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Vanity
Fair – Jahrmarkt der Eitelkeit
Scharf
ist nicht gleich scharf
Klischees
sind brutal widerständig: Die indische Regisseurin Mira Nair hat William
Makepeace Thackerays Gesellschaftsroman "Vanity Fair" verfilmt
Die
indische Regisseurin Mira Nair hat sich für ihren Film "Vanity Fair"
einen der großen literarischen Klassiker der Kolonialmacht Großbritannien
geschnappt, William Makepeace Thackerays weit ausgreifendes Gesellschaftspanorama,
das in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstand und zu Beginn des Jahrhunderts
spielt. Thackerays Untertitel verkündet, es handle sich um einen "Roman
ohne Helden". Man kann das bereits für das Buch bezweifeln, schon
weil die Figur der Rebecca "Becky" Sharp zuverlässig auf allen
Listen mit Lieblingsheldinnen der Weltliteratur auftaucht.
Was
die Filmversion betrifft, gibt es jedenfalls keinen Zweifel, dass Sharp, die
aus einfachsten Verhältnissen kommt und der eine Laufbahn als Erzieherin
vorbestimmt scheint, als zentrale Heldin figuriert, die das umfangreiche Personal
auch da, wo es aus dem Buch übernommen wird, ins zweite und dritte Glied
rücken lässt. Das beginnt mit dem Casting: Geradezu makellos fügt
sich die aus Nashville, Tennessee, stammende Reese Witherspoon ins zutiefst
englische Umfeld und erweitert ihr Rollenrepertoire weniger, als dass sie es
vertiefend variiert. Ihre Darstellung der gewitzten Becky liegt auf der Linie,
die mit den Figuren der so wild entschlossenen wie streberhaften Tracy Flick
in Alexander Paynes "Election" und des zunächst naiven, sich
dann aber als sehr intelligent und wiederum wild entschlossen erweisenden Blondchens
Elle Woods in "Natürlich Blond" vorgezeichnet war.
Das
erste Moment der Aneignung liegt in dieser Besetzung und ihren Implikationen.
Die Figur der Becky Sharp wird in der Wahl weniger der Darstellerin als der
Rollengeschichte der bisher von ihr dargestellten Figuren sehr gezielt den Händen
Thackerays entwunden. Die süffisanten, distanzierenden, tendenziell misogynen
Kommentare des sein eigenes Erzählen ständig kommentierenden Erzählers
des Romans sind komplett gestrichen. Der Film ist ganz der Heldin Becky Sharp/Reese
Witherspoon anvertraut, und durchweg ist sie in ihren Handlungen entschlossener
und bewusster als die Romanfigur. In der literarischen Vorlage ist sie zu scharfen
Erwiderungen fähig, im Film sind diese aber sehr viel schärfer.
Scharf,
sehr scharf ist auch die Pfefferschote, in die Becky beißt, früh
im Roman, früh im Film. Serviert wird ein indisches Gericht. Josef Sedley,
der Mann, auf den Becky es abgesehen hat - und umgekehrt eigentlich auch, es
wird aber trotzdem nichts daraus, erst einmal -, tut im Fernen Osten Dienst
als Kolonialbeamter und ist auf Heimaturlaub. Im Buch schreit Becky atemlos
nach Wasser und macht sich zur Närrin, im Film bewahrt sie (als wäre
sie Tracy Flick) in einer gewaltigen Willensanstrengung die Contenance.
An
dieser indischen Episode zeigt sich einerseits die emanzipatorische, ganz und
gar aus dem Inneren des Romans heraus erarbeitete Aneignung in der Aufwertung
der weiblichen Heldin. An genau dieser im Film mehr als im Buch zentralen Stelle
verbindet diese erste Aneignung sich aber mit einer zweiten, nur auf den ersten
Blick eher von außen herangetragenen, nämlich einer an markanten
Punkten eingesetzten Indianisierung des Britischen.
Elemente
davon finden sich bereits im Roman - nicht zuletzt kannte sich Thackeray selbst
gut mit dem Thema aus. Er wurde als Sohn eines britischen Kolonialbeamten in
Kalkutta geboren und verbrachte dort auch die ersten sieben Jahre seines Lebens.
Sehr bewusst greift Mira Nair die so schon angelegten Spuren des kolonialistischen
Orientalismus auf und streicht ihn noch heraus - etwa in der dreisten Indianisierung
eines Ausflugs in den Vauxhall-Park. Seinen Höhepunkt findet das in einem
stark aus dem sonst eher umspielten als gesprengten historischen Rahmen fallenden
Tanzauftritt Becky Sharps vor dem englischen König. Den Tanz nämlich
hat Mira Nair von Farah Khan entwerfen lassen, der derzeit erfolgreichsten Bollywood-Choreografin,
die für das Musical "Bombay Dreams" mit Andrew Lloyd Webber zusammenarbeitete
und derzeit mit ihrem Regiedebüt "Main
Hoon Na"
in deutschen Kinos präsent ist. Nair folgt damit - wenigstens der Intention
nach - einer der raffinierteren postkolonialistischen Strategien des Umgangs
mit tendenziell rassistischen Klischees. Sie nimmt das Klischee, stellt es heraus,
eignet es sich an und setzt zusätzlich verfremdend noch einen drauf. Im
besten Fall ist das Klischee danach nicht mehr das, was es vorher war, wird
vom vermeintlich natürlichen "Mythos" (Roland Barthes) zum erneuten
Gegenstand und Anlass der Reflexion.
Es
bleibt - grundsätzlich und insbesondere auch in diesem Film - die Frage,
wie erfolgreich diese Strategie sein kann. Die Gefahr dabei ist stets der Rückfall
ins Klischee, das sich als stärker erweist denn der subtile Widerstand
per Aneignung. Als bloße Frage der Thackeray-Verfilmungs-Philologie wäre
das vermutlich keine so brennend interessante Sache. Spannender wird sie, wenn
man sie auf die derzeitige westliche Faszination für den Bollywood-Chic
bezieht, die mit dem Orientalismus des 19. Jahrhunderts durchaus artverwandt
ist.
Das
mit Hilfe nach London exportierter indischer Bollywood-Musik- und Choreografie-Stars
entstandene Musical "Bombay Dreams" geht dabei nach allem, was zu
lesen war, naiv genug in die Falle des Exotismus. Mira Nair wiederum, die in
den USA studiert hat, in Indien wie Amerika lebt und im Westen ihre Erfolge
feiert, ist in einer alles andere als einfachen Position. Sie partizipiert am
Chic und lässt sich, auch wenn sie immer wieder rein amerikanische Filme
dreht, sehr bewusst auf ihre Rolle als Mittlerin zwischen den Kulturen ein.
"Monsoon
Wedding",
ihr vorletzter Film, war der Versuch, Motive des Bollywood-Kinos für den
Westen verdaulich zu machen, vorzugsweise durch Dämpfung - eine Broadway-Version
ist in Planung. In "Vanity Fair" probiert sie die sanfte Unterwanderung
durch Indianisierung als Reflexionsform. Ein bisschen ist es in beiden Fällen
freilich wie beim Inder um die Ecke: Es gibt "scharf" und "indisch
scharf". Mira Nair hat der Mut zu "indisch scharf" bisher gefehlt.
In Zukunft würde man gerne mal auf eine richtige Pfefferschote beißen
müssen.
Ekkehard
Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der: taz Nr. 7627 vom 31.3.2005
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diesem Film gibt’s im archiv
mehrere Kritiken
Vanity
Fair - Jahrmarkt der Eitelkeit
Großbritannien
/ USA 2004 - Originaltitel: Vanity Fair - Regie: Mira Nair - Darsteller: Reese
Witherspoon, Eileen Atkins, Jim Broadbent, Gabriel Byrne, Romola Garai, Bob
Hoskins, Rhys Ifans, James Purefoy, Jonathan Rhys Meyers - FSK: ab 6 - Länge:
138 min. - Start: 31.3.2005
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