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Unser
täglich Brot
Der Boom von Dokumentationen („We
Feed the World – Essen global“, fd
37 595), Semi-Dokumentationen („Super
Size Me“, fd 36 576) und auch Fiktionen
(Linklaters „Fast Food Nation“) zum Thema Ernährung und industrielle Nahrungsmittelproduktion
lassen vermuten, dass es sich bei diesem Themenkomplex um ein gesellschaftliches
Tabu, vergleichbar dem Tod, handeln könnte. Trotz unablässiger Skandale
um BSE und Gammelfleisch, Würmer im Fisch, Überfischung, Vogelgrippe
und Massentierhaltung, trotz aller kritischen Fernseh- Dokumentationen über
„Wienerwald“- Hendl, Hygiene-Horror und Krabbenpuhler in Marokko scheint der
Mensch die Konsequenzen des Blicks in die Abgründe der hochindustriellen
Nahrungsmittelproduktion zu scheuen. Man weiß genau, dass das, was ist,
und dass das, was man isst, nur um den Preis mangelnder Qualität zu haben
ist; genauer hinsehen aber möchte man dann doch nicht – oder nur mit einem
kurzen, wohligen Gruseln.
Dass die Debatte um die „richtige“ Ernährung
zudem von Klassenkämpfen durchzogen ist, hat der französische Soziologe
Jean-Claude Kaufmann in seiner von Bourdieu inspirierten Studie „Kochende Leidenschaft.
Soziologie vom Kochen und Essen“ gezeigt. Allen noch so präsenten Kochsendungen
im Fernsehen zum Trotz: Das Wissen um den gar nicht so feinen Unterschied zwischen
Mozzarella di Bufala und Käse nach Mozzarella-Art, zwischen „Parmesello“
und Parmigiano di Reggiano ist distinktionstechnisch mindestens so signifikant
wie das Absinken einstiger Luxus-Güter wie Lachs oder Garnelen in die (verseuchte)
Sphäre des Vulgären. Gastro- und Kulturkritiker wie Wolfram Siebeck
kritisieren seit Jahrzehnten, wie wenig sich die Deutschen wert zu sein scheinen,
wenn sie gerade einmal zwölf Prozent ihres Einkommens in ihre Ernährung
investieren; Alfred Biolek spricht immer noch gerne vom Metzger seines Vertrauens.
Natürlich berührt Nikolaus Geyrhalters
erstaunliche Dokumentation auch solche Diskurse, allerdings weist die meisterlich
montierte Folge von langen, kommentarlosen Plansequenzen weit darüber hinaus,
insofern der Zuschauer zunächst einmal in die Lage versetzt wird, sich
überhaupt ein „Bild der Dinge“ zu machen. So sieht man auch hier riesige
Hallen, in denen Tausende von Hühnern auf so engem Raum gehalten werden,
dass ein Mensch, der diesen Raum betreten muss, um Kadaver zu bergen, regelrechte
Fluchtwellen auslöst. Man sieht Bilder aus Schlachthöfen, aber auch
den maschinellen Umgang mit gerade geschlüpften Küken. Man sieht riesige
Gemüseplantagen in Gewächshäusern, aber auch Bilder der vergleichsweise
altmodischen Arbeit auf Spargelfeldern. Der Zuschauer erhält ausreichend
Zeit, sich in den unterschiedlichen Räumen zu orientieren. Manches mag
vertraut erscheinen, manches kann in Erstaunen versetzen oder instinktiven Widerwillen
produzieren. Je länger man jedoch Zeit bekommt, sich in den ungewöhnlichen
Rhythmus des Films zu finden, desto irritierender, komplexer und geheimnisvoller
werden Geyrhalters Bilderwelten. Der auf der Tonspur des Films ausgesprägte
Unterschied zwischen Innen- und Außenräumen verleiht dem Film einen
irritierenden Science-Fiction-Touch, der auch damit zu tun hat, dass Arbeitsprozesse
nur teilweise und unvollständig präsentiert werden. Andererseits steckt
in bestimmten Apparaturen (etwa der Maschine, die Lachse ausweidet und filetiert)
so viel an ins Destruktive umgeschlagener Kreativität, dass man nicht umhin
kann, die schöpferische Intelligenz dahinter zu bewundern und zugleich
zu fürchten.
Ursprünglich sollte „Unser täglich Brot“
von den Menschen erzählen, die in solchen hochtechnologischen Industrielandschaften
ihre Arbeit verrichten. Davon sind nur einige Reduktionen geblieben, die aber
pointiert zeigen, dass auch die Ressource Arbeitskraft nur Teil dieser gigantischen
Maschinerie ist. Auch hier kann sich der Zuschauer fragen: Wer verrichtet welche
Arbeiten? Welche Sprachen werden bei der Arbeit gesprochen? Welche Schichten
oder Klassen werden im Film allein durch ihre Unsichtbarkeit repräsentiert?
In den Bildern vom Menschen in „Unser täglich Brot“ potenziert sich die
vorgeführte Entfremdung, indem eine umfassende Logik der Ausbeutung sichtbar
wird. Die religiöse Dimension des Films – angelegt im Filmtitel und noch
pointiert in der „Schuld“, die dem Satz vom „täglich Brot“ im Vaterunser
folgt – deutet auf jenes fundamentale Missverständnis bei der Auslegung
der Formel von der „Krone der Schöpfung“, die sich die Erde untertan zu
machen habe. Über die Interpretation des biblischen „Schöpfungsauftrags“
könnte man diskutieren. Allein, die im Werbematerial zum Film ernsthaft
vorgestellte Alternative einer ökologischen Landwirtschaft, daran lässt
der apokalyptische Film keinen Zweifel, verfehlt die kapitalistische Hybris
der Länder der nördlichen Hemisphäre um einige Jahrhunderte.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-dienst
Unser täglich Brot
Österreich 2005 - Regie: Nikolaus Geyrhalter - Darsteller: (Mitwirkende) Claus Hansen Petz, Arkadiusz Rydellek, Barbara Hinz, Renata Wypchlo, Alina Wiktorska, Ela Kozlowska, Anna Bethke, Malgorzata Nowak - FSK: ab 12 - Länge: 92 min. - Start: 18.1.2007
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