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Verdacht
Lina McLaidlaw, eine scheue junge
Frau aus behütetem Hause, verfällt dem charmanten Hochstapler Johnnie
Aysgarth, der vom geliehenen Geld seiner Freunde lebt und sich von einer Hochzeit
mit Lina ein sorgenfreies Leben verspricht. Linas Vater, ein vermögender
General, begegnet Johnnie von Anbeginn mit Misstrauen und identifiziert ihn
als Heiratsschwindler und Mitgiftjäger. Gegen den Willen des gestrengen
Herrn Papa heiratet Lina Johnnie, wohl auch um Rebellion und Stärke gegen
ihren dominanten Vater zu üben, dessen Vorbehalte gegen eine Verbindung
sie als Symptom übertriebener Obhut abhakt, aber vor allem weil sie zunächst
ungebrochene Liebe für Johnnie empfindet. Das eheliche Glück währt
allerdings nur kurz, denn ihr Gatte, der einen eigentümlichen Lebenswandel
präferiert, erweist sich als verantwortungsloser Tagedieb, der in seinem
Job Geld unterschlägt und – den ideellen Wert ignorierend – Linas Möbel
gewinnbringend versetzt. Als würde ihr das nicht schon genug Kummer bereiten,
kann sie sich des Titel gebenden Verdachts nicht erwehren, ihr Mann wolle sie
zum Zwecke der Beerbung umbringen. Geblendet von ihrer Liebe indigniert sie
ihr Misstrauen, das wiederum durch den mysteriösen Tod von Johnnies Geschäftspartner
„Beaky“ und seinem merkwürdigen Wissensdurst in Bezug auf Gifte bestärkt
wird.
Johnnie Aysgarth ist der couragierte
Gegenentwurf zum bis dahin etablierten Image Cary Grants als Archetypus des
Schwiegermutterlieblings. Hitchcocks Edelfaktotum figurierte in seiner Karriere
ein buntes Panoptikum an unterschiedlichsten Charakteren. Niemals, ob als überspannt-outrierter
Theaterkritiker Mortimer Brewster („Arsen und Spitzenhäubchen“), als kühler
Topspion T. R. Devlin („Berüchtigt“) oder als unschuldig verfolgter Werbefachmann
Roger Thornhill („Der unsichtbare Dritte“) und selbst als geläuterter Juwelendieb
„John Robie“, der in Hitchcocks genreinterdisziplinärem Screwball-Thriller
„Über den Dächern von Nizza“ zumindest eine verbrecherische Veranlagung
zeigt, kommt Grant auch nur in die Nähe dieser einmaligen Inkarnation des
Bösen, die er hier überzeugend porträtiert. Sein berufliches
Fortkommen wurde dadurch glücklicherweise nicht gehemmt, im Gegenteil wurde
seine schauspielerische Visitenkarte durch die Addition einer weiteren Dimension
okuliert.
Hitchcock spielt mit der betonierten
Erwartungshaltung des Zuschauers in Bezug auf Grant und unterfüttert diese
sporadisch an einigen Stellen im Film. Aysgarths distinguiertes Auftreten, die
flockige Nonchalance und seine gebetsmühlenartigen höflichen Entschuldigungen
machen seine zunächst harmloseren Fehltritte verzeihbar und nähren
die Hoffnung, dass sich am Ende alles in allgemeines Wohlgefallen auflöst
und Grant wieder „Everybodys Darling“ ist. Der unbekümmerte und atypische
Stil der Planung eines lediglich möglichen Verbrechens, das sich bis dato
allerhöchstens im Kopf abspielt, nährt den Glauben an ein eventuelles
Missverständnis, das wiederum durch Aysgarths wackelige Erklärungsversuche
im späteren Verlauf plausibel gemacht werden soll. Ebenso wie Lina heißt
auch der geneigte Grant-Fan diese angestrengten Halbwahrheiten willkommen und
schämt sich, die zuvor vermutete Ungeheuerlichkeit überhaupt erwogen
zu haben.
„Verdacht“ ist weder ein klassischer
Whodunnit, noch geht es um die Dingfestmachung eines dem Zuschauer bekannten
Verbrechers. Der Film erzählt eine Geschichte, deren Anatomie der des konventionellen
Thrillers entgegenläuft. Der Titel der Romanvorlage „Vor der Tat“ trifft
die Versuchsanordnung des Filmes ziemlich exakt. Damit es nicht bei einem Versuch
bleibt, ist die gegensätzliche Charakterzeichnung der Hauptfiguren ziemlich
hilfreich. Die naive und leichtgläubige Protagonistin, gespielt von Joan
Fontaine, die für ihre typische Rolle der nervösen Träumerin
Oscar-prämiert wurde, bietet mit ihrem schwachen Charakter - kombiniert
mit ihrer finanziellen Attraktivität - eine geeignete Angriffsfläche
für ihren manipulativen Antagonisten, der sich seiner Wirkung auf Frauen
sehr wohl bewusst ist, das Kunststück vollbringt, trotz seiner offensichtlichen
Rückgratlosigkeit stets aufrecht zu stehen und als personifiziertes Elend
die Tötung eines Menschen als rein geschäftlichen Akt versteht.
Hitchcock und Hays – Einige Varianten
des kontroversen Schlusses wurden geprobt und wieder verworfen, denn sie saturierten
weder Hitchcock, noch zeigte das Testpublikum die erhoffte Reaktion. Der „Meister“
holte zum Geniestreich aus und ließ flugs ein Ende nachdrehen, das gemessen
an den strengen Konventionen, zweifellos genial ist, auch wenn es oft als flache
Flickschusterei verkannt und der Stil als montiert moniert wird. Hitchcock
entschied sich für eine Lösung, die einzig der Film bringen kann,
da die intendierte Suggestion nur durch die generierte Doppeldeutigkeit der
bewegten Bilder zu erreichen ist. Um den Zuschauer wieder in Lina zu versetzen,
arbeitet Hitchcock mit einer subjektiven Kamera, was die Vorgänge auf zwei
Arten auslegbar macht.
Zunächst derart, als habe sich der Regisseur
dem von Hollywood oktroyierten Hays-Code – zumindest ostensiv - gefügt,
der unter anderem vorschreibt, dass ein Mörder nicht entkommen darf. Die
dazu notwendige kathartische Auslöschung sämtlicher im Raum stehender
Fragen würde aber als Paradigma für die „Suspension of Disbelief“
alles zuvor gesehene Makulatur werden lassen und die Intelligenz des Zuschauers
beleidigen (nichts läge Hitchcock ferner). Die eigentlich beabsichtigte
Deutung hingegen sieht vor, dass der Bösewicht Aysgarth vom Publikum als
logische Konsequenz der durch die Handlung gewonnenen Erkenntnisse als solcher
entlarvt wird.
Hitchcock hat aus der Not eine
Tugend und das Studio lächerlich gemacht und trotzdem seinen Willen durchgesetzt.
Auf das wenig schmeichelhafte Gefühl, zum Kreis derer zu gehören,
die ihre Ideen der Zensur unterwerfen, verzichtet die Regielegende dabei gerne.
Fazit: Bei „Verdacht“ ist es wirklich jedem selbst überlassen, ob er an
das glaubt, was er sehen darf oder sehen will.
Erik Pfeiffer
Verdacht (1941)
SUSPICION
USA
- 1941 - 98 min. – schwarzweiß - Verleih: Die Lupe - Erstaufführung:
30.4.1948/18.10.1965 ZDF/3.7.1972 DFF 1
Regie:
Alfred Hitchcock
Buch:
Samson Raphaelson, Joan Harrison, Alma Reville
Vorlage:
nach dem Roman "Before the Fact" von Frances Iles (= Anthony Berkeley
Cox)
Kamera:
Harry Stradling
Musik:
Franz Waxman
Schnitt:
William Hamilton
Darsteller:
Joan
Fontaine (Lina McLaidlaw)
Cedric
Hardwicke (Gen. McLaidlaw)
Nigel
Bruce (Beaky Thwaite)
May
Whitty (Mrs. McLaidlaw)
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