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Die
Unzertrennlichen
"Ich habe herausgekriegt, warum es Sex gibt."
– "Ja, wirklich? Fabelhaft!". – "Na ja, weil die Menschen nicht
unter Wasser leben. Weißt du, Fische brauchen keinen Sex, weil sie nur
Eier legen, die dann im Wasser befruchtet werden.". Das sind die ersten
Worte, die die eineiigen Zwillinge Elliott und Beverly Mantle in David Cronenbergs
"Dead Ringers" verlauten, und sie geben unmittelbar Aufschluss über
die Weisheit zweier Kinder, die nicht etwa wie ihre gleichaltrigen Nachbarn
auf der Straße spielen, sondern daheim anatomisch genaue Körperrepliken
sezieren und analysieren. Schließlich reifen sie auf dem Gebiet der Gynäkologie
zu renommierten Medizinern heran und führen in Toronto eine eigene Praxis,
da musste das früh ausgeprägte Interesse für Körperwelten
reines Schicksal bedeuten.
"Fische brauchen keinen Sex.". Das klingt
tatsächlich so, als sei es ihr großer Vorteil, im Wasser zu leben.
Wenn Sex die Form der direktesten Kommunikation, der intimsten Hingabe zwischen
zwei Menschen ist, dann muss er den Mantle-Zwillingen fremd sein: Sie teilen
jegliche Intimität in Wohn- und Arbeitsraum und schlafen mit denselben
Frauen. Sex ist letztlich nur eine Form reinen Pragmatismus’, die unumgehbare
Voraussetzung für neues Leben und die Grundlage ihrer Arbeit – aber niemals
könnte er wohl die unzertrennliche Zweckgemeinschaft imitieren, die die
Brüder verbindet. Sie bewegen sich deshalb selbst wie Pisces in einem engen
Aquarium. Das ausschließlich in klinischen blau-grauen Tönen eingefangene
Appartement der Mantles bietet als hermetisch abgeriegeltes Territorium jedoch
geradeso genug Bewegungsraum für seine zwei symbiotischen Fische. Bis die
Schauspielerin Claire Niveau in das Leben der Zwillinge tritt.
Zunächst ist sie nur ein weiteres kurzzeitiges
Objekt der Begierde, wie immer ist es der extrovertierte Elliott, der sie umgarnt
und beschmeichelt, ehe seine zurückgezogene zweite Hälfte zum Zuge
kommen darf. Doch Beverly empfindet schnell mehr für die frustrierte Schauspielerin,
die aufgrund ihrer drei Uterus-Ausgänge die Praxis der Zwillinge aufsucht.
Sie setzt eine Entwicklung in Gang, die sich ohnehin längst abzuzeichnen
schien: Beverly beginnt sich allmählich von seinem Bruder zu emanzipieren,
verfällt jedoch gleichzeitig immer weiter seinem exzessiven Drogenmissbrauch.
Eine Traumsequenz versinnbildlicht den sprichwörtlichen Keil, den Claire
zwischen die Zwillingsbrüder zu treiben scheint: Während des Geschlechtsverkehrs
zwischen ihr und Beverly bemerkt dieser, wie er von seinem siamesischen Zwilling
Elliott beobachtet wird, ehe Claire genüsslich das verbindende Fleisch
durchbeißt. Jeremy Irons verkörpert diese zwei Brüder mit beängstigender
Präzision in der Rolle seines Lebens. Wie er zwei so komplexe, mental unterschiedliche
Figuren mit nur wenigen Details differenziert – äußerlich unterscheiden
sich lediglich Haarlage und Make Up – ist nicht weniger als ein schauspielerischer
Triumph.
Cronenberg verzichtet im Gegensatz zur Vorlage "Twins"
bewusst auf eine Sexszene zwischen Beverly und Elliott. Die Brüder führen
zwar physisch wie psychisch ein symbiotisches Verhältnis, das ihnen eine
individuelle Entwicklung versagt, allerdings ist die Unzertrennlichkeit zwischen
beiden nicht sexueller Natur. Nicht umsonst erschaffen sie sich hinsichtlich
der eingangs angeführten Allegorie einen asexuellen Lebensraum, der ihre
Existenz als bloße Menschen – die sich ihres Seins mit ‚einfachem’ Sex
vergewissern – kaschieren soll: In ihrem Selbstverständnis sind die Mantle-Zwillinge
mehr als das. Nicht ihre eigenwillig archaischen Operationswerkzeuge, sondern
die Körper ihrer Patientinnen sind "falsch". Sie selbst beziehen
eine innige Verbindung, die niemand nachvollziehen darf: Das fing schon im Mutterleib
an, als sie eng umschlungen gemeinsam wuchsen.
Des Regisseurs Fatalismus von der Unausweichlichkeit
des Todes, der er zumeist mit mutierten Körpergeschwüren Ausdruck
gibt, wird in "Dead Ringers" nicht etwa vom Body- zum inneren Horror
transferiert, sondern trotz des Verzichts auf graphische Deformationen fortgesetzt.
Tatsächlich bilden die Mantle-Brüder als mutiertes Genprodukt das
bis dato komplexeste Geschwür, sie erscheinen als dessen äußerlich
perfekte fleischliche Materialisierung. Der Wille des Geistes über den
Körper ist längst nicht gebändigt, sondern fast eliminiert: Jetzt,
da sich Biologie als Schicksal behauptet und den Geist als endgültig untrennbar
vom Fleisch versteht, müssen "The Brood" und "Scanners"
gestrig erscheinen. In "Dead Ringers" finden Gedankenspiele von Seele
und Geist über Körper und Fleisch nicht mehr statt: Die Biologie steuert
den Menschen. Und befällt ihn mit Krankheiten oder führt zu seinem
unaufhaltsamen Ende.
Es ist der radikalste Film des Kanadiers, noch ausgefeilter
und durchdachter als seine vorigen Arbeiten. Der intellektuellen Provokation
mit ihren bitteren Erkenntnissen scheint ein leiser Bedacht gefolgt zu sein,
um nicht mehr nur länger den Irrglauben geistlicher Unendlichkeit mit Bildern
mutierter Leiber zu kontrastieren, sondern das absolute Grundprinzip des Seins
in Frage zu stellen. "Dead Ringers" schildert in Ellipsen den Werdegang
seiner Titelhelden, angefangen bei den artifiziellen Uterus-Bildern des Vorspanns,
über kurze Ausschnitte aus ihrer Kindheit bis hin zum beruflichen Karriereaufstieg.
Betonte Cronenberg die Genremuster in "The
Fly" eben noch so nachhaltig,
dass sie dessen zermürbend-tragischen Inhalt publikumskompatibel vereinbarten,
werden die erschütternden Fragen in "Dead Ringers" lediglich
von kühler Stringenz umschlossen. Der Film also bebildert erst Aufstieg
und Höhepunkt, Entwicklung und Fortschritt zweier Menschen, nur um sie
dann einem unmittelbaren rückschrittlichen Verfall zu überlassen.
Nicht jedoch eine Summe aus Außenfaktoren oder Defiziten in Sozialisation
und Status führen zum absehbaren Ende (wie auch in "The Fly"
nicht die technische Wissenschaft, sondern ein Fehler des Erfinders das Unglück
kausalisiert), vielmehr scheint der Mensch selbst zum Scheitern verurteilt.
Hoffnungsschimmer haben in dieser pessimistischen
Vision keinen Platz. Der Arzt als Beschützer des Menschen verliert bei
Cronenberg jede positive Bedeutung, er ist keine rettende Instanz mehr, sondern
ein drogenabhängiges Wrack, das seine Macht nicht mehr länger in den
Dienst des Menschen stellen kann: Nachdem ihm der Kittel einer päpstlichen
Zeremonie gleich übergestreift wird, verliert Beverly im OP-Saal jegliche
Beherrschung – Ärzte, die Götter – hier in Rot -, sind zu einer Bedrohung
für den Menschen geworden. Wenn die Zwillingsbrüder in ihrem nunmehr
von Müll überfüllten Appartement zuletzt hilflos auf dem Boden
kriechen und sich ein Stück Torte teilen, erhält dieser Rückschritt
einen mitunter schwarzhumorig und zynisch lesbaren, aber ebenso auch tragischen
Ausdruck: "Eiscreme haben wir nicht da, Elli. Mami hat die beim Einkauf
vergessen.", heißt es dann. Nun sind die Männer endlich wieder
Kleinkinder. Die Evolution hat ihren Zweck nicht erfüllt – das ist die
unausweichliche Rache der Biologie.
Rajko Burchardt
Dieser Text ist zu 90% zuerst erschienen bei: wicked-vision
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Die
Unzertrennlichen
DEAD
RINGERS
TWINS
Kanada
- 1988 - 116 min. - FSK: ab 18 (feiertagsfreir. ab 16; f) - Prädikat: wertvoll
- Verleih: Senator; Starlight (Video) - Erstaufführung: 9.2.1989 – Produktionsfirma:
Mantle Clinic II - Produktion: David Cronenberg, Marc Boyman
Regie:
David Cronenberg
Buch:
David Cronenberg, Norman Snider
Vorlage:
nach dem Roman "Twins" von Bari Wood und Jack Geasland
Kamera: Peter
Suschitzky
Musik:
Schnitt:
Ronald Sanders
Darsteller:
Jeremy
Irons (Beverly/Eliot Mantle)
Geneviève
Bujold (Claire Niveau)
Heidi
von Palleske (Cary Weiler)
Barbara
Gordon (Danuta)
Stephen Lack
(Anders Wolleck)
Shirley Douglas
(Laura)
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