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Die
Unzertrennlichen
Das ein oder andere hat dieser
Film vielleicht mit einem Arztbesuch gemein. Für gewöhnlich geht die
Zusammenführung mit der Medizin ja mit einer Unbehaglichkeit einher, die
sich oft schon beim alleinigen Betreten des Krankenhauses oder der Praxis einstellt.
Es sind die weißen Kittel, es sind die Untersuchungsapparate, es ist der
eigentümliche Geruch. David Cronenberg bedient sich in "Die Unzertrennlichen"
dieser natürlichen Unbequemlichkeit und hat mit kühlen, monochromen
Bildern jene Arztpraxenatmosphäre nachgebildet. Wie das Ärzteweiß
eine Keimfreiheit suggeriert, wollen einem auch die Aufnahmen hier eine destillierte
Umgebung einreden. Aber so ist es ja tatsächlich nicht. Natürlich
konzentrieren sich dort, wo viele kranke Menschen zusammen kommen, ebenso Kolonien
von unzähligen pathogenen Mikroben. Entsprechend verhält es sich mit
Cronenbergs Werk. Augenscheinlich ein klinischer Film, mit einem Jeremy Irons
in einer Doppelrolle, dessen strenge Gesichtszüge keine Wärme aussenden,
wuchert unter der Haut die psychische Krankheit.
Um der seelischen Störung
ins Auge zu blicken, bedarf es zunächst der Annäherung an den Patienten.
Das Paradoxe in "Die Unzertrennlichen": Die Patienten sind Ärzte
- die eineiigen Zwillinge und erfolgreichen Gynäkologen Beverly und Elliot
Mantle; eine Konstellation, beruhend auf einem authentischen Fall. Sie teilen
Apartment, Bett und Frauen, treten im Grunde als synergetische Einheit auf.
Gesucht sei derjenige, der sie sofort auseinander zu halten vermag. Erst mit
der Zeit öffnet sich der Blick für das feinsinnige, nuancierte Schauspiel
von Jeromy Irons, das die individuellen Eigenheiten der Brüder herausstellt.
So genießt der egozentrische Elliot Erfolg und Ruhm, während der
introvertierte Beverly im Hintergrund Forschungsarbeit leistet.
Das Duo harmoniert mit dieser
Rollenaufteilung artig, bis eine Patientin, die Schauspielerin Claire Niveau,
die gerade in einer Miniserie mitwirkt, deren Regisseur nicht wirklich wisse,
was er da eigentlich dreht, in ihr Leben tritt und die unerschütterlich
scheinende Geschwisterwelt aus den Fugen gerät. Mögen es ihr Charakter
oder Aussehen sein, oder ihre drei Gebärmutterausgänge - Beverly jedenfalls
verfällt ganz und gar der Liebe, entfernt sich nach und nach von seinem
Bruder und hegt bald den unausgesprochenen Wunsch nach mehr Individualität.
Elliot sieht in Claire einen treibenden Keil und auch Beverly ist sich der Gefahr
bewusst, dass die für unzertrennbar geglaubte Zwillingseinheit entzweit
werden könnte. In einer Traumsequenz, der einzigen typischen Fleischmetaphorik
in diesem Cronenberg-Film, zeigt sich Beverlys Diskrepanz in der Beziehung zu
Claire: Im Bett liegend begegnet er ihren Liebkosungen ablehnend, er wolle nicht,
dass sein Bruder dabei zusehe. Dieser ist tatsächlich zugegen und über
eine überdimensionale Nabelschnur mit Beverly verwachsen. Daraufhin beginnt
Claire die Fleischbrücke zu durchbeißen - Beverly schreit. Dieser
Alptraum ist das Abbild einer Obsession und damit gleichzeitig das Abbild einer
hin und her gerissenen Seele. Claire ist Lebenspartnerin, wird aber unterbewusst
als zerstörerisches Element begriffen. Das ist schon irgendwie kurios,
dass Cronenberg den einzigen hier aufgewarteten, drastischen Körpereffekt
nutzt, um in die Psyche, also das Unkörperlichste überhaupt, hinabzusteigen.
Von dieser Brechstangenpsychologie
abgesehen, handelt es sich allerdings wahrhaftig um einen der subtilsten, womöglich
aber auch schwierigsten Filme Cronenbergs, der, vielleicht flüchtig gesehen,
ähnlich wie "Spider"
nicht ganz ins Gesamtwerk passen mag, bei genauerer Betrachtung aber viele Kennzeichen
des Kanadiers vereint und so etwas wie ein visionäres Schaffensresümee
darstellt. Eingedrungen wird in das seelische Gemüt, das fortlaufend wie
in "Dead Zone" seinem Verfall entgegengeht. Betrachtet wird das Körperliche,
vor allem aus medizinischem, oder genauer: gynäkologischem Blickwinkel.
Fixiert wird mutiertes weibliches Fleisch. Fixiert wird bizarres Operationsbesteck
für mutiertes weibliches Fleisch, entwickelt von Beverly in einem Stadium
krankhafter Mutationsparanoia; nicht wenig daran erinnert beispielsweise an
die verschrobene Kreativität einer Knochenpistole aus "Existenz". Zu fühlen ist das
latent Surreale, betont noch durch rote, majestätische OP-Kutten. Zu hören
ist ein ruhiger, unverwechselbarer Score von Hauskomponist Howard Shore. Zu sehen ist kurz - das
Fetischmotiv des schwer zugänglichen "Crash" dabei bereits anschneidend
- absonderlicher Sex mit Schläuchen, Klemmen und darin verflochtenen Körpern.
Verarbeitet wird thematisch nicht
zuletzt auch schon der Drogenrausch, was "Naked Lunch" in gewisser Hinsicht andeutet. Der Medikamentenmissbrauch
trägt in "Die Unzertrennlichen" schließlich endgültig
dazu bei, dass die aufgebrochene Intimsphäre der Zwillinge nicht mehr zuzuwachsen
imstande ist. Es ist wieder wie beim Arztbesuch: Die Enthüllung vor dem
Doktor führt die Verwundbarkeit und natürlich auch die Wunde selbst
vor Augen. Unmengen von Tabletten, Uppers und Downers reißen den strengen
Gesichtszug auf und lassen in Beverlys Abgrund blicken. Von Claire wurde er
an die Psychopharmaka herangeführt, verschuldet jedoch hat sie seine Abhängigkeit
nicht.
Im Prinzip allezeit geht es auf
einer Metaebene um das Bruderpaar und die neurotische Angst vor einer Trennung,
dem Kollaps ihres Gefüges. Sie scheinen eine eben unzertrennliche Zelle
zu sein und nicht ohne den jeweils anderen leben zu können. In einer Szene
kommt es zu einem Tanz zwischen Beverly und Elliots Geliebter Cary. Elliot gesellt
sich von hinten an Cary heran und für den Moment sieht es so aus, als genieße
Elliot nicht nur die Frau, sondern über ihren Körper vor allem den
Bruder. Eine im Film zugleich als Gleichnis fungierende Anekdote veranschaulicht
die interdependente Beziehung noch besser: Es geht um das Schicksal von Chang
und Eng Bunker, jenen siamesischen Zwillingen, auf die der Ursprung dieses Begriffes
zurückgeht. Chang, so erzählt Beverly, sei immer der kränkliche
von beiden gewesen, derjenige, der stets zu viel getrunken hat. Eines Nachts
starb er an einem Herzschlag. Als Eng aufwachte und sah, dass sein Bruder tot
war, sei er aus Furcht gleich ebenfalls verstorben (Tatsächlich liegen
zwischen den Toden von Chang und Eng nicht mehr als drei Stunden.)
Als bei Beverly die seelische
Verwüstung aufgrund des Medikamentenkonsums irreversibel fortgeschritten
ist, gleicht Elliot sein Verhalten mit Drogen an, um wieder auf einer Ebene
mit seinem Bruder zu stehen und die siamesische Verbindung im Geiste wiederherzustellen.
Am Ende trotten sie berauscht in fast identischen Kleidungen gleichsam durch
die Wohnung. Wieder als Einheit. Was anschließend geschehen wird, ist
ein Nähren und Zehren, ein Tod und ein Geburtstag. Eine Trennung? Eine
Fusion? Eine Trennungsfusion vielleicht.
Daniel Szczotkowski
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: www.ciao.de
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Die
Unzertrennlichen
DEAD
RINGERS
TWINS
Kanada
- 1988 - 116 min. - FSK: ab 18 (feiertagsfrei, ab 16; f) - Erstaufführung:
9.2.1989 - Produktion: David Cronenberg, Marc Boyman
Regie:
David Cronenberg
Buch:
David Cronenberg, Norman Snider
Vorlage:
nach dem Roman "Twins" von Bari Wood und Jack Geasland
Kamera: Peter
Suschitzky
Musik:
Schnitt:
Ronald Sanders
Darsteller:
Jeremy Irons
(Beverly/Eliot Mantle)
Geneviève
Bujold (Claire Niveau)
Heidi
von Palleske (Cary Weiler)
Barbara Gordon
(Danuta)
Stephen Lack
(Anders Wolleck)
Shirley
Douglas (Laura)
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