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Valley of Flowers
Das „Tal der Blumen“ existiert
wirklich. Dieser schwer zugängliche Ort in den grüneren Regionen des
Himalaya ist der Legende nach Spielwiese für Feen und Nymphen, die
sich dort mit irdischen Liebenden tummeln. Eine Liebesgeschichte mit spirituellen
Zügen erzählt Pan Nalin in seinem zweiten Spielfilm. Bereits zuvor,
mit „Samsara“ hatte er einen tiefen Blick in die nordindische Bergwelt getan.
Und einmal mehr besticht „Valley of Flowers“ durch seine Naturaufnahmen von
Felsklüften, türkisblauen Bergseen, Flussufern und Schneehängen
am Himalaya.
Die Geschichte beginnt in einem
anderen, staubig-unwirtlichen Tal, irgendwann im 19. Jahrhundert. Die Ausgangssituation
erinnert an Sergio-Leone-Western: Eine buntgewürfelte Gruppe von Strauchdieben
wartet darauf, dass ihr die nächste Handelskarawane in die Falle läuft.
Die Beute lässt nicht lange auf sich warten; nach dem Überfall lassen
die Beraubten Gold, eine Staubwolke und die schöne, rätselhafte Ushna
zurück, die sich mit dem Bandenchef Jalan auf mystische Weise verbunden
fühlt. Die selbstbewusste junge Frau schließt sich der Bande an und
macht sich dank ihrer ans Hellseherische grenzenden Fähigkeiten sogar nützlich.
Mit wachsender Abhängigkeit Jalans von Ushna vernachlässigt der Anführer
allerdings seine Truppe, wendet sich schließlich ganz von seinen Männern
ab. Mit dem Abdriften der Liebenden in übernatürliche Welten wandelt
sich auch die Geschichte, der mehrere, dem Spannungsbogen abträgliche Brüche
zugemutet werden.
Dennoch entfaltet das (Zwischen–)Spiel
mit buddhistischen Symbolen und märchenhaften Zutaten wie aus Tausend und
einer Nacht einigen Zauber: Die kriminelle Energie des Paars richtet sich nicht
mehr auf Gold und Juwelen, sondern auf Immaterielles wie Lebensenergie, Glück
und die Kunst des Fliegens. In einer tricktechnisch eigentlich simplen und dennoch
atemberaubenden Effekt-Einstellung wird sogar ein menschlicher Schatten gekidnappt.
In solchen Szenen gelingt es Nalin, den Egoismus und die Weltentrücktheit
von Liebenden ins Wundersame zu transponieren. Weniger geglückt ist die
blasse Widersacher-Figur des weisen „Yeti“ – der kein Schneemensch ist, sondern
eine Art Geisterpolizist, der um das von den Umtrieben des Paars bedrohte Gleichgewicht
der Natur besorgt ist. Trotzdem bleibt unklar, ob der weißbärtige
Verfolger sich aus väterliche Sorge oder zornigem Vergeltungswillen an die Fersen der beiden
heftet. Als die Liebenden ein Unsterblichkeitselixier trinken, Ushna kurz darauf
aber dennoch von einer Kugel niedergestreckt wird, erlebt die Story ihren gewaltigsten
Umbruch. Eine lange Seitfahrt der Kamera, die auf die Füße des nun
einsam durch Raum und Zeit irrenden Jalan fixiert bleibt, während sich
der Boden unablässig wandelt, ist nur ein Beispiel des visuellen Einfallsreichtums,
mit dem der Film glänzt.
Trotzdem: den Unsterblichen nach
hundertjähriger Wanderschaft im heutigen Tokio sesshaft werden zu lassen,
ist kein guter Einfall, weil Nalin nun den Rest an Anteilnahme beim Zuschauer
mit läppischen Drehbuch-Ideen verspielt: Jalan tritt als Spezialist für
Sterbehilfe auf, als Suizid-Vertreter im Auftrag einer Firma namens „Valley
of Flowers“. Dahinter steht offenbar Jalans Sehnsucht, selbst Ruhe finden zu
können. Immerhin begegnet er – was kaum überrascht – Ushna wieder.
„Dies ist meine fünfte Reinkarnation,“ bemerkt die Wiedergefundene
und fügt hinzu: „ich kann nicht mehr.“ Ein selten blöder Dialogsatz,
in dem die ganze unfreiwillige Komik, Bemühtheit und Abstrusität des
letzten Filmdrittels steckt. Dass Nalin den traditionell buddhistischen Glauben
an „Samsara“, den Kreislauf der Wiedergeburten, mit dem Sterbehilfe-Diskurs
verquickt, ist ein Fehlgriff, der andeutet, dass sich der Regisseur und Drehbuchautor
Pan Nalin mit zeitgenössischen Themen (noch) schwer tut. Im Gedächtnis
bleiben vom Film eine verzettelte Handlung, viele famose Bild-Erfindungen und
die wirkungsvolle, zwischen westlich-modernen und indisch-traditionellen Klängen
pendelnde Musik. In den Straßenschluchten von Tokio verweht die Magie.
Man wünscht sich ins „Tal der Blumen“ zurück.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: film-dienst
Deutschland / Frankreich 2006 - Regie: Pan Nalin - Darsteller: Milind Sonam, Mylène Jampanoï, Naseeruddin Shah, Jampa Kalsang Tamang, Anil Yadav, Migmar Tashi, Tashi Thondup, Nawang Tharchin, Urgyan Tsering, Amrit Pal - FSK: ab 12 - Länge: 120 min. - Start: 31.5.2007
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