Unter
dem Sand
Phantomschmerzen
Charlotte
Rampling gibt ein großes Solo
Es
wird wenig gesprochen und doch alles gesagt. In der ersten Viertelstunde blickt
Francois Ozons Unter
dem Sand
geduldig auf die schweigsame Vertrautheit eines verheirateten Ehepaares. Es
ist Sommer, und wie jedes Jahr sind Marie (Charlotte Rampling) und Jean (Bruno
Cremer) unterwegs zu ihrem Ferienhaus am Meer. Die lange Autofahrt, die Inbetriebnahme
des Urlaubsdomizils, das einfache Essen vor dem frühen Schlaf. Die Kamera
schaut auf die Routine einer langjährigen Liebe. Wortlose Übereinstimmung
oder vertraute Langeweile - die Grenzen sind fließend.
Jean
ist ein Mann wie ein Baum, auch wenn die Altersmüdigkeit langsam an ihm
zu nagen beginnt. Marie hingegen hat ihr elegantes Wesen gut über die Jahre
gebracht. Trotz der äußeren Gegensätze summieren sich die beiden
vor den Augen des Publikums zu einer untrennbaren Einheit. Am ersten Morgen
geht es an den Strand. Marie ist in ein Buch vertieft. Jean nimmt ein Bad im
Meer - und kommt nie wieder zurück. Taucher und Hubschrauber können
seine Leiche nicht finden und Marie muss allein nach Paris zurückkehren.
Unter
dem Sand
ist ein Film über den plötzlichen Verlust und die Phantomschmerzen,
die durch das Verschwinden eines geliebten Menschen ausgelöst werden. Ein
halbes Jahr später spricht Marie bei einem Dinner unter Freunden von dem
vermissten Gatten immer noch in der Gegenwartsform. Wenn sie nach Hause kommt,
wartet Jean in seinem Arbeitszimmer und erkundigt sich nach dem Verlauf des
Abends. Erst später wird klar, dass dieser Jean nur in Maries Einbildung
existiert. Mit der Kraft der Verleugnung gelingt es der Hochschuldozentin, ihr
geliebtes Leben weiter zu führen. Aber unweigerlich bekommt die Illusion
Risse. Marie lässt sich auf eine Affäre mit einem Verleger ein. Im
Bett bekommt sie einen Lachanfall und wirft den Liebhaber raus, als er sie auf
den vermissten Ehemann anspricht. Schließlich meldet sich die Polizei.
Eine Leiche wurde gefunden und Marie muss sich entscheiden, ob sie der Wahrheit
ins Auge sehen will.
In
klaren, ruhigen Einstellungen blickt Ozon auf den seelischen Genesungsprozess
seiner Protagonistin. Hinter ihrer kühlen Fassade lässt Charlotte
Rampling die seelischen Abgründe ihrer Figur nur erahnen und bewahrt den
Film vor Ausflügen ins Melodramatische. Ozon ist mit Unter
dem Sand
ein traurig-schönes Meisterwerk gelungen, das durch seine sparsame Dosierung
der Emotionen überzeugt und berührt.
Martin Schwickert
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Zu
diesem Film gibt es im archiv
der filmzentrale mehrere Kritiken
Unter dem Sand
Sous le sable F 2000 R&B: Francois Ozon K: Jeanne Lapoirie, Antoine
Heberlé D: Charlotte Rampling, Bruno Cremer, Jacques Nolot