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Vater
und Sohn
Im Essay-Stil, diverse Filmformen benutzend, drehte
Thomas Mitscherlich, politischer Dokumentarfilmer, einen großen Film über
die Beziehung zu seinem Vater Alexander Mitscherlich, welcher 1967 Direktor
des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt und -Vaterfigur der Söhne der
68erJahre geworden war. Videoaufnahmen zeigen den schwerkranken Vater Mitscherlich
kurz vor dem Tod; er hat Mühe sich zu artikulieren. Spielfilmszenen vermitteln
das Bild, das Sohn Mitscherlich sich von seiner Kindheit macht. Die Rolle Alexander
Mitscherlichs wird von Gerd Heinz gespielt, dem Intendanten des Züricher
Schauspielhauses; der Sohn vom kleinen Dan Hussmann, der das väterliche
Zimmer heimlich durchforscht und vor der alten Standuhr vor Schreck erstarrt:
dort ist der Vater eingeschlossen: stumm, anklagend, allgegenwärtig und
doch unerreichbar guckt er heraus. Zwischen den Video- und Spielfilmszenen kommen
Wochenschauaufnahmen der vierziger, fünfziger, sechziger Jahre in die bürgerliche
Stube. Die Fototrickstruktur (Franz Winzentsen, Ingrid Pape) hält sie auf
Distanz. Im Vordergrund sieht man immer wieder auf das nämliche bunte Modell
einer bürgerlichen Spielzeugstraße. Im Hintergrund ragen Berge: Leichenberge
aus einem deutschen KZ, Vater Adenauer installiert die Bundeswehr, Sohn Adenauer
zelebriert seine erste Messe, die Amerikaner zünden eine Atombombe.
Thomas Mitscherlich zieht die Welt, seinen Vater
ins Private; das heißt er eignet sie/ihn sich an - und entledigt sich
des Spielmaterials. Sohn Mitscherlich agiert als ungezogenes, übermütiges
Kind, das sein Spielzeug beiseite wirft. Aber gleichzeitig spürt man in
den präzisen, treffenden und nachhaltenden Bildern des Films eine Herzlichkeit
und Verbundenheit, die freilich Dogmen und Tabus nicht zu achten braucht. Daher
kann Sohn Mitscherlich mit dem Ernst machen, was der Vater zeitlebens über
„Väter und Väterlichkeit" (veröffentlicht 1983 posthum in
den Gesammelten Schriften) geschrieben hat. Alexander Mitscherlich, 1935 in
Angst und Schrecken vor den Nazis auf der Flucht in die Schweiz, - er wird in
»Vater und Sohn« flugs von einem Ersatzvater abgelöst, einem
siegreichen und angstlosen; drum zieht Adolf Hitler in den Reichsparteitag ein,
und ein Zwischentitel stellt blasphemisch fest: „Was Vater Mitscherlich getan,
wenn er die Macht gehabt hätte, ist unbekannt".
Durchaus aggressiv, der Sohn Mitscherlich. Aber gerade
das gehört ja, der Vater hat's geschrieben, zur generellen Vater-Sohn-Beziehung.
Und so darf der Film die Aggressionen zum Thema machen - und zurücknehmen.
Der Film beginnt mit dem Satz: „In meiner Fantasie konnte ich den Vater erschießen".
Er hört auf mit: „Verzeih mir, du kannst dich nicht mehr wehren".
Das Identifikations-Spiel ist in »Vater und Sohn« auf Trab gebracht,
Sohn Mitscherlich setzt väterliche Theorien in Praxis um -anstößig
und elegant zur gleichen Zeit. Eine in Deutschland lange nicht vernommene Ironie
beugt allem vor, was Kränkung werden könnte. Thomas Mitscherlich geht
auf erstaunlich sichere und einsichtige Weise mit den disparaten Filmformen
um. Die Ambivalenzen erfüllen sich mit Sinn, weil man spürt, daß
die Vater-Sohn-Beziehung eine Herzensangelegenheit ist, in der das Unvereinbare
aufgehoben ist: das Vergnügen, Kind zu sein, und die Trauer, es nicht mehr
zu sein. Drum könnte man »Vater und Sohn« auch einen Liebesfilm
nennen, der den Betroffenen dazu berechtigt, dem Vater in einer der großen
Diskussionen der 68er Jahre nachträglich den Ton abzudrehen (die Dokumentaraufnahmen
zeigen Alexander Mitscherlich neben Sontheimer und Herbert Marcuse) und zu fragen:
„Vater, liebst du mich", worauf Vater Mitscherlich eine Antwort gibt, die
der Sohn ihm nachsynchronisiert hat und die mit dem Satz schließt: „Übrigens,
siehst du doch, ich bin in einer Diskussion". Wie sagte Alexander Mitscherlich
zu seinem Sohn, der 1981 gerade seinen Dokumentarfilm »Eine Gewerkschaft
von Innen« fertiggestellt hatte?: „Mußt du ständig solche politischen Filme drehen?
Vergiß nicht, einen Liebesfilm zu machen".
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: epd Film 5/84
Vater
und Sohn
Bundesrepublik
Deutschland 1984. Regle: Thomas Mitscherlich. Drehbuch: Thomas Mitscherlich.
Kamera, Michael Busse. Schnitt: Stefanie Möbius. Musik: Igor Strawinsky,
Claude Debussy. Ton: Anke Apelt. Ausstattung: Thomas Uhl. Kostüme: Petra
Weber Produktion: Xenon Film. Gesamtleitung: Michael Bergmann. Produzent: Hans-Christian
Hess. - Verleih: Barfuss. Länge: 85 Min. Erstaufführung: 22.2.1984,
Internationales Forum, Berlin. Kinostart: 17.5.1984. Darsteller: Gerd Heinz
(Der Vater), Dan Hussmann (Der Sohn), Wilfried Grimpe (Der Lehrer). Gerd Kunath
(Der Lehrvater), Helke Sander (Eine Frau).
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