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Vampyr
- Der Traum des Allan Gray
Wer
sich Vampyr
von
der Warte des heutigen, am populären Kino geschulten Filmfreundes erschließt,
könnte vielleicht wirklich dem ersten Reflex gehorchen und behaupten: „Fühlt
sich an wie ein Film von David Lynch.“ Natürlich täte man Dreyer wie
Lynch damit Unrecht (von der Filmgeschichte mal ganz zu schweigen). Doch ein
klein wenig wäre damit schon über das Befremden, das diese kontingente
Welt auslöst, über die Methode des Entrückens einer der Alltagsempfindung
eigentlich nahe stehenden Welt hinein ins entfremdet Artifizielle, die beide
Filmkosmen aneinanderrückt, ausgesagt.
Spannend
ist es, wie der Film sich zur eigenen Position in der Filmgeschichte verhält.
Zahlreiche Texttafeln – von der Erläuterung des allgemeinen Hintergrunds
bis zu versunkenen Blicken in das Buch der „Geschichte der Vampyre“ – sowie
lange Sequenzen, in denen kein Wort über die Lippen der „Gestalten“ (wie
sie der Vorspann nennt und ja, „Figuren“ oder gar „Menschen“ sind das wirklich
nicht) kommt, weisen ihn eigentlich als Stummfilm aus. Doch dann sind die wenigen
Momente, in denen gesprochen wird (meist Knappes, Einsilbiges, nicht selten
sinnentleert Anmutendes), von ungemeiner Relevanz für die (entgegen der
Erwartungen ob des Films) nicht etwa schauderhafte, sondern entfremdete Atmosphäre:
Die monoton, oft in unwirklichen Stimmlagen rezitierten Sätzlein umgibt
etwas Leichenhaftes, das auf den Filmraum selbst zu wirken scheint. Etwa die
Szene gleich zu Beginn, als Allan Gray im Gasthaus angekommen ist, und plötzlich
das Murmeln eines Greises von einem Stock höher einsetzt: Mit einem Male
zeigt sich der Raum im anderen Bilde, mit minimalstem Aufwand ergibt sich ein
Irrealis des Settings, das durch den Auftritt schließlich des grotesk
anzusehenden alten Mann, dem das gebetsmühlenartige Gemurmel entspringt,
noch verstärkt wird. Oder der Auftritt des alten Mannes, der dann im späteren
Verlauf von dem Vampyr hörigen Schatten erschossen wird und dessen Spukgestalt
Gray nächtens in seinem Zimmer besucht und ihn um Hilfe anfleht. Das klägliche
„Sie darf nicht sterben“ – narrativ zunächst durch nichts gestützt
- wird nicht nur aufgrund seines rätselhaften Inhalts, sondern vor allem
auch durch die Form der medialen Darbietung zum wichtigen Faktor des Filmgelingens.
Aus dieser bewusst eingesetzten Klangästhetik spricht ein hohes Gespür
für die Wirkung von Ton im Film: Vampyr ist
deshalb kein Zwitterwesen aus Stumm- und Tonfilm, wie man vielleicht meinen
könnte, sondern Tonfilm ganz und gar, der den Weg „illustrierenden Geschwätzes“
nicht gegangen ist.
Dies
hat Methode, die sich auf den ganzen Film erstreckt: Der Topos des Vampirs steht
unter anderem auch für eine Auflösung der Gegensätze des Alten
und des Neuen in eine synthetisierte neue Form: Meist ist er ein Wiedergänger,
der seine Zeitsphäre – das Alte – verlassen hat. Zur Zeit der Emanzipation
des Bürgertums tritt er auf als der wiedergekommene Aristokrat. Gleichzeitig
weist er sich auch als der Überwinder des biologischen Verfalls wie der
sexuellen Moralvorstellungen des Bürgertums als ein Menschenentwurf der
Zukunft aus, für den zudem die klassische Lohnarbeit als Option nicht mehr
in Frage kommt. Diese Hybridität spiegelt sich im Film nicht nur in seiner
Synthese von Ton- und Stummfilm, sondern auch in seiner Verhandlung des Vampirs
selbst, die hier nicht in die filmische Schauderromantik als vermeintlich authentische
Illustration einer Geisteswelt des 19. Jahrhunderts hineingleitet, sondern hier
eher den Blick des 20. auf das 19. Jahrhundert (das selbst wiederum ins 18.
blickte) im Sinn hat: Der „Vampyr“ des Films wird erst durch ein Buch aus dem
19. Jahrhundert erkennbar und auch nur, als der im Vorspann ausgewiesene „Phantast“
Allan Gray sich darin versenkt. Allan Gray ist dabei anhand seiner Erscheinung
– Anzug und Krawatte - deutlich als Mensch des 20. Jahrhunderts zu erkennen,
den nostalgische Sehnsüchte nach bestaunenswerter Romantik und Spuk bestimmen.
Vermutlich nicht ganz von ungefähr erinnert er auch in manchen Momenten
rein äußerlich ein wenig an H.P. Lovecraft, der den eigenen verklärten
Blick auf die Kultur und Literatur vergangener Dekaden zur eigenen Methode erhoben
hat. In dieser Hinsicht ist Vampyr deshalb
ein kluger (Vampir-)Film: Weil er nicht Altes vermeintlich authentisch illustrieren
will (vgl. etwa die frühen Gruselfilme der Hammer Studios, gegen die ich
damit im übrigen nichts gesagt haben will), sondern weil er seine Vampirgeschichte
zur Geschichte vom Verhältnis des Blicks auf seinen Gegenstand erklärt.
Klug
ist auch die Inszenierung des Raumes. Wie kaum ein anderes Filmgenre thematisiert
der Horrorfilm seinen Raum, respektive dessen Destabilisierung. In kaum einem
anderen Genre ist deshalb das Verhältnis von Kamera und Erzählraum
so wichtig: Der Horrorfilm ist ein Genre des Close-Ups und des „unmöglichen
Winkels“, die Totale findet man indes nur selten und kaum ein Horrorfilm kommt
ohne Momente aus, in denen der Raum und seine Stabilität infrage gestellt
werden (man denke nur an den berühmten zugezogenen Duschvorhang und was
sich wohl dahinter verbergen könnte): Wer im Horrorfilm überlebt und
wer nicht, ist meistens, wenn nicht immer, eine Frage dessen, wer sich in welchem
Raum wie verhält, wem Macht ihn souverän zu durchqueren zugemessen
wird: Deshalb überlebt das Mädchen am Ende von Texas
Chain Saw Massacre:
Weil sie über den Sprung durch das Fenster ihren Raum zu erweitern weiß
und in ihm neue Vektoren auszumachen in der Lage ist, wohingegen dem plumpen
Leatherface nur der Gang durchs Treppenhaus einfällt. In Vampyr ist
der Raum ebenfalls von Belang: Die Kamera folgt den Figuren erstaunlich behände,
zahlreiche Plansequenzen lassen den Raum erkunden, Kreisfahrten bieten Übersichten
auf der Horizontalen, denen häufige Detailansichten gegenüber stehen.
Dennoch: Ein souveräner Überblick über das komplex konstruierte
räumliche Gefüge ist in der Tat kaum möglich. Ganz im Gegenteil
stellt sich das Gefühl eines „Durchschwebens“ ein: Wie Allan Gray staunend
durch seinen mutmaßlichen „Traumraum“ schreitet, wird auch der Zuschauer
vom Verständnis des Raumes als einem authentischen methodisch entrückt.
Die
hohe Beweglichkeit der Kamera und die dadurch entstehende Nähe zum Raumgeschehen
bedingen dabei einen zusätzlich befremdlichen Effekt: Eigentlich wirkt
dieser Film an keiner Stelle wie aus den frühen 30er Jahren. Ganz im Gegenteil
meint man sich mindestens in den 60er Jahren zu bewegen. Erinnerungen an Night
of the Living Dead
werden wach und man hat auch in den folgenden Jahren noch manchen statisch erstarrten
Film gesehen. Dies nun lässt den Film vollends ins Surreale kippen: Dass
ein Film aus scheinbar späteren Jahrzehnten in eine synthetisierten Form
aus Stumm- und Tonfilm in den frühen 30er Jahren auftritt und vom Verhältnis
von Gegenwärtigkeit und Vergangenheit handelt, in dem alle Personen selbst
schon aus dem Zustand des post mortem heraus zu agieren scheinen (in der Tat:
Allan Gray wird an einer Stelle beerdigt, in einer anderen, mittels Doppelbelichtung
bewerkstelligten Sequenz löst sich ein durchscheinendes Abbild seiner Selbst
von seiner physischen Gestalt und irrlichtert durch die Welt, wie alle Figuren
sprechen als seien sie schon nicht mehr lebendig, wie überhaupt alles so
wirkt, als sei es die Phantasie eines bereits Gestorbenen), all dies lässt
das Filmerleben selbst zu einer Art Trance geraten: In Mitternachtskino haben
Hoberman und Rosenbaum auf die religiöse Tradition und kultische Nähe
der Zeremonien des cinephilen Mitternachtspublikums der 70er Jahre hingewiesen.
Wer Vampyr im
Kino sieht – ein Mitternachtsfilm avant la lettre - kann nachempfinden, was
diese Bewegung Nacht für Nacht ins Kino gezogen hat, um dort, mittels der
Mechanik der Moderne, die jedem Filmbild grundlegende Bedingung zur Möglichkeit
ist, die Risse im Gefüge von Raum und Zeit zu erkunden. Dass Vampyr dies
in seiner klausulierten Narration spiegelt, ist dabei nur obligatorisch.
Thomas
Groh
Diese
Kritik ist zuerst erschienen im:
Vampyr
- Der Traum des Allan Gray
VAMPYR
OU L'ETRANGE AVENTURE DE DAVID GREY
Vampyr
Der
Traum des Allan Gray
Die
seltsame Geschichte des David Gray
Frankreich
/ Deutschland - 1932 - 83 (TV 68) min. – schwarzweiß - Literaturverfilmung,
Horrorfilm - Verleih: offen - Erstaufführung: 6.5.1932/13.10.1968 ARD -
Produktionsfirma: Tobis Klangfilm
Produktion:
Carl Theodor Dreyer
Regie:
Carl Theodor Dreyer
Buch:
Christien Jul, Carl Theodor Dreyer
Vorlage:
nach einem Kapitel aus einem Roman von Sheridan Le Fanu
Kamera:
Rudolph Maté, Louis Née
Musik:
Wolfgang Zeller
Darsteller:
Julian
West (Allan Gray)
Maurice
Schutz (Schloßherr)
Rena
Mandel (Gisèle)
Henriette
Gérard (Vampir)
Sybille
Schmitz (Léone)
Jan
Hieronimko
Albert
Bras
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