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Uzak
- Weit
Der
türkische Regisseur Nuri Bilge Ceylan gewann 2002 in Cannes mit Uzak, seinem
dritten Spielfilm, die Goldene Palme und weitere Auszeichnungen. Dennoch dauerte
es fast drei Jahre, bis der autobiografisch angehauchte Film bei uns einen Verleih
fand.
Am
Anfang gibt es eine Totale auf eine frühmorgendliche Hügellandschaft
in Anatolien, in der nach einer Weile, erst als schwarzer Punkt in der Ferne
sichtbar, ein junger Mann mit einer Reisetasche auftaucht. Am Ende sehen wir
einen anderen Mann, er sitzt auf einer Bank am Istanbuler Bosporus und raucht.
Dazwischen: fast zwei Stunden Film, ebenso leise und unspektakulär wie
diese Bilder, und doch so eindringlich, dass er sich mit stiller Gewalt ins
Bewusstsein einschleicht und dort noch lange kreist.
Gleich
mehrfach wurde Nuri Bilge Ceylan für Uzak vor
drei Jahren in Cannes ausgezeichnet. Doch da war der 1959 in Istanbul geborene
Filmemacher längst kein Unbekannter mehr. Schon mit Kasaba eroberte
er 1997 die internationale Kritik wie auch das türkische Publikum: Ein
echter „Filmemacher“, der in seinen No-Budget- bis Low-Budget-Produktionen von
der Kamera bis zur Produktion fast alles selbst besorgt und seine bisherigen
Filme auch inhaltlich mit einer persönlichen filmischen Entwicklungslogik
ausgestattet hat, die von der provinzjugendlichen Aufbruchsstimmung von Kasaba ohne
Umwege zu den erstarrten Männlichkeitspanzern von Uzak führt.
Und mit Mayis Sikintisi (1999) verbinden Uzak nicht
nur die beiden Hauptdarsteller, sondern auch zentrale Elemente ihrer Figuren
und der Handlung, der man zumindest entfernt autoreferenzielle Bezüge unterstellen
darf. Steht im Mittelpunkt von Mayis Sikintisi ein mittelalter Filmemacher mit
künstlerischer Ambition, so bei Uzak ein
Fotograf. Dabei ist Ceylans von Muzzafer Özdemir gespieltes vollbärtiges
filmisches Alter ego Mahmut wahrlich kein Sympathieträger, auch wenn der
Antagonist (Mehmet Emin Toprak) kaum besser wegkommt.
Während
Mahmut schon seit vielen Jahren in Istanbul lebt und hier – zumindest finanziell
– erfolgreich als Werbefotograf arbeitet, hat sein Cousin Yusuf sein bisheriges
Leben auf dem Land verbracht. Doch jetzt hat er seinen Job in der Fabrik verloren
und ist in die Stadt gekommen, um sich dort Arbeit als Seemann bei einem der
Reedereibüros am Bosporusufer zu suchen. Mahmut nimmt den Vetter mit kaum
unterdrücktem Widerwillen für ein paar Tage in seiner Junggesellenwohnung
auf, die mit viel dunklem Holz hinter einem gewaltigen Schreibtisch und Blick
über die Dächer der Stadt vom relativem Wohlstand und intellektuellem
Selbstverständnis ihres Bewohners zeugt. Yusuf gibt sich anpassungswillig,
kann eine gewisse ländliche Behäbigkeit und Naivität aber nur
schlecht verleugnen. Und auch die Arbeitssuche führt nicht wie erhofft
zum Erfolg.
Aus
den paar Tagen werden also ein paar mehr. Die verbringt der Gast meist mit ziellosen
Ausflügen durch die winterlich graue Stadt, die Ceylan in ruhigen, sorgfältig
komponierten Ansichten von ihrer melancholischen untouristischen Seite zeigt.
Auch Mahmuts Leben sieht bei genauerem Hinsehen trist aus. Die Werbeaufträge
für Küchenkacheln sind nur der traurige Abklatsch dessen, was sich
der Fotograf einmal vorgestellt haben mag. Die Ehefrau, die ihn verlassen hat,
ist gerade dabei, mit ihrem neuen Partner nach Kanada aufzubrechen. So beschränkt
sich Mahmuts Sozialleben auf gesellige Zusammenkünfte mit anderen männlichen
Möchtegern-Intellektuellen und gelegentlichen sexuellen Treffs mit einer
Nachbarin, die Ceylan absichtsvoll zur Unkenntlichkeit vernebelt.
Auch
einander bleiben die beiden Männer fremd. Nüchtern reiht Nuri Bilge
Ceylan eine isolierte Einstellung an die nächste und lässt es weder
zur Krise kommen, noch macht er – trotz gelegentlicher humoristischer Situationen
– Anstalten, die Situation in komödiantische Richtung aufzubrechen. Kein
türkisches „odd couple“ also. Und auch die einzelnen Szenen sind nicht
auf die Dynamik von Krise und Auflösung hin komponiert: Einsame Fernsehabende
mit Tarkovskij und Porno, eine scheinbar verloren gegangene Uhr und das Aufstellen
einer Mausefalle im Flur sind schon die markantesten Ereignisse in diesem Film,
der dafür an inneren Perspektiven umso reicher ist. Dabei braucht man keineswegs
Türke zu sein, um Ceylans traurige Bestandsaufnahme vom entfremdeten Leben
nachvollziehen zu können, nicht einmal ein Mann. Bleibt nachzutragen, dass
Mehmet Emin Toprak kurz nach den Dreharbeiten bei einem Autounfall verstarb.
Einen nächsten Film mit dem Duo wird es also nicht geben.
Silvia
Hallensleben
Männer
unter sich: ein Istanbuler Werbefotograf beherbergt widerwillig für ein
paar Tage seinen arbeitslosen Cousin vom Lande. Fast nichts passiert in dieser
unter die Haut gehenden Bestandsaufnahme vom entfremdeten Leben aus einer Türkei,
die so fremd nicht ist.
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei: epd film
Uzak
Türkei
2002. R, B, P, K: Nuri Bilge Ceylan. Sch: Ayhan Ergürsel, Nuri Bilge Ceylan.
M: Mozart. T: Erkan Aktas. A:
Ebru Ceylan. Pg: NBC. V: sanartfilm, Tel. 0911-929 65 60. L: 110 Min. Da: Muzaffer
Özdemir (Mahmut), Mehmet Emin Toprak (Yusuf), Zuhal Gencer Erkaya (Nazan),
Nazan Kirilmis (Geliebte), Feridun Koç (Hausmeister), Fatma Ceylan (Mutter),
Ebru Ceylan (junge Frau).
Die
Jury der Evangelischen Filmarbeit hat Uzak
zum Film des Monats Februar 2005 gewählt
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