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Vanilla
Sky
The
Illusion of Truth
In
diesem Fall wäre es besser sich Alejandro Amenábars spanisches Original
„Abre
los ojos“
(1997) nicht vor Cameron Crowes amerikanisiertem Remake „Vanilla Sky“ (2001)
anzusehen, denn ersterer beeinträchtigt das Sehvergnügen und Qualitätsempfinden
des anderen doch ganz erheblich. Kritisch betrachtet erscheint die Verwendung
der Begrifflichkeit „Remake“ in diesem Zusammenhang geradezu pejorativ, gibt
doch die fast deckungsgleiche Inszenierung sowie kongruente Benutzung visueller
Stilmittel und photographierter Szenarien beider Filme ein erschreckend gleiches,
auf den ersten Blick uninspiriertes Bild des Nachfolgers ab, der auf den zweiten
Blick jedoch künstlerische und motivische Individualität offenbart
und erst bei der dritten Betrachtung an illusorischer Strahlkraft verliert,
ganz im Gegenteil zu Claude Monets titelgebendem Gemälde.
Wie
in Amenábars Original bedient sich das Material der vorliegenden Geschichte
einer Genreübergreifenden Komplexität, die zu gleichen Teilen Elemente
des Psychothrillers und imaginärer Science-Fiction mit einer undurchsichtigen
Liebesgeschichte verknüpft, deren thematische Bezüge – und darin emanzipiert
sich Crowes Version von der Vorlage – weitreichend gestaffelt sind, scheinbar
allumfassend Kunst, Kino und amerikanische Pop-Kultur in den bizarren Reigen
aus Illusion und Wirklichkeit integrieren. Doch genau da liegt die Schwäche
von „Vanilla Sky“, der sich abgesehen von der traumatisch faszinierenden Handlung,
die Crowe wieder einmal (wie in „Almost Famous“ [2000] oder „Jerry
Maguire“
[1996]) mit brillanter Musik untermalt, in philosophische Erklärungsnöte
und Pop-kulturelle Aspekte verstrickt, zu deren Auflösung im Film anscheinend
nur umso weitschweifigere Antworten, während einer alles in allem unbefriedigenden
letzten halben Stunde, beitragen können, sofern sie überhaupt beantwortet
werden.
Denn
eigentlich bietet der parallele Handlungsfaden ausreichend Potenzial um den
Zuschauer zu verwirren, der sich bewusst oder unbewusst in (alb-)traumähnlichen
Sequenzen voranbewegt, die nur selten ihren eigentlichen Ursprung erklären.
Es ist das märchenhafte Lasterleben von David Aames (Tom Cruise), dessen
exklusiver Lebensstil als Erbe eines Verlags-Imperiums keinerlei materielle
Grenzen kennt, von einem Tag auf den anderen jedoch einer existenziellen Veränderung
entgegentritt. Ein Autounfall krempelt sein gesamtes Leben um, das bisher aus
Partys und Luxus, Sex und Sorglosigkeit, Arroganz und elitärer Einsamkeit
bestand, oder ist es gar die Begegnung mit Sofia Serrano (Penélope Cruz),
die David zur Vernunft und zum inhaltlichen Sinn seines nur scheinbar nebensächlichen
Lifestyles führt. Einen Tag und eine Nacht vor dem Unfall hat er sie getroffen,
die Frau mit der er den Rest seines Lebens verbringen könnte, soviel steht
bereits nach den kurzen, aber vielsagenden Momenten – wunderbar bespielt mit
Peter Gabriels „Solsbury Hill“ – fest, denen David Aames ohne zu Zögern
ein neues Leben widmen will.
»Jeder
Tag ist eine Chance sein Leben zu ändern.« Daran glaubt Sofia, nicht
nur weil sie es sagt, sondern weil die Handlung des Films diese einfache Botschaft
suggeriert und nur wenige Augenblicke später nachhaltig destruiert. Davids
Geliebte Julie (Cameron Diaz), jemand zu dem er eine rein körperliche Beziehung
führt, plädiert auf ihr Recht als ‚die Frau an seiner Seite’, reagiert
geradezu manisch als er in ihr Auto steigt und ihre sexuelle Liebelei als ebensolche
deklariert und nicht als »Versprechen, das dein Körper abgibt, ob
du es willst oder nicht.«. Julie zieht die Konsequenzen, die für
David der Beginn eines physischen und psychischen Albtraums werden, denn Julie
stirbt bei dem Unfall, den sie selbst verursacht und Davids Gesicht bleibt als
deformierte Fratze zurück.
Ein
bedrückendes Spiel mit Traum und Realität, Illusion und Verlust beginnt,
in dessen Verlauf die Hauptfigur, David Aames, alles zu verlieren droht, was
sein bisheriges Leben zu einer luxuriösen Ansammlung von Glück werden
ließ. Er verliert Freunde, seinen Besitz, bald darauf den Verstand und
findet sich in einer perfiden Inszenierung wieder, die bei dem schleichenden
Bewusstseinsverlust beginnt und mit einer Mordanklage für David endet.
Was ist wahr, was nicht? Wer zieht hinter dem Vorhang die Fäden und treibt
die sukzessive Zerstörung dieses amerikanischen Lebensidylls voran? David
weiß es nicht, sein väterlicher Psychiater Dr. McGabe (Kurt Russel)
will es herausfinden, Sofia verschwindet mit den Erinnerungen an glücklichere
Tage und mittendrin befindet sich der ahnungslose Zuschauer, dem diese Variation
aus Motiven, Bildern und Masken zusehends den Atem raubt, solange es nicht zur
geistigen Teilnahmslosigkeit animiert.
Der
Film gleicht so wie sein spanisches Original einer modernen Oper. Dieser Bezug
liegt nahe, denn der motivische ‚Klau’ ist ebenso offensichtlich, wie Cameron
Crowes ausgeprägtes Gespür für das auditive Zusammenstellen einzelner
Szenen, die jede für sich allein schon durch den herausragenden Soundtrack
funktionieren. Schauspielerisch mit Cruise und Cruz auf solidem Fundament gebettet
– Penélope Cruz dupliziert sich hier selbst, schließlich wirkte
sie bereits in der gleichen Rolle in Amenábars Version mit – gelingt
„Vanilla Sky“ über die meiste Zeit die Entwicklung eines unterhaltsamen,
nachdenklichen, verstörenden und in seinen Grundzügen melancholischen
Plots, der lediglich durch das vorweggenommen interpretierende Ende an Faszination
verliert. Ein Fehler, den das Original nicht begeht. Während Amenábar
wesentlich mutiger auf abstrakte Bilder und künstlerisch einfallsreiche
Situationen setzt, darüber hinaus die größte Freiheit letztendlich
dem Rezipienten in seiner Imagination selbst überlässt, verlässt
sich das Remake wie selbstverständlich auf die visuellen Erfindungen des
Originals, ohne dabei den artifiziellen, vielleicht in manchen Augen körnigen
Charme der Vorlage beizubehalten. „Vanilla Sky“ ist in dieser Hinsicht reingewaschen,
zu sauber, um als Zuschauer an markanten Punkten hängen zu bleiben und
im furiosen Finale mehr zu erkennen als das, was Crowe mit seinen kulturellen
Verweisen ohnehin serviert.
Kein
schlechter Film, der trotz all der Starpower und amerikanisierten Nuancen nicht
die Qualität von „Abre los ojos“ – „Open your eyes“ in der wohlgemerkt
deutschen Titelgebung – erreicht. Cameron Crowe geht mit „Vanilla Sky“ einen
vermeintlich anderen Weg, einen den er jedoch schon öfter gegangen ist,
beachtet man den regen Fundus des Regisseurs um musikalische und gesellschaftliche
Kultur Amerikas, auch wenn die anfangs abstrakt klingende Mixtur verschiedener
Genres eine Neuorientierung verspricht, bleibt dem Zuschauer nichts anderes
übrig als die Augen und in diesem Fall auch die Ohren offen zu lassen.
Patrick
Joseph
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei www.ciao.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Kritiken
Vanilla
Sky
USA
2001 - Regie: Cameron Crowe - Darsteller: Tom Cruise, Penélope Cruz,
Cameron Diaz, Kurt Russell, Jason Lee, Noah Taylor, Timothy Spall, Tilda Swinton,
Michael Shannon, Delaina Mitchell, Shalom Harlow, Oona Hart - FSK: ab 16 - Länge:
130 min. - Start: 24.1.2002
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