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Dass
das heart
of darkness
in Vietnam liegt, wusste Francis Ford Coppola auch schon. Casualties
of War
(1989) aber, Brian De Palmas Variante des Vietnam-Kriegsfilms, lehrt einen weniger
über die Natur des Kriegs als über die dunklen Seiten seines Machers.
Michael
J. Fox sitzt am Anfang halb dösend im Bus, das auf der Tonspur weit nach
vorne geschnittene Dröhnen und Quietschen des Fahrzeugs verstärkt
den angespannten Eindruck, den er macht. Da erblickt er einen anderen Fahrgast,
eine junge Frau mit asiatischen Gesichtszügen. Sie fasziniert ihn, weil
sie ihn an eine andere Frau erinnert, deren Tod er nicht verhindern konnte,
nur mit ansehen: Wie das geschah, das wird die Geschichte des Films sein. Wenn
sie vorbei sein wird, wird er der Frau folgen, verfolgt von der Vergangenheit.
(Beide Frauen werden von derselben Schauspielerin, Thuy Thu Le, gespielt.) Offensichtlich
will uns Brian De Palma mit diesem Film über Krieg, Vergewaltigung und
Schuld nicht zuletzt mitteilen, dass sich für ihn sogar Vietnam auf Vertigo
(1958) reimt.
Die
wahre Geschichte der Entführung, Vergewaltigung und Ermordung einer vietnamesischen
Zivilistin durch vier US-Soldaten im Jahr 1966 wird in Casualties
of War
so konsequent (man könnte auch sagen: brutal) durch die suspense-hältigen
Überdehnungen, voyeuristischen Guckfenster und virtuosen Mätzchen
von De Palmas manieristischem Hitchcockismus gezerrt, dass man nicht genau weiß,
ob man nun eher von den brutalen Soldaten oder doch auch vom Film selbst abgestoßen
sein soll.
Der alte Streit, ob De Palma nun ein scharfsichtiger
Analytiker und Satiriker ausbeuterischer Bildproduktion ist oder doch eher ein
misogyner Spanner, muss sich in diesem Film zuspitzen, und mit ihm ein grundsätzlicheres
Problem: die Frage, inwieweit ein Film das tut, was er zeigt. In Casualties of War wird die einzige nennenswerte weibliche Person mitten
in der Nacht entführt, muss Lasten schleppen, wird vierfach
vergewaltigt, fiebert, wird erstochen und von vier Seiten gleichzeitig angeschossen,
um schließlich in eine Schlucht zu stürzen. Das ist, sogar für
De Palmas Verhältnisse, ein ziemlich hartes Frauenschicksal. Natürlich:
Sie, Oahn (Le), ist das Opfer eines klar verurteilten sexuell frustrierten,
soldatischen Männergruppen-Irrsinns, der sich zugleich pars pro toto als
Metapher anbietet, für Krieg im Allgemeinen und die im Autoren-Blockbuster
(Coppola! Kubrick! Stone!) der späten 70er und 80er so zentrale vietnam experience
im Besonderen. Also: Oahns geschändeter Frauenkörper als Sinnbild
für ein kolonial devastiertes, penetriertes Land, und ihre geisterhafte
Zähigkeit als Mal einer nicht tot zu kriegenden Schuld. Alles eh total
korrekt, vielleicht sogar feministisch, wie Pauline Kael ihren Lieblingsschüler
gleich in Schutz nahm?
Nicht
wirklich, denn diese auf der Hand liegenden Interpretationsmuster sind eigentlich
aufgelegte Watsch’n ins Gesicht einer jeden ernstzunehmenden feministischen
und/oder postkolonialistischen Position: Das kulturell Andere als verletzliche
Frau zu zeichnen, mag zwar weniger kriegstreiberisch sein, denn es als unsichtbare
maskuline Bedrohung zu begreifen, wie es z.B. in der Darstellung des Feindes
in Platoon
(1986) Usus ist. Aber damit die Machtkonstellation über eine koloniale
hinausginge, müsste dieses weibliche Andere schon auch so was wie einen
Charakter haben: etwas Eigenes, das sich nicht im Kampf der starken weißen
Männer, Vergewaltiger wie Beschützer, um die richtige Pflege auflösen
würde. Oahn wird von Anfang an zu einem anonymen, ums Überleben bettelnden
Häufchen Elend ohne auch nur Spurenelemente einer Eigenpersönlichkeit
reduziert, zu einer Ikone schutzlosen Ausgeliefertseins, von ihren brutalen
Entführern, aber eben auch vom Film selbst, der im Verlauf der Misshandlungen
den geschundenen Körper (wenn auch nicht seine Schändungen) zusehends
faszinierter betrachtet.
Vielleicht
sollte man aber den ganzen Kriegs-Metaphern-Apparatus mit seinem Gestrüpp
an Implikationen zuerst einmal außen vor lassen: Die Tagline des Films
"Even
in war … murder is murder" plädiert
ja eher dafür, den gezeigten Vorfall als ein regelwidriges Foul denn ein
Musterexempel kriegerischer Verrohung anzusehen. Der Anführer der Vergewaltiger,
Meserve (Sean Penn), gibt ja auch gerne zu, die Army zu hassen, im Gegensatz
zu Michael J. Fox’ Eriksson, der bei Gelegenheit die Einziehungspolitik der
USA verteidigt und während des eigenmächtigen Misshandlungs-Kommandos
dann auch, verzweifelt seinen Ungehorsam verteidigend, klarstellt: "This
is not the army."
Insofern
ist dieser Film näher verwandt mit Robert Siodmaks Nachts,
wenn der Teufel kam
(1957 und Peter Lorres Der
Verlorene
(1951) als mit Apocalypse
Now
(1979) oder Full
Metal Jacket (1987):
deutschen NS-Aufarbeitungs-Noirs, die nicht vom den inhärenten sexualpathologischen
Wahnsinn eines unmenschlichen Systems erzählen, sondern über die geschützten
Biotope, die sich in solchen Systemen (auch durchaus ohne ihre willentlichen
Intentionen) privaten Sexualpathologien öffnen. Nur dass hier, trotz Rückendeckung
der Vergewaltiger durchs Militär, am recht anitklimaktatischen Ende eben
doch die Schuldigen verurteilt werden: Zivile Moralinstanzen - Religion und
Journalismus - setzen sich durch, zum Schluss wird sogar dem schuldgeplagten
Eriksson in der Heimat sein Seelenheil rückerstattet, samt und sonders
Ennio Morricone-Engelschören. (In Wirklichkeit wurde einer der vier mutmaßlichen
Vergewaltiger frei gesprochen, wie man verschämt mitten im Nachspann in
Kenntnis gesetzt wird: Das
ist höchstwahrscheinlich der perverseste abschließende plot
twist,
den De Palma je hinbekommen hat.)
Tatsächlich
hält sich Casualties
of War
dann mit dem Tagesgeschäft des Vietnamkriegsfilms nicht gerne lang auf:
Ein Einsatz im Dschungel, eine Tour durch ein einheimisches Dorf und ein tragischer
Tod innerhalb der Truppe werden zügig durchgespielt, als Potpourri der
üblichen Charakter- und Situationsklischee unter etwas gezwungen wirkender
Berücksichtigung De Palma’scher Topoi wie betont artifizieller Überblickskamerafahrten,
analytischen Parallelschneidens kollidierender Handlungselemente und peckinpah-esker
Pathos-Zeitlupe.
Erst
mit der Entführung des Mädchens scheint De Palmas Interesse an den
Vorgängen zu erwachen. Die Darstellung der Entführung, Misshandlung
und Ermordung (Drehbuch: David Rabe, Dramatiker) hält sich angeblich ziemlich
skrupulös an den ausführlichen Report von Journalist Daniel Lang,
der den Vorfall 1969 an die Öffentlichkeit brachte. Trotzdem kann man an
den Kameramanövern von De Palmas Weggefährten Stephen H. Burum förmlich
spüren, wie der Regisseur die Handlung nach wirksamen Spannungsmomenten
und set
pieces
abtastet. Sein verblüffend simpler, enorm effektiver Zugang: Er inszeniert
die Geschehnisse ganz einfach als Geiseldrama. Dass gerade Krieg ist, vergrößert
nur den symbolischen Resonanzraum der gruppendynamischen Handlungen und Wirrungen,
die großteils auch aus einem (tollwütig gewordenen) Gangsterfilm
mit vermasseltem Banküberfall und anschließender Geiselnahme stammen
könnten. Die Aufgabenverteilung in der fünfköpfigen Truppe ist
klassisch - der Herzensgute (Michael J. Fox), der die Situation auszubügeln
versucht; der Anführer (Sean Penn), eine zwiespältige, undurchschaubare
Autoritätsfigur; der sadistische Handlanger (Don Harvey), als bösartige,
vulgäre Abspaltung vom Anführer, die diesem seine überlegte,
erhabene Aura selbst für den Guten ein wenig bewahrt; und zwei eher unbedarfte,
für Gruppendruck nicht unempfängliche Komplizen (John C. Reilly und
John Leguizamo, die beide so etwas wie behutsame Nuancen ins polternde Moraltheater
tragen).
Das
erzählerische Zentrum des Films ist, De Palmas Interessen entsprechend,
natürlich der gute Soldat Eriksson, der sich bemüht einzugreifen,
und doch (wie die "Helden" in Blow
Out
(1981) oder Body
Double (1984),
respektive in Vertigo
und Rear
Window
(1954))
zum bloßen Zuschauen verurteilt ist. Aus dessen ohnmächtigen Rettungsversuchen
schlägt der Film überaus effektiv melodramatisches Kapital, und zugleich
ist er bemüht, sich mit dieser Perspektive seine moralische Glaubwürdigkeit
abzusichern. Das wäre schon ein ziemlich mitreißender Genre-Film,
wenn da nicht dieses pornographische Baden in Bildern der geschundenen Frau
wäre. Und diese latente Faszination für den hypermaskulinen Führer
Sean Penn, die uns genauso eloquent erzählt, in wessen Wunderland wir uns
aufhalten.
Sean
Penns Meserve, der Anführer, ist - das ist ja nichts Böses und in
De Palma-Filmen sogar eine erfreuliche Abwechslung - mehrdimensional angelegt
und immer wieder mit überraschenden Nuancen gespielt. Aber seine Uneindeutigkeit
- ein 20-Jähriger, der erklärt, die Army zu hassen, aber meisterlich
mit homosozialem Gruppendruck zu spielen versteht und voll und ganz der vorgegebenen
Vietcong-Paranoia verfällt; ein Kriegsheld und Rächer seines gefallenen
Freundes, der das erschöpfte Entführungs-Opfer zuerst pflegt und mit
Aspirin füttert, um es dann zu vergewaltigen und ermorden – wollen nicht
auf ein blödes, armes Würstchen mit männlichen Überkompensationsphantasien
hinaus, sondern auf ein überlebensgroßes Mysterium. Wenn Meserve
erklärt "The
army calls this [hält
sein Gewehr hoch]
a weapon, but it ain’t. This [greift
sich an die Hoden]
is a weapon. This
is a gun. This [Penis]
is for fighting. This
[Gewehr]
is for fun",
dann spielt der Film derlei testosteron-verwirrtes Geschwafel nicht nur deshalb
mit der großen Dramatik eines Shakespear’schen Monologs aus, weil es eben
gerade eine Bedrohung darstellt, sondern auch, weil darin eine diffuse Art von
tieferer Wahrheit vermutet wird (ohne diese aber eben direkt als Anklage von
Krieg und Armee verstanden wissen zu wollen).
Meserve
zu Erkisson, als ihm dieser ins Gewissen redet und droht: "Yay,
though I walk through the valley of evil, I will fear no death. Cuz
I'm the meanest motherfucker in the valley."
Genauso hätte das auch Tony Scarface
Montana gesagt, noch so eine Figur, deren stumpfer Männlichkeitswahn De
Palma (potenziert durch die Beteiligung Oliver Stones) in Richtung tragische
Grandezza hinzubiegen versucht hat.
Der
Hang zur großen Geste ist freilich De Palmas Hausmarke: Sein schicker
Edel-S/M braucht das Kitsch-Zuckerbrot genauso wie die Horrorpeitsche, nur mit
dem, was dazwischen sein könnte (und aus dramaturgischen Notwendigkeiten
oft sein muss), hat er’s nicht so. Damit, könnte man jetzt sagen, findet
ja auch ein David Lynch sein Auslangen.
Aber
das eigentliche Problem ist nicht der Hang De Palmas zu den Extremen, sondern,
dass er die nicht immer so gut unter Kontrolle hat, wie er uns glauben machen
will: Die kamerawirbelnde, raumzerlegende Virtuosität seiner Filme ist
immer eine ausgestellte, nur manchmal eine wirklich virtuose. Bei
Brian De Palma gibt sich alles ein bisschen raffinierter, meisterlicher als
es ist. In der Regel (und eigentlich sogar in ihren enorm dichten, einfallsreichen
Ausnahmen wie Blow
Out
und Raising
Cain
(1992)) erreichen seine Filme die kompakte, kristalline Brillanz und Härte
von, sagen wir einmal, Hitchcocks Notorious
(1946) schon alleine deshalb nicht, weil sie viel zu beschäftigt damit
sind, ihre eigene Schlauheit zu bewundern: Eine jede Einlage erschöpft
sich in sich selbst, deshalb muss dann nachher allzu oft wieder ein bisschen
(oft mehr schlecht als recht) geradlinig durchgespielte Handlung her, die uns
zum nächsten showcase
für des Maestros Visionen befördert. (Wie schön derlei manieristische
Irrwege sein können, sollte man indes nicht unterschätzen: De Palmas
wirrer pulp-Steinbruch
The
Fury
(1978) ist zum Beispiel ein veritabler Mode-Katalog barocker kinetischer Extravaganzen.)
Darin
hat vielleicht De Palmas - in diesem Fall: fatale - Komplizenschaft mit den
Impotenz-Ängsten und Überkompensationen seiner Helden wie Sadisten
ihren Ursprung: In der permanenten Erfahrung der zu schnellen, zu vollständigen
Verausgabung, die den Rhythmus seiner Filme bestimmt. Sie kommen ständig
zu früh.
Dieser
Text ist auch erschienen in:
Die
Verdammten des Krieges
CASUALTIES
OF WAR
USA
- 1989 - 113 min. – Scope - Literaturverfilmung, Kriegsfilm - FSK: ab 16; feiertagsfrei
- Verleih: Columbia TriStar - RCA/Columbia (Video) - Erstaufführung: 1.2.1990/11.9.1990
Video/3.6.1993 SAT 1 - Fd-Nummer: 28134 - Produktionsfirma:
Art
Linson Prod. (für Columbia) - Produktion: Art Linson - Fred Caruso
Regie:
Brian de Palma
Buch:
David Rabe
Vorlage:
nach einem Buch von Daniel Lang
Kamera:
Stephen H. Burum
Musik:
Ennio Morricone
Schnitt:
Bill Pankow
Darsteller:
Michael
J. Fox (Eriksson)
Sean
Penn (Meserve)
Don
Harvey (Clark)
John
Reilly (Hatcher)
Thuy
Thu Le (Oahn)
John
Leguizamo (Diaz)
Erik
King (Brown)
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