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Der
Untertan
Früchte
des Nationalismus
WOLFGANG STAUDTE ZUM 100. GEBURTSTAG (9. OKTOBER
2006)
Bis heute ist die Frage ungeklärt,
wie und unter welchen Bedingungen Zehntausende Menschen die Schwelle zur Inhumanität
übertreten konnten, um einen Völkermord zu organisieren, dessen Intensität,
Bestialität und im schlimmsten Sinne Rationalität bislang eine Singularität
in der Menschheitsgeschichte darstellt. Generationen von Wissenschaftlern beschäftigen
sich seit dem Ende des zweiten Weltkrieges mit diesen Problemen. Vielleicht
gibt es auch keine zufriedenstellende Antwort darauf. Auch Heinrich Mann beschäftigte
sich in seinem viel beachteten, berühmten, aber auch verschmähten
Roman "Der Untertan" (1919) mit Aspekten dieser Frage - bereits nach
dem ersten Weltkrieg und ohne Ahnung davon, welche Bestialität nur 14 Jahre
später ihren Lauf nehmen sollte.
Als es nach dem zweiten Weltkrieg
darum ging zu verstehen, was die letzten 12 Jahre in Deutschland geschehen war,
wagten zunächst und bis in die 60er Jahre hinein nur wenige, diese Frage
offen anzusprechen. Die politische Stimmung der 50er Jahre war eher durch (oft
auch politisch gewollte) Verleugnung dieser Schreckensjahre charakterisiert,
denn auf Aufklärung ausgerichtet. Es nimmt daher kein Wunder, dass Wolfgang
Staudte, einer der besten Nachkriegsregisseure Deutschlands, 1951 die filmische
Adaption des Mann'schen Stoffes nur in der jungen DDR in Angriff nehmen konnte.
Sein gleichnamiger Film "Der Untertan" war in der Bundesrepublik zwischen
1951 und 1956 sogar verboten. Die Systemfeindschaft zur damaligen sog. "Ostzone"
war dabei nur der äußere Anlass für die Indizierung des Films.
In Wirklichkeit ging es v.a. darum, die drastischen Aussagen des Romans und
des Films nicht in die politische Auseinandersetzung einfließen zu lassen.
Nach 1956 - dem Jahr des Verbots der westdeutschen KPD durch das Bundesverfassungsgericht
- durfte der Film dann in einer geschnittenen Fassung gezeigt werden. Erst 1971
strahlte das Fernsehen die ungekürzte Fassung von Staudtes Film aus.
Betrachtet man Film und Buch,
auch die satirische, ja sarkastische Form, in der beide das Thema des "deutschen
Untertans" behandelten, ist es - versetzt man sich in die Situation der
Verleugner - durchaus nachvollziehbar, warum der Film immerhin fünf Jahre
indiziert worden war. Denn Mann wie Staudte drangen in der Charakterdarstellung
der Hauptfigur Diederich Hessling (exzellent gespielt von Werner Peters in seiner
wohl größten Rolle) tief in die "deutsche Seele" ein, sprich:
offenbarten dem Betrachter bzw. Leser einige Gründe, warum sich in Deutschland
vieles in Richtung Nationalsozialismus entwickeln sollte - obwohl die Geschichte
selbst (oder gerade weil sie) im Kaiserreich vor dem ersten Weltkrieg spielte.
"Diederich
war so beschaffen, dass
die
Zugehörigkeit zu einem
unpersönlichen
Ganzen, zu einem
unerbittlichen,
menschenverachtenden,
maschinellen
Organismus ihn beglückte,
dass
die Macht, die kalte Macht, an
der
er selbst, wenn auch nur leidend,
teilhatte,
sein Stolz war."
Das "Familienwerk" (Staudtes
Vater Fritz schrieb das Drehbuch) präsentiert schon in den ersten Szenen
den Mann'schen Ansatz zur Darstellung des Protagonisten Hessling: Die Eltern
des Sprösslings erzogen Diederich - zur Angst vor der Macht. Der Vater,
ein äußerst gestrenger Mann, die Mutter, eine Frau, die Diederich
Schreckensgeschichten erzählte. Angst - diese mächtigste aller Mächte
prägen den heranwachsenden Diederich - vom Elternhaus über die Schule,
das Militär, die Burschenschaft bis hin zum Kaiser.
Sein Vater hat eine Papierfabrik
- und selbstredend soll Diederich einmal den Betrieb übernehmen. Doch zuvor
wird er zum Studium der Chemie geschickt, tritt in die Burschenschaft Teutonia
ein und lernt auch dort wieder: Angst.
"Das
Trinken, das Sprechen,
das
Singen, das Stehen und
das
Sitzen - alles wird kommandiert.
Und
wenn man es befolgt, lebt man
mit
sich und der Welt in Frieden."
Er verliebt sich in die Tochter
der befreundeten Fabrikantenfamilie Göppel, Agnes (Sabine Thalbach, die
Mutter von Katharina Thalbach), wird jedoch von einem bei den Göppels zur
Untermiete wohnenden Studenten namens Mahlmann (Hanns Georg Laubenthal) dazu
angehalten, so lange die Finger von Agnes zu lassen, wie er dort wohnt, der
selbst hinter der jungen Frau her ist. Und wieder reagiert Diederich in Angst
vor der Macht:
"..
da war sie wieder, die Macht,
die
sich ihm aufdrängte, vor der
er
sich fürchtete wie vor den
bösen
Märchenkröten" (von denen
ihm
seine Mutter erzählt hatte).
Auch seine Erfahrungen mit dem
Schliff im Militär führen Diederich nicht etwa zu einer kritischen,
selbstbewussten Beurteilung dieser Maschinerie, nein:
"(...)
Diederich fühlte wohl, dass
(...)
die Behandlung, die geläufigen
Ausdrücke,
die ganze militärische
Tätigkeit
vor allem darauf hinzielte,
die
persönliche Würde auf ein
Mindestmaß
herabzusetzen. Und
das
imponierte ihm; es gab ihm,
so
elend er sich befand, (...),
eine
tiefe Achtung ein und etwas
wie
selbstmörderische Begeisterung."
Derart "vorgebildet"
kehrt Diederich nach Hause zurück, beginnt eine Affäre mit Agnes,
verspricht ihr sogar die Ehe - und stößt sie skrupellos wieder weg,
weil sie - eine Lüge - angeblich nicht mehr "rein" sei. Statt dessen
wendet er sich einer alten Bekannten zu, Guste Daimchen (Renate Fischer), denn
die hat immerhin ein Vermögen von mehreren Hunderttausend Mark geerbt.
Als Nachfolger seines verstorbenen Vaters entwickelt sich Diederich zum Fabrik-Despoten,
der die sozialdemokratisch gesinnten Arbeiter bis aufs Blut ausbeutet und unterdrückt.
Es folgen die Aufnahme in die Stadtverordnetenversammlung
und den örtlichen Kriegerverein. Und als Diederich als Zeuge gegen den
Fabrikanten Lauer (Friedrich Richter), einen Freisinnigen, aussagen soll, der
angeblich den Kaiser beleidigt haben soll, schwankt Diederich zwischen der öffentlichen
Meinung, die eher auf Lauers Seite steht, und der Macht, die eine Verurteilung
erreichen will. Von Regierungspräsident von Wulckow (Paul Esser) lässt
er sich im Gerichtssaal auf die Seite der Macht ziehen. Endlich ist er am Ziel.
Diederich hat gelernt - alles, was nötig ist.
Diese Geschichte - die mit der
Enthüllung eines Kriegerdenkmals endet, einer Zeremonie, die im Gewitterregen
endet, der wiederum die zerstörerische Wirkung des Krieges andeutet - erzählt
Staudte allerdings im Stil einer Tragikomödie - mit all dem bitteren Sarkasmus,
der auch Manns Roman auszeichnet, einem stillen, aber besorgten Sarkasmus, der
jedem Betrachter vor Augen hält, wie sich ein wirklicher Untertan entwickelt
und zu entwickeln hat.
Dieser Sarkasmus findet beispielsweise
einen Höhepunkt in einer Szene, in der Diederich seinen Gesinnungsgenossen
aus dem konservativen, völkischen Lager das neueste Produkt seines Betriebes
vorstellt: Klopapier, bei dem auf jedem Blatt ein markiger nationalistischer
oder militaristischer Spruch eingedruckt ist, wie: "Am deutschen Wesen
soll die Welt genesen."
Staudte kennt kein Pardon mit
seinem "Helden". Und Werner Peters spielt diesen Diederich Hessling
so überzeugend gut in einer Mischung aus gefährlichem Nationalisten
und lächerlichem Feigling, dass es Vergnügen und Schrecken zugleich
ist, wenn man daran denkt, dass Diederich einer jener Charaktere ist, die nach
dem ersten Weltkrieg die sog. "völkischen" Organisationen bevölkerten
und zur Machtübernahmen der Nationalsozialisten erheblich beitrugen.
Der Film zeigt aber auch - und
das gehört zum wesentlichen -, wie diese Sorte von Untertanen "funktionierte".
Die Angst vor der Macht, jeglicher Macht, vom Elternhaus über das Militär,
die Burschenschaften, bis hin zum Kaiser (eindrücklich hier das Bild, wie
Diederich in Rom dem Kaiser in seiner Karosse hinterherläuft und buckelt),
diese Angst vor der Macht, in welcher Gestalt sie sich auch äußert,
treibt Diederich nicht zur Gegenwehr, zum Mut, zu dem, was wir heute Zivilcourage
nennen würden (dafür stehen im Film die Arbeiter in seiner Fabrik),
sondern zunächst einmal zur Feigheit (man könnte auch sagen: er kneift
den Schwanz ein vor dieser Macht) und dann zu einer tiefen Bewunderung und Verehrung
der Macht. Diese wiederum treiben ihn dazu an, selbst ein Stück von diesem
Kuchen Macht haben zu wollen. Die familiären Voraussetzungen kommen ihm
dabei zu Hilfe, sind aber nicht die wesentlichen Voraussetzungen, wie wir aus
Biografie führender Nationalsozialisten wissen, insbesondere auch über
Hitler selbst.
Diederich glaubt, sich ein Netz
aus Positionen gesponnen zu haben, das ihn an der Macht teilhaben lässt.
Zugleich verdrängt er, dass dieses Netz nur funktionieren kann, wenn man
ihn lässt, vor allem der mächtige Regierungspräsident von Wulckow.
Diederich ist ein Prototyp dessen,
was die Kritische Theorie (Adorno, Horkheimer) später mit dem Begriff "autoritärer
Charakter" umschrieben hatte. Dieser Charaktertypus ist nicht nur autoritär
im eigenen Verhalten, in der konservativen bis völkischen und natürlich
auch antisemitischen Gesinnung. Er ist auch autoritär im Sinne der unumschränkten
Anerkennung der staatlichen Autorität. Im Volksmund beschreibt man solche
Menschen als welche, die nach oben buckeln und nach unten treten. Die Feigheit
Diederichs ist dabei "nur" die im Sinne des autoritären Charakters
funktionierende Verhaltenweise, die es Diederich ermöglicht, alle Widerstände
auf dem Weg zur (wenn auch noch so kleinen) Teilhabe an der Macht aus dem Weg
zu räumen, um gleichzeitig seine absolute Vasallentreue zu den unantastbaren
Mächten "da oben" zu beweisen.
Der Film selbst zeigt, dass dies
auch einschließen kann, Angehörige der eigenen sozialen Klasse zu
opfern - im Film etwa Lauer oder auch Agnes. Denn Liebe ist für Diederich
nur eine Funktion der Macht - wie alles andere auch.
Neben "Rosen
für den Staatsanwalt", "Die Mörder sind unter uns" und "Rotation" gehört "Der Untertan" zu Staudtes Auseinandersetzung
mit der (damals) jüngsten Vergangenheit. Und alle vier Filme gehören
zum besten, was in Nachkriegsdeutschland je gedreht wurde - ob bei der DEFA
oder auch nicht. Nicht zuletzt sind die genannten Filme auch heute noch sehenswert
als eine Art Kulturgut, das seinen Wert nicht verlieren wird.
Der Film ist als Einzel-DVD erhältlich
und zudem Teil einer Wolfgang-Staudte-Sammlung unter dem Titel "Wolfgang
Staudte - Die 60 Jahre DEFA Film-Edition (4 DVDs) mit den weiteren Filmen "Die
Mörder sind unter uns", "Die Geschichte vom kleinen Muck"
und "Rotation".
Ulrich Behrens
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Zu diesem Film gibt’s im archiv mehrere Texte
Der
Untertan
DDR
1951, 97 Minuten
Regie:
Wolfgang Staudte
Drehbuch:
Fritz Staudte, Wolfgang Staudte, nach dem Roman von Heinrich Mann
Musik: Horst
Hans Sieber
Kamera: Robert
Baberske
Schnitt:
Johanna Rosinski
Ausstattung:
Karl Schneider, Erich Zander
Darsteller:
Werner Peters (Diederich Hessling), Paul Esser (Regierungspräsident von
Wulckow), Renate Fischer (Guste Daimchen), Ernst Legal (Pastor Zillich), Raimund
Schelcher (Dr. Wolfgang Buck), Eduard von Winterstein (Buck sen.), Friedrich
Maurer (Fabrikant Göppel), Sabine Thalbach (Agnes Göppel), Hannsgeorg
Laubenthal (Mahlmann), Friedrich Gnaß (Napoleon Fischer), Wolfgang Kühne
(Dr. Mennicke), Fritz Staudte (Amtsgerichtsrat Kühnemann), Axel Triebe
(Major Kunze)
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