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Unsichtbare
Augen
Die geisterhafte Welt der Medien war ja nun schon
immer ein Experimentierfeld für's Horror- und Paranoia-Kino. Neue Entwicklungen,
neue Diskurse, neue Technologien - die finale Adelung ihrer Relevanz findet
wohl wirklich erst mit der Verwurstung in eben jenen Filmgattungen statt. In
My Little Eye
wird dann sowohl Big Brother, als auch der Web-Dschungel einer paranoiden Untersuchung
unterzogen: Sechs "junge, dynamische, zielorientierte" Menschen ziehen
für sechs Monate in ein kleines mit unzähligen Webcams versehenes
Häuschen mitten in der Wildnis eines riesigen Waldgebietes. Übertragungsort
ist nicht etwa das TV, sondern das Internet. Als Gage winkt am Ende eine Million
Dollar, die jedoch - Obacht, erschwerte Bedingung im Gegensatz zum allseits
bekannten Pendant! - nur dann ausgezahlt wird, wenn keiner das Haus verlässt.
Haut auch nur einer ab, gehen also alle leer aus - das ist der Stoff, aus dem
Psychoterror gemacht ist! Als dann kurz vor Ablauf der Frist unheimliche Geschehnisse
ihren Lauf nehmen - in den Verpflegungssets liegen auf einmal Waffen, es findet
sich ein Brief, der den baldigen Tod des Großvaters des labilsten der
Teilnehmer verkündet, ein seltsamer Fremder - angeblich ja sogar Programmierer
und Internetchecker, aber von jenem ominösem Internet-Webbroadcast hätte
er noch nie gehört - taucht auf - , beginnt die Situation zu eskalieren.
Ist alles nur ein Spiel? Alles nur Sticheleien, um die Gruppe zu zerreiben,
um die Million nicht rausrücken zu müssen? Spielen alle dasselbe Spiel
oder gibt es unterschiedliche Ziele? Oder geht es um was ganz anderes, gibt
es dieses Spiel mitunter gar nicht? Fragen, die erst zum Preis mehrerer Tote
beantwortet werden können!
Es ist naheliegend, dass My
Little Eye den Look der TV-Vorbilder
zu simulieren versucht. Statische Überwachungskameraperspektiven also,
mit deutlich vernehmbarem Summen unterlegte Zooms auf die Gesichter der Agierenden,
dazu der ausgewaschene, oft grobkörnige Look typischer Webcam-Bilder und,
natürlich, grün schimmernde Nachtsichtaufnahmen kleiden das Geschehen
in ästhetische Form. Wenngleich man jedoch nicht konsequent ist: Nicht
wenige Einstellungen erzählen mehr von künstlerischen Absichten der
Filmemacher als von der rigiden Ökonomie, mit der man ein Haus für
eine Übertragung "verwanzen" würde. So sitzt die Kamera
an einer Stelle auf einem Kugelschreiber, an anderer filmt sie aus der Mitte
eines Duschkopfs in Aktion nach unten - das sind, zugegeben, verwirrende und
schöne Bilder, doch dennoch bleiben sie dem Film fremd, stehen eigentlich
sogar fast im Weg. Auch sind einige Szenen - vor allem jene, in denen eine hohe
Bewegungsdynamik herrscht - mit verwackelten Bildern aus der Ego-Perspektive
eingefangen worden, was natürlich unwillkürlich Assoziationen zu Blair Witch Project wachruft
(vor allem wenn weinende Frauenaugen mit Nase drunter das gesamte Bild ausfüllen
und dazu mit zitternder Stimme wehgeklagt wird), dem in diesen Momenten offenbar
nachgeeifert werden soll. Schöner und smarter wäre es freilich gewesen,
hätte man in diesen Momenten dem Vorbild nicht allein auf bildästhetischer
Ebene zu ähneln versucht, sondern hätte man sich vor allem das strenge
Verfolgen des zugrundeliegenden, konzeptionellen Korsetts zum Ideal gemacht.
Blair Witch hat
uns (ähnlich wie auch Mann
beißt Hund) mit seinem
Finale gezeigt, wie gruselig es sein kann, im Kinosaal zu sitzen und das Bild
losgelöst vom eigentlichen Geschehen zu sehen, während der Ton ganz
bei sich ist. Wenn in My Little Eye die WG die komischen Geräusche auf dem Dachboden
untersucht und dabei, wie auch an vielen anderen Stelle, das ästhetische
Konzept zugunsten eines verwackelten DV-Realismus aufgeweicht wird, wird eigentlich
ja schon zu viel gezeigt, der dem Film später dann noch übergestülpte
Diskurs vom militärischen Sehen als Gewaltakt leidet zudem ebenfalls darunter,
wird durch diese Sprünge in der Bildästhetik doch letzten Endes nur
unterstrichen, dass nicht wir, die Zuschauer, es sind, die dem blutigen Treiben
Legitimation verleihen, sondern eine anonymisierte Masse von Internetjunkies,
die nicht mit uns identisch sein kann. Geradezu verschwenderisch wird hier eine
zusätzliche Wirkungsebene verschenkt.
Trotz dieser Schwäche hat mir der Film gefallen,
er hätte halt nur noch besser sein können. Die Grundidee wie auch ihre diegetische Umsetzung ist reizvoll und
es macht unumwunden Spaß, sich über die offenen Fragen im Verlauf
des Films den Kopf zu zerbrechen, sich dem wohligen Nervenkitzel auszusetzen.
Und auf einer großen Leinwand (der Film ist auch auf dem durch's Bundesgebiet
tourenden Fantasy Filmfest zu sehen) macht der Film vermutlich sogar noch
wesentlich mehr Spaß.
Thomas Groh,
11.07.2003
Dieser Text ist vorher erschienen
im:
Unsichtbare
Augen
My
Little Eye
England
2002
Regie:
Marc Evans
Drehbuch:
David Hilton, James Watkins
Schauspieler:
Jennifer Sky (Charlie), Stephen O'Reilly (Danny), Laura Regan (Emma), Sean CW
Johnson (Matt), Kris Lemche (Rex)
Dt.
Start: 15.08.03
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