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Die
Unberührbare
Hanna Flanders ist eine tote Frau. Zwar lebt sie noch. Aber ihr Blick
geht ins Leere. Hanna sitzt zusammengesunken auf dem Sofa und telefoniert mit
tonloser Stimme. Über den stummen Fernseher flimmern Massen, die über
die Berliner Grenzöffnung jubeln. In der kahlen Wohnung viel Schatten.
Wenn Hanna dem Gesprächspartner vom Arsenfläschchen in ihrer Hand
erzählt und daß sie es gleich leeren wird, dann ist das keine mitleidheischende
Koketterie - daß sie es dann doch nicht leert: nur ein Aufschub. Der Freitod
ist keine Sache eines Entschlusses. Sondern logische Folge einer Konstellation
biografischer Fluchtlinien. Insofern handelt "Die Unberührbare"
nicht vom Selbstmord, sondern vom Leben. Ex negativo. Vom Ende her aufgerollt.
Von den letzten Tagen einer Schriftstellerin her, nach dem realen Vorbild Gisela
Elsners, der Mutter des Regisseurs.
Oskar Roehler hat sich von der oberflächlichen Welt und Sicht
seiner vorigen Filme befreit. Nach "Silvester Countdown" und "Gierig" nun kein Koks mehr, keine Berlinesken.
Nach innen geht jetzt der Weg. Und dort lauert bekanntlich der Abgrund. "Die
Unberührbare" ist Seelenerforschung in schwarzweiß mit symbolischer
Bugwelle und anspruchsvollem Gestus. Bei allem sichtlichen Stolz auf die erworbene
filmische Reife verläßt sich Roehler aber zu recht auf seinen Star.
Wir sehen Hannelore Elsner: als würden wir sie zum ersten Mal sehen. Sie
macht die Frau Hanna in all ihren Zwängen zum Menschen. Hanna, gealterte
Salon-Kommunistin, ist im Westen politisch und literarisch isoliert, hält
sich nur mit Schminke und Alkohol aufrecht.
'89 bricht ihr mit dem Sozialismus das eigene Identitätskorsett
weg. Im Konsumgeifer der Ostdeutschen sieht Hanna nur Verrat und kauft sich
aus Frust einen Dior-Mantel. Doch das hilft nicht mehr. Der Widerspruch reißt
auf. Das Leiden an der Geschichte war das Leiden an sich selbst. In letztem
Aufbäumen will Hanna die Konsequenz vermeiden - deshalb der Aufschub. Hals
über Kopf zieht sie von München nach Berlin. Kindliche Irrfahrt in
die Vergangenheit, illusorische Hoffnung auf einen Neuanfang. Wenn die Welt
vollends unwirklich wird, gewinnt sie aber eine neue, schmerzhaft eindringliche
Präsenz. Unterkunft im Plattenbau, schlaflose Einsamkeit inmitten der Betonflächen.
Hanna flieht dann auf die Felder. Roehler zeigt es deutlich: sie allein
auf weiter Flur. Wind, graues Rauschen. Wo Tragik auf der Hand liegt, sind solche
wunderschönen, aber konventionell tragischen Bilder manchmal zu eingängig.
Gut, daß sie dennoch Raum lassen für die aufmerksame Zeichnung von
Begegnungen. Mit dem entfremdeten Sohn, dem Exmann, mit Fremden. Gelegentliche
Wärme ertrinkt regelmäßig in Trinksprüchen. Wenn mit Rainald
Goetz das Prosit die einzig wahre Sprache ist, dann verzweifelt Hanna mit Grund.
Für Verständnis ist es jedenfalls zu spät, denn aus ihren erstarrten
Masken kommt sie nicht heraus. Die Form des Films hat dabei selbst etwas Maskenhaftes.
Durch seine harten Bilder schimmern überhöhende Klischees der Schwarzweißfotografie.
Die vermeintliche Zeitlosigkeit des Symbolischen ist jedoch als Ansatz in die
Jahre gekommen, heute also retro, geborgte Haltung. Was zwar zu Hanna paßt.
Aber Symbole - für was? Menschliche Existenz? Die sehen wir echter im Gesicht
von Hannelore Elsners Hanna, die einem nicht mehr aus dem Kopf will. In der
letzten Einstellung entschwebt der Stilwille schließlich ins Metaphysische.
Hanna stürzt sich aus dem Fenster, ins gleißende Gegenlicht. Ihren
Aufprall hören wir nicht mehr.
Jakob Hesler
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
Zur „Unberührbaren“ gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Kritiken.
Die Unberührbare
Deutschland, 2000
Mit: Hannelore Elsner, Vadim Glowna, Jasmin Tabatabai
Regie: Oskar Roehler
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