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Va
Savoir
Unschärfen
...
Battle
Chess? Love
Chess? Vielleicht von beidem etwas. Jedenfalls setzt der französische Regisseur
Jacques Rivette seine Figuren wie die eines Schachbretts. Doch während
beim Schach nur feste und unumstößliche Regeln die Figuren bewegen
können und es auf die Kombinationsgabe und Voraussicht der Spieler ankommt,
wer letztendlich siegt, scheinen es in "Va Savoir" die Figuren zu
handeln, wie sie wollen. Oder trügt dieser Schein eines bewussten Verhaltens
der Akteure?
Die Bühne scheint frei. Pirandellos
"Come tu mi vuoi" wird gespielt. Und das Stück handelt u.a. von
der Wiederkehr einer scheinbar namenlosen Frau. Camille (Jeanne Balibar) spielt
diese Wiederkehrende - und ist selbst eine. Eine, die auszog, das Theater zu
entdecken. Doch in Wirklichkeit eine, die floh - vor zu viel Nähe, die
sie als Gefangenschaft begriff. Nun ist sie zurück in Paris mit der Truppe
von Ugo (Sergio Castellitto), Regisseur und Schauspieler - ein vorwiegend italienisches
Ensemble, das in Frankreich Pirandello zum Besten gibt. Ugo und Camille sind
ein Paar, ein schwieriges zwar, aber ein Paar. Man umkreist sich, vor allem
umkreist Ugo Camille - denn sie scheint etwas zu verbergen, etwas, dass beider
Beziehung kontinuierlich beeinflusst, von dem Ugo aber nichts weiß, nur
spürt.
Rivette "ordnet" diesen
beiden Akteuren weitere Personen hinzu: Pierre (Jacques Bonnaffé), den
Mann, vor dem Camille geflohen war, und dessen neue Lebensgefährtin Sonia
(Marianne Basler). Hinzu kommen Madame Desprez (Catherine Rouvel), die Ugo aufsucht,
weil sie eine wertvolle alte Bibliothek besitzt, in der Ugo hofft, ein Manuskript
von Goldoni zu finden. Bei ihr lernt Ugo deren Tochter Dominique (Hélène
de Fougerolles) kennen sowie deren Halbbruder Arthur (Bruno Todeschini), einen
Gauner und Taugenichts, der sich an Sonia heranmacht, die einen wertvollen Ring
besitzt, und gleichzeitig ein zweifelhaftes Verhältnis zu seiner Halbschwester
pflegt.
Rivette stellt also Paare auf.
Camille und Ugo, Pierre und Sonia, Arthur und Dominique - und wechselt im Laufe
der Geschichte diese Personen aus, "kreiert" neue Paare, mehrfach.
Diese dem Schachspiel nur äußerliche Konstellation ergänzt sich
durch eine weitere Dualität - die von Leben und Bühne. Die unprätentiöse
und ungezwungene Dramatik von Theater und Wirklichkeit bekommt dabei eine eigene
Qualität. Die Ebenen verschwimmen - und es ist Camille, die durch eine
Art unverarbeitete Vergangenheit das Spiel in Gang setzt. Sie spielt schlecht
auf der Bühne, und der Grund ist die Nähe zu Pierre, über den
sie ständig nachdenken muss, den sie aufsucht, während Pierre im Laufe
der Zeit immer deutlicher den Wunsch hegt, wieder mit Camille zusammenzuleben.
Zugleich entsteht eine Beziehung zwischen Ugo und Dominique bei der gemeinsamen
Suche nach dem vermuteten Manuskript von Goldoni. Dominique scheint sich in
Ugo verliebt zu haben, während Ugo zugleich Angst hat, Camille könne
sich durch Pierre beeinflussen lassen.
Doch eine weitere Beziehung entsteht
- die zwischen Camille und Sonia, die sich allmählich näher kommen
und sympathisch finden.
Als Sonia Camille davon erzählt,
dass Arthur ihr heimlich den wertvollen Ring entwendet hat, werden beide zu
Komplizinnen, während Ugo Pierre im Theater zum Duell fordert - mit hartem
Alkohol ...
Absurdes Theater. Rivette scheint
eine "normale" Geschichte mit zahlreichen Verwicklungen inszeniert
zu haben. Doch hinter dieser Normalität verbergen sich unerfüllte
Sehnsüchte, ungeklärte Beziehungen und Wünsche, deren realer
Gehalt weniger deutlich erscheint, wenn man dem Film intensiv folgt. Die Aufstellung
und Um-Positionierung der Figuren folgt keiner wirklichen Regel - außer
vielleicht der der Unbestimmtheit des Verlangens der Akteure. Während beim
Schach feste Regeln und die Schläue der Spielen vorherrschen, scheinen
hier keine Regeln zu existieren und die Personen nur mehr schlecht als recht
ihren unerfüllten Wünschen zu folgen.
Was wollen sie wirklich? Am deutlichsten
scheint dies noch bei Arthur, wenn er den wertvollen Ring in seinen Besitz bringen
will. Doch bei näherer Betrachtung ist auch dies nur vordergründig.
Während das Pirandello-Stück noch einem Skript folgt, folgen die Akteure
bei Rivette - ja, seinem Skript, aber eben einer Unbestimmtheit, manchmal gar
einer Belanglosigkeit und Unkenntlichkeit ihrer Wünsche, die kaum aufklärbar
scheint.
Was will Camille? Zurück
zu Pierre? Eher nicht, aber irgend
etwas zieht sie zu ihm - vielleicht die Frage
danach, was in beider Beziehung eigentlich geschehen ist. Als Pierre sie einsperrt,
flieht sie über das Dach. Was will Ugo? Er hat Angst, Camille zu verlieren,
doch gleichzeitig gibt er (fast) den Reizen von Dominique nach. Was will Pierre?
Camille zurück? Was will Sonia? Pierre behalten? Warum gibt sie Arthur
nach, unwissend, dass der nur ihren Ring will? Offensichtlich wird Rivette nur
in der Beziehung der beiden Frauen, Camille und Sonia, als diese sich verabreden,
sich an Arthur zu rächen. Camille verbringt eine Nacht mit Arthur, um ihm
den Ring wieder abzunehmen. Erfolgreich.
Aber auch diese Eindeutigkeit
in der, man kann sagen: beginnenden Freundschaft der beiden Frauen, einer fast
schon "natürlich" wirkenden Sympathie und Nähe, wirkt andererseits
wie eine Farce - so wie das ganze Stück Rivettes. Es ist nicht irgendeine
Form von Psychologie, die Rivette hier ausspielt oder auskostet. Es geht nicht
um so etwas wie Familienaufstellung.
Absurdes Theater. Während
das Stück, dass Ugo und die anderen aufführen, einem nachvollziehbaren
Skript folgt, einer festgelegten Logik nacheifert, scheinen Rivettes Figuren
jedes Gefühl für Logik und jedes Gefühl für Gefühl
verloren zu haben. Die Unbestimmtheit ihres Verhaltens, die Ziellosigkeit ihres
Handelns gleicht einem permanenten Schwebezustand, in dem nichts eindeutig und
fassbar scheint. Die Unschärferelation ihrer Beziehungen scheint uns zu
verstehen zu geben: Wir können sie entweder in ihrer Person oder in ihren
Beziehungen erkennen - aber nicht in beidem zugleich.
Man könnte auch sagen: Diese
Unbestimmbarkeit korreliert mit einem Stadium menschlicher Entwicklung, in dem
nach dem Abschütteln fest umrissener Konventionen und festgefahrener Regeln
Regellosigkeit zur einzigen Regel geworden zu sein scheint. Die Gefühle
der Akteure können wir nur bis zu einem geringen Grad nachvollziehen -
alles andere bleibt verborgen, wahrscheinlich auch den Handelnden selbst. Gefühl
und Verstand scheinen keine wirkliche Bestimmung mehr zu haben, sondern nur
noch Form zu sein, eine Form - nicht eine Regel ! -, in der sich die Akteure
bewegen. Selbst das alkoholische Duell und der rückgängig gemachte
Diebstahl des Rings haben keine wirkliche Bedeutung. Sie sind nur Form, so,
als ob eine schwache Erinnerung an vergangene Zeiten die Beteiligten steuern
würde. Und auch die Freundschaft der beiden Frauen ist eher die nebulöse
Erinnerung an das, was Freundschaft beinhaltet, als wirklicher Inhalt.
Am Schluss scheint alles: Schach
matt. Zwei Männer sind betrunken, zwei Frauen bedeutet der wiedergewonnene
Ring schon nichts mehr, und der Dieb sitzt mit all den anderen an einem Tisch,
so, als ob Schauspieler hinter der Bühne noch ein bisschen das Stück
weiterspielen, nachdem der Vorhang gefallen ist.
Ulrich Behrens
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Va
Savoir
(Va
Savoir)
Frankreich,
Italien, Deutschland 2001, 154 Minuten
Regie: Jacques
Rivette
Drehbuch: Jacques
Rivette, Pascal Bonitzer, Christine Laurent
Kamera:
William Lubtchansky
Schnitt:
Nicole Lubtchansky
Ausstattung:
Emmanuel de Chauvigny
Darsteller:
Jeanne Balibar (Camille B.), Marianne Basler (Sonia), Hélène de
Fougerolles (Dominique "Do"), Catherine Rouvel (Madame Desprez), Sergio
Castellitto (Ugo), Jacques Bonnaffé (Pierre), Bruno Todeschini (Arthur)
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