Riege von Nebendarstellern erweckt im Zusammenspiel
mit der exzellenten Hannelore Elsner diese Figuren zum Leben: Lars Rudolph etwa,
als Hannas Sohn, peinlich berührt vom Besuch seiner Mutter - Haare in der
Stirn und ein stierer, abwesender Blick, der das Ungeschick seiner Handbewegungen
und die Tics seines Gesichts Lügen straft. Überall wird Hanna auf
sich selbst zurückgeworfen - weder die bucklige Affektiertheit eines Hotelportiers
noch die radebrechenden Zärtlichkeiten eines Gigolos können sie im
Excelsior trösten, als sie die Gegenwart des Ostens kennenlernt, ist das
Ergebnis genauso niederschmetternd. "Ich glaube nicht, dass es notwendig
ist, die Luft von Leipzig einzuatmen, um sich über die DDR zu informieren",
sagte Gisela Elsner im Interview, ihr Filmäquivalent atmet die Luft und
sie ist wie ein Pesthauch. Selbstgestrickte Micky-Mouse-Pullis, Weinen angesichts
von Zichorienkaffee, ein glatzköpfiger Lehrer, der sie auf einem Fest in
betrunken-forschem Tonfall anmacht (er habe "recherschiert", betont
er die angebliche Bewunderung für die Autorin) - das Ideal und die Wirklichkeit
wollen nicht zusammengehen. Irgendwann sitzt Hanna verzweifelt in einem Notapartment,
starrt durchs Fenster auf die Betonklötze gegenüber und stellt fest
"Ein Alptraum ist das." Die Perücke, unter der sie sich sonst
versteckt (einmal nimmt sie sie ab und meint "Ich sehe aus wie die Frau
aus Naked
Kiss",
eine andere verlorene Außenseiterin, die aber noch die Kraft zu kämpfen
hatte), liegt auf dem Nachttisch wie ein totes Tier.
Ohne
sich ein völlig vereinfachtes Geschichtsbild anzumaßen (wie im demnächst
erscheinenden Kalt
ist der Abendhauch),
ist Die
Unberührbare
auf seine stille Art dabei eine persönliche Bilanz der Nachwendezeit geworden
- die Hauptfigur ist ihres Platzes in der Gesellschaft endgültig beraubt
und reist noch einmal durch die Trümmer ihres Lebens. (Eine Randbemerkung
liest sich auch als Kritik am Umgang des deutschen Films mit seiner Vergangenheit:
"Die Zeiten haben sich geändert" heisst es einmal banal; der
Konter lautet "Das klingt wie aus einem schlechten Film über die Nazizeit.")
Egal ob Ost oder West, immer wieder geht die Kamera in die Untersicht, als wären
Hanna mit dem Umbruch auch die Räume zu hoch geworden (einmal für
den Umzug ausgeräumt, sieht ihr Apartment aus wie eine leere, rechteckige
Wohnhöhle, deren übergrosse Fenster sie ungeschützt dem Anblick
der Welt preisgeben).
Und
so bleibt die Heimkehr in die BRD ein letztes Rückzugsgefecht: Den industriellen
Eltern ohnehin entfremdet, kann sie noch nicht einmal ihrer dominanten Mutter
(ein famoses Detail: wie der unter ihrer Fuchtel stehende Vater das Glas verstohlen
zurechtrückt) Paroli bieten, und stürzt sich in eine letzte, überdrehte
Nacht mit ihrem Ex-Mann. Aber auch die säuft ab in der alkoholgetränkten
Zeitlupe - Vadim Glowna, eben noch explosiv tanzend zu "Devil In Disguise",
wird mitten im Vorspiel von der Müdigkeit überwältigt. Noch vor
dem unvermeidlichen, symmetriespuckenden Finale des Films, das wie angetackt
wirkt, findet Die
Unberührbare
hier noch einmal ein zentrales Bild - als gäbe es kein Entkommen vor der
Verzweiflung, die Hanna überall mitträgt; auf der Tonspur kündigen
es Can immer wieder an: "She brings the rain."
Fazit:
Trotz kleinerer Schwächen zählt Roehlers poetischer Film zweifellos
zum Besten, was das deutsche Kino in den letzten Jahren zu bieten hat.
Christoph
Huber,
12.09.2000
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
Zur
„Unberührbaren“ gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Kritiken.
Die
Unberührbare
Deutschland,
2000
Mit:
Hannelore Elsner, Vadim Glowna, Jasmin Tabatabai
Regie:
Oskar Roehler
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