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Verfolgt
Harold und Maude
Wenn die Bewährungshelferin Elsa Seifert ihrem
Mann weniger gesteht als erklärt, dass sie den jüngst ihr unterstellten
Schützling, den 17-jährigen Jan, doch gar nicht ficke, sondern mit
ihm eine Sado-Maso-Beziehung unterhalte, so steckt die ganze Unwahrheit dieser
Aussage in der scheinbar so genauen und treffenden Bezeichnung selbst. Denn
der junge Straftäter ist alles andere als ein stumpfer leidender Knecht
mit viel Eisen an seinen Extremitäten und dem winselnden Blick in seinem
Gesicht, Jan ist ein souveräner Magier, eine Art Self-made-man, der genau
weiß, was er will und unbedingt als tätiger Mensch zu beschreiben
ist. Er sieht aus wie ein Engel, und sein älterer Bruder könnte der
unwiderstehliche Mann sein, der in Pasolinis „Teorema“ eine ganze Familie verführt,
beinah wie von selbst. Aber auch die 35 Jahre ältere Elsa entspricht keineswegs
dem Cliché, das man sich von einer Sadistin vielleicht macht. Sie weiß
nämlich gar nichts von ihrer Anlage, bis Jan, insistierend, ihr die Augen
öffnet für sich selbst. Die meisten Leute schotten sich doch deshalb
ab, weil sie instinktiv wissen, dass sie in Teufels Küche kämen, würden
sie die Hand ergreifen, die sich ihnen meist nur in schlafwandlerischer Konstitution
entgegenstreckt. Das lässt diesen Film eben wie ein Märchen aussehen.
Und es ist eher zweitrangig, dass Elsa eben diesen Job hat und Jan ein kleiner
Krimineller ist. Dass „Verfolgt“ in schwarzweiß gedreht wurde, hat also
nicht so viel mit der dunklen Seite der Gesellschaft zu tun, hier am Beispiel
von Vollzug und Resozialisierung vorgeführt, sondern mit der künstlichen
Atmosphäre, die vor allem über den beiden zentralen Figuren liegt.
Jans Überhöhung als Person in Richtung unbeirrbarer Engel erfährt
dabei, und man weiß nicht, ob das Absicht ist oder nicht, eine deutlich
komische Kontrastierung durch die Art und Weise seines Auftritts genau in den
Szenen, in denen es um die spezielle sexuelle Handlung gehen soll, die ihn interessiert
bzw. auf die hin ihn alles orientiert. Der reine Engel wirkt dann nämlich
wie eine Versuchsperson im eigenen Experiment, die selbst gar nicht so recht
weiß, auf was das alles hinauslaufen soll. Man muss sich diese scheinbar
ganz klar konturierte S-M-Beziehung viel eher wie einen Steinbruch vorstellen,
bei dem sich der Schlagende und der Geschlagene bei jedem Hieb fragen, ob es
sich überhaupt um einen Steinbruch handelt, der von wem auch immer zur
Ausbeutung freigegeben wurde. Es ist ergreifend zuzuschauen, wie hier auf kongeniale
Weise wirklich einmal Brecht’sches Verfremdungstheater fruchtbar gemacht wird.
Sexualität wird hier nicht vollzogen (nichts ist so verlogen wie ihre unterstellte
„Allomathie“), es kommen hier nicht zwei Personen zusammen, die für einander
bestimmt waren (das ist die Grenze des Märchens), sondern es wird wunderbar
klapprig das Rätsel selbst in Szene gesetzt, wenn Leute eigentlich nicht
weiter wissen, wo Außenstehende voraussetzen, dass der Weltgeist im Kleinen,
manchmal eben auch Schmutzigen, den von Anfang an klaren Prozess abspult. Die
Wahrheit des Endes dieser seltsamen Beziehung liegt nicht so sehr im sozialen
Umfeld, den der Film sich wählte, als in der Wahl des vermeintlichen Höhepunktes
(als ewiges Plateau), den Jan sich nur als exotisches Urlaubsland vorstellen
kann. Die Irritation durch andere, die der Film sehr schön herausstellt,
ist zeitlich begrenzt. Insofern ist auch die bevorzugte sexuelle Praktik von
„Verfolgt“ nicht paradigmatisch. Maccarones Film wirkt wie eine Parabel auf
die oft eben auch lächerliche Seite des „Vollzugs“, die einen immer dann
angrinst, wenn die Rüstung fehlt. Dessen andere Seite ist die Routine.
Und wie traurig ist das denn.
Dieter Wenk
Dieser Text ist zuerst erschienen
im Dezember 2006 in:
Zu diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere
Texte
Verfolgt
Deutschland
2006; 87 Minuten; Regie: Angelina Maccarone; Drehbuch: Susanne Billig; Produzentin:
Ulrike Zimmermann; Mit Maren Kroymann, Kostja Ullmann, Moritz Grove, Sila Sahin,
Ada Labahn, Markus Völlenklee - Kinostart: 4.1.2007
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