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Unsere
Erde
Tanz der Jungfernkraniche
In Frankreich hat der Naturfilm "Unsere Erde“
innerhalb von vier Wochen eine Millionen Besucher in die Kinos gelockt. Er setzt
auf spektakuläre Bilder - und will doch keiner Kinderseele schaden.
Ohne Knut, Flocke oder einige ihrer in freier Wildbahn
lebenden Artgenossen kann heute keine Naturdokumentation mehr auskommen, die
ihre ökologische Botschaft in die Herzen des Publikums tragen will. Spätestens
seit Al Gores „The
Inconvenient Truth“ sind die Bilder
des einsam auf einer Scholle im bröckelnden Packeis treibenden Ursus Maritimus
zum Emblem von Erderwärmung und schmelzenden Polkappen geworden.
Logisch also, wenn ein familiengerecht populär
angelegter Naturmonumentalfilm wie „Unsere Erde“ mit einer Bärenrestfamilie
seinen Auftakt nimmt: Zuerst sind es nur eine alleinerziehende Eisbärenmama
und ihre zwei Säuglinge, die nach dem Ende der Polarwinternacht in den
ersten Strahlen der Märzsonne ihre Nesthöhle verlassen und erste tapsige
Rutscher im arktischen Schnee wagen. Doch bald kommt auch hier der scheinbar
verzweifelt durchs brüchige Packeis paddelnde Eisbärenvater ins Bild.
Familie Eisbär ist – neben Walen und Elefanten – die erste von drei Tiergemeinschaften,
die in dieser deutlich auf Effekt angelegten Dokumentation des bewährten
BBC-Teams um Alastair Fothergill (hier mit Mark Linfield in der Koregie) für
emotionale Anteilnahme und ein Mindestmaß an erzählerischer Kontinuität
sorgen. Doch abendfüllend ist solch Kindchenschema höchstens noch
für die ganz Kleinen, der Rest des Publikums muss anders bei der Stange
gehalten werden. Deshalb sind heutige Naturfilme technisch und logistisch so
aufwändig, dass sie von einem einzelnen Sender nicht mehr zu stemmen sind.
So ist „Unsere Erde“ – wie das Vorgängeropus „Der blaue Planet/Deep Blue“
– eine Kooperation der BBC mit dem Discovery Channel und den deutschen Regionalanstalten
BR und WDR. Wie „Deep Blue“ ist auch „Unsere Erde“ als hochwertiges Zweitverwertungsprodukt
aus dem Material der Fernsehserie „Planet Erde“ kondensiert, die die Zuschauer
in elf Folgen über die Lebensräume der Erde informierte. Ein visuelles
Best-Of-TV fürs Kino also.
Das Ergebnis ist bestechend schön, vom arktischen
Frühling bis zum Südpol geht es durch Jahreszeiten und Klimazonen.
Bisher unbekannt detailreiche Luftaufnahmen von millionenstarken Karibuherden,
die tausende Kilometer durch die Tundra wandern. Ein intimes Close-Up auf den
Kragenparadiesvogel, der auf seiner Heimbühne im Regenwald das andere Geschlecht
durch waghalsige Tänze und Maskeraden betört. Tibetische Jungfernkraniche,
die auf ihrem Herbstzug in den indischen Süden in den Sturmwinden über
dem Himalaya zu scheitern drohen. Dazu reichlich Jagdszenen, gerne in überhöhender
Zeitlupe: Wölfe auf Karibus, Leoparden auf Antilopen und Haie auf Pelzrobben.
Pathetische Musik gibt es dazu reichlich, Blut keinen Tropfen. Offensichtlich
versucht man, Kinderseelen zu schonen, indem nach vollbrachter Tötung schnell
in die nächste idyllische Szene geschnitten wird.
Spektakel der
Extraklasse
Die Filmproduktion hat ähnliche Superlative
aufzubieten wie die präsentierten Tierarten: Insgesamt 4000 Drehtage in
fünf Jahren mit vierzig Kameraleuten haben 40 Millionen Dollar verschlungen.
Bewegliche Spezialkameras wurden konstruiert, um bruchlos von der Nahaufnahme
einer Antilopenherde in den Vogelschaumodus wegzuzoomen und rasante Zeitrafferreisen
durch die Jahreszeiten zu gestalten. Genau der richtige Stoff also, um an einem
trüben Februarnachmittag im Kinosessel der Natur bei der Arbeit zuzuschauen.
Allerdings wurde die Kompilation visueller Highlights
etwas zu hastig betrieben. Jedenfalls kommt - im Unterschied zu den TV-Folgen
- die Substanz deutlich zu kurz. Zum Teil scheinen die Sequenzen fast beliebig
aneinandergereiht und nur durch den von Ulrich Tukur angenehm sachlich intonierten,
doch oberflächlichen Kommentar miteinander verbunden. Der von den Berliner
Philharmonikern eingespielte wabernde Musikteppich tut das Übrige.
Am interessantesten sind selbstbeobachtenden Einblicke
in die eigene menschliche Reaktionsweise auf die vorgeführten tierischen
Überlebenskämpfe. Wenn der endlich aufs Land gerettete Eisbärenvater
seine Kalorienration ausgerechnet in einer Walrosskolonie statt im nächsten
Bioladen sucht, dürfte sich das Mitgefühl der meisten Zuschauer schnell
wieder gegen das Raubtier wenden. Jedenfalls so lange, bis der geschwächte
Bär sich verhungernd zum Sterben legt. Ist nur ein verfolgtes Tier ein
gutes Tier?
Silvia Hallensleben
Dieser Text ist erschienen im Tagesspiegel
vom 04.02.2008
Unsere
Erde
Deutschland
/ Großbritannien 2007 - Originaltitel: Earth - Regie: Alastair Fothergill
- Darsteller: Ulrich Tukur (Sprecher) - Prädikat: wertvoll - FSK: ab 6
- Länge: 99 min. - Start: 7.2.2008
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