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Utz
UTZ,
die Verfilmung von Bruce Chatwins Roman, ist auf ihre Art perfekt. Sie läßt
keine Fragen offen. Aber gerade deswegen verfehlt sie das Ziel bei weitem. Denn
Chatwins Figuren leben von ihrem Geheimnis; von den Fragen, die sie aufwerfen;
von den Antworten, die ausbleiben. Für den Film ist dagegen alles blitzblank
klar. In strahlender Eindeutigkeit lebt Baron Kaspar von Utz (Mueller-Stahl,
er bekam 1992 den silbernen Bären für die Rolle) Obsessionen aus:
das Sammeln von Porzellan (Meißen) und den Kontakt mit dicken Frauen (Operndiven).
Bedienen läßt er sich von Ehefrau Marta (Brenda Fricker, einer Art
Marianne Sägebrecht mit Shakespeare-Niveau, ihr hätte der Bär
gebührt), der er jedoch auf Grund andersartiger Neigungen die körperliche
Liebe verweigert. Herr von Utz ist ein Herr. Da er jedoch in Prag lebt, kommen
böse Kommunisten, die nicht nur taktlos sind, sondern auch noch schielen,
und reklamieren die Sammlung fürs Museum. Utz bekommt einen Herzinfarkt.
Noch vor Eintritt des Todes läßt er die Sammlung zerschlagen. Kein
Stück in Feindeshand!
Eine
der vielen Ambiguitäten des ChatwinBuches ist das offene Ende. Die Sammlung
verschwindet spurlos und beflügelt die Phantasie. Die Aura des Geheimnisvollen
hatte im Roman eh Neugier geweckt, die Charaktere der Handlung gar konstituiert.
Im Film also platte Festlegung. Der Reiz von Chatwins schwebenden Fragezeichen
ist dahin, stattdessen Zerdeppern des Porzellans und eine Politik der verbrannten
Erde (kein Porzellan für Kommies), womit ich aber auch die Ruinierung der
Chatwin-Aura meine. Das Drehbuch (Hugh Whitemore) verlegt den Infarkttod vom
Jahr 1974 ins Jahr 1989, auf der Straße befreit sich das Volk. - Alles
ist möglich, auch daß die schielenden Museumsapparatschiks davongejagt
werden. Aber nein, der Film erfindet einen Schluß, der nicht nur banal,
sondern schlichtweg dumm ist, aber leider typisch dafür, wie das Drehbuch
mit dem Roman umgegangen ist.
Nicht
zu leugnen ist freilich, daß die strahlende Eindeutigkeit des Films sich
in brillianten, ungeheuer differenziert ausgeleuchteten und mit äußerster
Sensibilität montierten Bildern niederschlägt. Auf der Tonspur Don
Carlos, Mueller-Stahl ein Pflegefall, noch das geringste Zucken der linken Braue
ist auf Stimme und Ton der Königin von Spanien geschnitten. Ästhetischer
Reiz für jeden Schöngeist, ohne Frage. Aber eben ohne jede Frage für
den Film. - Der Film leistet sich den Luxus, jede noch so ferne Erinnerung vorauseilend
in eine Rückblende umzusetzen. Dann badet die herrliche Marta nackt, aber
in Begleitung eines leibhaftigen Gänserichs, in einem so malerischen Dorfteich,
daß die Sauberkeit einer Bilderbuchlandschaft dreimal übertroffen
ist. Wer jetzt hoffnungsvoll meint, Ansätzen versteckter Ironie auf der
Spur zu sein, wird jedoch auf der Stelle enttäuscht. Denn schon nehmen
mit ihren Forken Klischeebauern die Verfolgung auf. Es sind die nicht oder lieblos
geführten Statisten und Komparsen, wie von Oper, Bühne und Film bekannt.
- Nein, der Film UTZ meint es bitterernst. Und er sagt es. Gerade dann, wenn
seine - unbestrittenen - Schauspielerstars am schönsten spielen. Die Glätte
und Sterilität des Films ist offenbar der Preis dafür, daß Chatwins
bald latente, bald manifeste Zweideutigkeit in die Unanstößigkeit
dieser Eurofilmproduktion überführt wurde (so setzt der Film das Stichwort
„Bordell" nicht in Bilder um, wohl aber zeigt er ausführlich die touristische
Einlage „Besuch am Grab von Rabbi Löw").
Der
Film, ohne Charakter, aber finanziert von BBC, NDR und den diversen regionalen
und europäischen Fördergremien, ist eine britisch-deutsche Koproduktion
unter der Regie des Niederländers George Sluizer, gedreht mit der irischen
Starschauspielerin Brenda Fricker, zur Gänze entstanden in der tschechischen
Stadt Prag, dort besonders in dem jedem Touristen bekannten Spiegelsaal des
Jugendstilhotels „Europa". Der „Europa"-Film wird ohne jeden Zweifel
als besonders gediegenes Fernsehspiel in allen öffentlich-rechtlichen Stationen
laufen. Dank der Mueller-Stahl-Fans, die diesen auch dann mögen, wenn er
als Pflegefall vorgeführt wird, sind auch bei uns Kinoaufführungen
zu erwarten. Wem das ein Fest ist, dann nur zu.
Dietrich
Kuhlbrodt
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
UTZ
UTZ
Großbritannien/Italien/BRD 1991. R:
George Sluizer. B:
Hugh Whitemore (nach dem gleichnamigen Roman von Bruce Chatwin)- P: John Goldschmidt.
K: Gerard Vandenberg. Sch: Lin Friedman. M:
Nicola Piovani. Ba:
Ulrich Schröder. A:
Karel Vacek. Ko:
Marie Frankova. Pg:
Viva Pictures/NDRIBBC/Academy Pictures/Cine Electra. V:
Kinowelt. L: 98 Min. DEA: Berlinale 1992. St: 28.1.1993. D: Armin Mueller-Stahl
(Baron Kaspar Joachim von Utz), Brenda Fricker (Marta), Peter Riegert (Marius
Fischer), Paul Scofield (Dr. Vaclav Orlik), Miriam Karlin (Großmutter
von Utz), Christian Mueller-Stahl IUtz 18 Jahre alt), Jakub Zdenek (Utz 11 Jahre
alt), Christian Rabe (Utz 5 Jahre alt), Caroline Guthrie (Marta als junges Mädchen).
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