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Unzertrennlich
"Unzertrennlich",
der Film der Brüder Bobby und Peter Farrelly über ein siamesisches
Paar, lässt keinen Kalauer aus
Doppelte
Präsenz
Es
ist wichtig, dass sie uns mit Gags begegnen. Beim Frühsport schaut sich
einer der beiden an der Hüfte zusammengewachsenen Zwillinge nach einer
Joggerin um, weshalb der andere vor einen Laternenpfahl knallt. "Ich hatte
Drinks mit ihr!" - "Aha, und wo war ich da?" Egal, keine Zeit
für Erklärungen, es wartet der Quickee Burger, ihr überaus beliebter
Provinz-Diner. Als Besitzer und Köche erledigen sie mit einem Kalauerlächeln
auch eine Mammutbestellung in knappen 180 Sekunden. Burger, Salat, Tomaten,
Senf- und Ketchup-Quetschen werden so sicher jongliert, wie ihre Kontrahenten
im Tenniseinzel düpiert oder die Gegner im Boxring hemmungslos versohlt
werden: "Das schaffen wir mit drei Händen auf dem Rücken!"
Na ja, nicht ganz.
Die
Politik von Unzertrennlich,
des sechsten Films der Brüder Bobby und Peter Farrelly, besteht darin,
in jedem möglichen Augenblick offensiv zu werden. So offen Bob (Matt Damon)
und Walt (Greg Kinnear) ihre Behinderung zeigen (alles andere wäre, wie
wir später sehen, auch lächerlich), so offensichtlich gereicht sie
ihnen immer wieder zum Vorteil. So direkt Diskriminierung stattfindet, so offensiv
wird sie gekontert. Als sich ein adretter Quickee Burger-Gast über den
etwas verhaltensauffälligen Kellner Rocket (Ray "Rocket" Valiere)
beschwert, treten die Brüder Bein an Bein und Arm an Arm aus der Küche
nach vorn, um den verdutzten Herrn höchstpersönlich rauszuwerfen:
"Wir haben hier eine Regel: Wir mögen keine Freaks, und wir wollen
sie nicht!"
So
könnte es weitergehen. Es wäre naheliegend, sich auf die Dichotomie
Freak vs. Normalbürger zu stürzen, um sie erst umzudrehen - "Selber
Freak!" - und sie dann mit einem Tritt zu verabschieden. In gewisser Weise
gelangt Unzertrennlich
am Ende auch an diesen Punkt, der Weg dahin jedoch ist komplexer und gerade
darin komischer.
Permanente
Überzahlsituation
Bob
und Walt beweisen zunächst, dass ihnen jenseits der einen gemeinsamen Leber
so gut wie keine Grenzen gesetzt sind. Obwohl Bob vor Schüchternheit literweise
Angstschweiß vergießt, spielt Walt auf der lokalen Theaterbühne,
klar, Ein-Mann-Stücke. Sex findet statt, jedenfalls bei Walt, mit einem
dezenten Vorhang zwischen Zwilling und Zwilling. In fast jeder Sportart haben
die zwei bereits ihre permanente Überzahlsituation ausgenutzt, und so kann
es auch nicht Wunder nehmen, dass Walt sogar den Sprung aus dem heimischen Martha'
s Vineyard nach Hollywood wagt. Auf Bob ("Du könntest mein Stunt-Double
sein") wartet dort immerhin seine E-Mail-Freundin May (Wen Yann Shih).
Doch zuerst die Arbeit. Nachdem es für Walt selbst beim Vorsprechen für
eine Kaugummireklame Absagen hagelt, weil "die Message von Double
Bubble
lautet, dass er den Geschmack verdoppelt und nicht, dass er, ähm, Geburtsfehler
hervorruft", kommt der Erfolg unverhofft. Niemand anders als Cher, der
vielleicht meistoperierte "Freak" unter den Superstars, heuert Walt
als Co-Star für eine ungewollte TV-Serie an, um ein Desaster und ihre Vertragsauflösung
zu provozieren. Tatsächlich schafft es die Kamera beim besten Willen nicht,
Bob aus Walts Bildern heraus zu halten, doch eben das macht "Honey and
the Beaze" zur Sensation. Ein Freak wird unter Freaks zum Star: "Sie
haben doppelt so viel Präsenz wie die meisten anderen Schauspieler!"
Auf
der buchstäblich anderen Seite kämpft Bob damit, May seine Eigenart
zu verheimlichen. Es kommt zu absurden Rendezvous' zu dritt, bis May höchst
dramatisch die Wahrheit entdeckt. Nicht zuletzt deshalb wird Walt nun endgültig
darauf bestehen, trotz der Lebensgefahr die operative Trennung von Bob zu riskieren,
um endlich als Schauspieler und nicht "nur als ein Trick" wahrgenommen
zu werden. Danach wird alles anders sein - und damit es wieder schön wird,
müssen beide Brüder in jeder Beziehung zu sich finden.
Die
Größe dieses Films, zu dem der vieldeutige Originaltitel Stuck
on you
wesentlich besser passt, liegt nicht nur in dem Tempo, mit dem hier Normalität
stets neu gewendet wird. Stuck
on you
prügelt mit dem Slapstick erbarmungslos die Bedingungen durch, unter denen
man in den Augen dritter zum Freak wird: "Ich weiß, was du fühlst",
gesteht Cher am Ende, "mein Liebhaber hat mich gerade fürs College
verlassen." Zugleich führt diese Komödie auch in die Intimität
zweier Brüder, die sich nur miteinander bewegen können - stuck on
you.
Siamesisch?
Amerikanisch!
"Wir
sind nicht siamesisch, wir sind amerikanisch", wird Bob einmal betonen.
Die tiefe Bedeutung dieses Gags erschließt sich dadurch, dass Bob und
Walt eine Variante des amerikanischen Traums durchspielen. Wie klug Unzertrennlich
die amerikanische Symbolgeschichte reflektiert, zeigt vor allem die motivische
Nähe zu den "siamesischen Zwillingen" Chang und Eng, die als
"die Sensation" in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts
zur Projektionsfläche für das Ideal von Bruderschaft der noch jungen
Nation geworden waren. United we stand: Als neuer US-Nationalkörper führt
das Geschwisterpaar Bob und Walt Projektionen vor, anstatt sie abzubilden. Hier
werden Symbole lebendig, blicken zurück und treten in Hintern.
Jan
Distelmeyer
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in der: Frankfurter
Rundschau
Unzertrennlich USA 2003 - Originaltitel:
Stuck On You - Regie: Bobby Farrelly,
Peter Farrelly - Darsteller: Matt Damon,
Greg Kinnear, Eva Mendes, Wen Yann Shih, Pat Crawford Brown, Ray "Rocket"
Valliere, Cher, Seymour Cassel - FSK:
ab 6 - Länge: 118 min. - Start:
1.1.2004
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