U-TURN
Wir kennen das schon: Sobald ein Oliver-Stone-Film herauskommt, der nicht
auf den ersten Blick etwas mit Vietnam, dem Weißen Haus oder der jüngsten
US-amerikanischen Vergangenheit zu tun hat, wird er von erläuternden,
beinahe entschuldigenden Zitaten des Regisseurs flankiert. Hieß es bei
NATURAL BORN KILLERS, diesen Film habe Stone nicht zuletzt zur Erholung
und des filmischen Experiments wegen gemacht, so wiederholt sich diese
Rezensions-Vorgabe pünktlich zum Erscheinen von U-TURN. "Ich wollte Spaß
haben", wird der Regisseur zitiert, "mich entspannen und mich nicht enorm
unter Druck setzen."
Unabhängig davon, daß dieser Refrain von Stones Inszenierung als
weitestgehend autonomes Künstler-Subjekt eine eigene Analyse wert wäre,
gewinnt U-TURN auch jenseits seiner Begleitumstände einige symptomatische
Züge. Gleich auf mehreren Ebenen könnte man ihn als eine Art Zerrbild
dessen begreifen, was Oliver-Stone-Filme bislang ausgezeichnet hat.
Bobby (Sean Penn) ist ein Verlierer, ein Spieler im Dauerpech, der
zuletzt sogar zwei Finger verloren hat - sein Gläubiger, der russische
Geldeintreiber Mr. Arkady (Valery Nikolaev), hat sie ihm zur Warnung
abschneiden lassen. Nun droht Bobby noch mehr einzubüßen, denn auf dem Weg
nach Las Vegas ist er mit seinem Wagen und den 13.000 Dollar für Arkady im
Wüstenkaff Superior steckengeblieben. Hier wird er nicht nur von dem
debilen Automechaniker Darrell (Billy Bob Thornton) geneppt, sondern
außerdem während eines absurden Gemetzels im örtlichen Lebensmittelladen
um seine bzw. Arkadys gesamte Barschaft erleichtert. Dafür hat er sich in
die junge Grace (Jennifer Lopez) verguckt, die mit dem
manisch-eifersüchtigen Jake (Nick Nolte) verheiratet ist, der zugleich der
Witwer von Grace' indianischer Mutter ist. Um das Dilemma rund zu machen,
bieten ihm beide Eheleute unabhängig von einander an, den jeweilig anderen
zu ermorden. Als Belohnung winkt eine Menge Geld – Jakes einzige Chance,
Superior und Mr. Arkady zu entkommen.
Das ist zunächst eine aufdringliche Verknüpfung verschiedener
Genre-Elemente bis hin zu Anleihen bei Klassikern der Filmgeschichte. Als
ein steckengebliebenes Road Movie mit augenfälligen Parallelen zu RED ROCK
WEST peilt U-TURN ohne Umschweife die Verbindung von Film noir und Western
an. Die Peckinpah-Metapher von den sich selbst zerfleischenden
Wüstentieren aus THE WILD BUNCH ist von Anfang an allgegenwärtig, der
örtliche Sherriff (Powers Boothe) rät dem undurchsichtigen Fremden weilerzuziehen, und das Doppelspiel mit
Grace und Jake zitiert in Form einer Spirale Tay Garnetts THE POSTMAN
ALWAYS RINGS TWICE. Wer sich diese unterschiedlichen Genre- und Filmbilder
als eher krampfhafte Kombination vorstellt, die von der Montagetechnik und
Bildästhetik zusammengehalten wird, mit der man Stone als Regisseur
gemeinhin assoziiert, der bekommt ein ziemlich genaues Bild von U-TURN.
Schon in der Titelsequenz und den darauffolgenden Szenen werden wir mit
all dem eingedeckt, wofür JFK oder NATURAL BORN KILLERS berühmt geworden
sind: Jump-Cuts, überraschende Perspektiv- und Formatwechsel, eine
ungemein bewegliche Kamera, assoziativ anmutende Schnittfolgen,
Zeitraffer-, bzw. Zeitlupen-Inserts und ein Ton, der weit mehr als nur
begleitenden Charakter besitzt. Diese Erzähltechnik hatte JFK, THE DOORS
und vor allem NATURAL BORN KILLERS eine Dynamik gegeben, die hier jedoch
genau das Gegenteil von dem vermittelt, was der Plot und seine Figuren
über das verschwitzte Nest Superior erzählen. Die Verschlafenheit, die inzestuöse Eintönigkeit in der Wüste
Arizonas wird gleichsam durch die sprunghafte Form der Inszenierung
konterkariert. Durch das Aufeinanderprallen dieser zwei Welten wird aber
die Künstlichkeit beider Seiten deutlich.
Ähnliches geschieht in Bezug auf die motivischen Wiedergänger früherer
Stone-Filme, die sich in U-TURN einerseits wiederholen und andererseits
über ihre Plakativität die eigene Dekonstruktion bewirken. Die Wüste als Zentrum der kathartischen Erfahrung
(wie in GEBOREN AM 4. JULI, THE DOORS oder NATURAL BORN KILLERS), die Frau
als Prüfung und Meßinstrument des männlichen Protagonisten, die innere
Zerrissenheit des Helden bis hin zur Selbstzerfleischung und der Indianer
als orakelhafter Verwalter der Wahrheit - all das bekommt in U-TURN
Auftritte, die man als postmoderne Selbstzitate verkaufen könnte, ln jedem
Fall trägt U-TURN gerade in der Fortführung so zentraler Elemente der
Stone-Filme das Gegenteil von dem mit sich, was diese Elemente, Figuren
und Metaphern bislang mehr oder weniger eindeutig erzählt hatten. Eben
weil die Genre-Mixtur von U-TURN nicht funktioniert und so in ihre
Bestandteile zerfällt, wird der Blick frei auf das, was sie verbunden
hat.
Am deutlichsten wird dies vielleicht an der Figur des blinden Indianers,
der von Jon Voight gespielt wird. Als ironische Quersumme der
Stone-Indianer aus THE DOORS und NATURAL BORN KILLERS ist er zugleich die
Fortführung dieses Figuren-Typus, der am Ende doch nicht aus seiner
Funktion ausbricht. Die Überzogenheit dieser Figur wird im Zusammenhang
mit seiner letztlichen Pflichterfüllung zur Fortsetzung des Mythos, der
darüber zugleich in seiner Funktionsweise transparent wird. Er habe sein
Augenlicht in Vietnam verloren, erklärt der namenlose Indianer; später
wird er behaupten einer Frau wegen erblindet zu sein, und permanent gibt
er dem Fremden Lebensweisheiten auf den Weg. Doch auch wenn der Blinde
bisweilen als zynische Parodie auf den griechischen Seher Teiresias
daherkommt und sich dabei aber gerade zu Anfang als chronischer Lügner
zeigt, so ist er am Ende gleichwohl der einzige, dessen Selbst- und
Weltwahrnehmung komplett vom Leben/Film bestätigt wird.
Der Film ist auf eine Weise mißlungen, die stärker als andere Stone-Filme
der eigenen Mythologie folgt, sie ausstellt und darüber eine sich selbst
gegenläufige Bewegung beschreibt. Gerade in seiner Widersprüchlichkeit
wirft U-TURN ein anderes Licht auf Stones Œuvre, in dem vor allem Filme
wie THE DOORS, NATURAL BORN KILLERS und auch ZWISCHEN HIMMEL UND HÖLLE neu
zu sehen wären. Und insofern trägt U-TURN seinen Titel mehr als zu Recht.
Jan Distelmeyer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: epd film 5/98
U-TURN
USA 1997. R: Oliver Stone. B: John Ridley (nach seinem Buch
"Stray Dogs"). P: Dan Halsted. K: Robert Richardson. Sch: Hank
Corwin, Thomas J. Nordberg. M: Ennio Morricone. T: Gary Alper
A: Victor Kempster. Dan Webster. Ko: Beatrix Aruna Pasztor. Pg
Illusion Entertainment Group. V: Columbia. L: 125 Min. FSK 18
nffr. St: 23.4.1998. D: Sean Penn (Bobby Cooper), Nick Molti
(Jake McKenna), Jennifer Lopez (Grace McKenna), Powers Boothe
(Sheriff Potter), Claire Danes (Jerry), Joaquin Phoenix (Toby
N. Tucker), Billy Bob Thornton (Darrell).