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Und
vor mir die Sterne
Es
war einmal, lange vor Fliege und Domian und Guildo Horn, da wurden die Schlager
als Lebenshelfer noch ernst genommen. Damals, es war das Jahr 1964, trat eine
junge Verkäuferin bei einem Talentwettbewerb auf die Bühne einer Provinzgaststätte.
Das Mädchen hatte eine ungewöhnliche, ausdrucksvolle Stimme. Und es
traf sich, daß im Publikum ein Platten-Produzent saß. Der war begeistert
und nahm sie unter Vertrag. Vier Jahre später hat die Schlagersängerin
Renate Kern, wie Renate Poggensee fortan genannt wurde, ihren ersten Top-Ten-Hit.
1969 war sie mit „Lieber mit den Wimpern klimpern" bei der ersten ZDF-Hitparade
dabei. 1970 ging sie mit James Last auf Welttournee. Sie erfüllte sich
ihren Traum vom Eigenheim.
Doch
bald ging es abwärts. Die junge Frau, die, wiewohl gutaussehend, den zuckrigen
Vorstellungen vom deutschen Fräuleinglück nicht wirklich entsprach,
blieb auf der Strecke. Es war nicht nur das Image, sondern auch die Persönlichkeit
der Verkäuferin mit Abitur Renate Kern, die weiteren Ruhm verhinderte.
Mit Starrsinn hielt die „Königin der Provinz", wie man sie nannte,
an ihren Idealen vom Kleinbürgerglück fest. Sie war zu bieder und
auch zu schüchtern - keine Bühnenpersönlichkeit: Der Kontakt
mit dem Publikum war ihr nicht Genuß, sondern Greuel. Da half ihr auch
das herausragende musikalische Talent nicht. Die Heirat mit dem Toningenieur
Klaus Hildebrandt, mit dem sie sich ein Tonstudio einrichtete, beförderte
nur den weiteren Abstieg. „Ich bin nur noch Köchin, Zimmermädchen,
Bürokraft und Dienstbesen. Frust!", schreibt sie in ihr Tagebuch.
Nach einem mißlungenen Comeback als Countrysängerin tingelte Renate
Kern 1990 auf einer Ostseefähre zwischen Helsinki und Stockholm. 1991 erhängte
sie sich.
Die
Filmautoren Ulrike Franke und Michael Loeken aus Köln entwerfen in ihrem
Film dieses Leben zwischen Aufstieg und Fall, Glücksfetzen, Krisen, Psychiatrie
und Selbstmord als emotionale Biografie. Details, Fakten, sei es Biografisches,
sei es die Schlagerszene, oder auch die geschäftliche Seite betreffend,
sind ihnen dabei eher unwichtig. Und es funktioniert: Ein paar Statements von
Dieter Thomas Heck, ein Auftritt des gespenstisch gebräunten Rex Gildo,
der sich in Küßchen seiner Verehrerinnen suhlt. Diese Szenen reichen
völlig aus, um
zu skizzieren, was und wie hier gespielt wird, nur über die offensichtlich
reichlich dubiose Rolle von Ehemann Klaus Hildebrandt hätte man gerne etwas
mehr gewußt. Das Faktische dient hier nur als Gerüst, um - anhand
von Originalmitschnitten, Tagebuchnotizen und Interviews - eine Seelenlage zu
erkunden. Eine Seelenlage allerdings, die zugleich Aufschluß gibt über
den Zustand einer Nation. Denn das Leben der Renate Kern steht auch für
Frauenleben in der deutschen Provinz der sechziger Jahre ganz generell, wo die
Alternative zwischen „Kaufhof und Karriere" schon die Welt zu sein scheint.
Schnell wird klar, daß dieser Frau das zum Verhängnis wurde, was
ihre Stärke hätte sein können: die Ernsthaftigkeit, mit der sie
ihren Beruf betrieb, als Musikerin und als Mensch. Als Piaf-Allüren tat
man diese Ansprüche ab. „Spüre keinen Einklang zwischen Seele und
Titeln", schreibt Renate Kern, aber es sieht doch so aus, als hätte
sie den Trostsprüchen, die sie auf der Bühne verkündete, zu sehr
geglaubt. Fatal auch der Opportunismus, mit dem die Sängerin sich durchs
Leben hangelte und sich auch Niederlagen noch zum Erfolg hochtröstete:
„Traurig lohnt sich nicht."
Die
Fans scheinen da gar nicht so weit entfernt von ihrem Idol. Rosi etwa aus Thüringen,
der es gelungen ist, sich wenigstens tricktechnisch mit Renate Kern auf einem
Foto zu vereinen. Das schwule Pärchen, das sich auf der Couch hinterm Zimmerspringbrunnen
immer wieder gegenseitig ins Wort fällt. Trotz aller Situationskomik rührt
dies mehr als daß es erheitert. Überhaupt ist die emotionale Treffsicherheit
ein Wunder, mit der den Autoren die Gratwanderung zwischen Distanzierung und
Identifikation, Kulturkritik und Schlagerrevival gelingt. Wen dieser Film nicht
zum Weinen bringt, der hat kein Herz.
Silvia
Hallensleben
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Und
vor mir die Sterne
BRD
1998. R: Ulrike Franke, Michael Loeken. K: Jörg Adams. Sch: Jean-Marc Lesguillons.
T: Volker Zeigermann, Carlos Thoss. Pg: Filmproduktion Loeken Franke. V: Salzgeber.
L: 86 Min. St: 9.7.1998.
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