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Verfolgt
Sadomasochismus ohne Klischees: Mit Verfolgt erzählt
Angelina Maccarone eigenwillig und unvoyeuristisch vom irritierenden Geschenk
der Unterwerfung, das ein minderjähriger Straftäter seiner Bewährungshelferin
macht.
„SM-Skandal: Sozialarbeiterin
schlägt Schützling“ – so könnte die Boulevard-Schlagzeile zu
Angelina Maccarones neuem Film lauten, ginge es um eine reale Geschichte. Sadomasochismus
als öffentlich verhandeltes Thema wird häufig entweder aufs Sensationelle
reduziert, in TV-Erotiksendungen zur prickelnden, weil leicht abseitigen Spielart
der Sexualität verflacht oder im Kino zum ästhetischen Spektakel überhöht.
Wirklich ernsthafte Auseinandersetzungen mit der Schmerzlust und dem dahinter
steckenden Wunsch nach Grenzüberschreitung, nach Erweiterung des eigenen
Erlebens und das des anderen, sind seltener. Verfolgt wählt einen bewusst
unaufgeregten, stilistisch reduzierten Zugang. Anstatt wie zahlreiche Verfilmungen
der klassischen Vorlagen von De Sade oder Sacher-Masoch den begehrlichen Blick
auf den nackten Körper zu zelebrieren, auf die Instrumente der Gewalt,
der Erniedrigung und die tausendfach gesehenen Fetische wie Peitschen, Hundeleinen,
Hackenschuhe, erzählt Maccarone ihre Geschichte einer langsamen Annäherung
zweier Menschen im körnigen Schwarz-Weiß und mit großer Nähe
zu den Hauptdarstellern.
Elsa Seifert (Maren Kroymann)
ist die Bewährungshelferin des 16jährigen Jan (Kostja Ullmann). Bald
wird sie von ihm verfolgt, er bietet sich ihr an: „Ich weiß, dass Sie
Sachen mit mir machen wollen.“ Durch die merkwürdige Hartnäckigkeit
des Jungen bekommt Elsas professionelle Distanz erste Risse, die Aufmerksamkeit,
die sie unvermutet erhält, gefällt ihr auch. Jans vorsichtige Berührungen
lösen bei der 52jährigen mit dem routinierten Berufs- und Eheleben
eine Sehnsucht aus, der sie schließlich nachgibt. Viel wird über
Blicke erzählt, ernste und abschätzende zunächst, bis beide Figuren
offener werden können. Dabei geht es nicht um Sex, sondern um das Herantasten
an eigene Wünsche, um Nähe und intensives Gefühl durch die Schmerzen,
die Elsa Jan zufügt. Auf das Schlagen folgt hier immer auch eine Umarmung.
Mit
exploitativen oder bereits wieder konventionell gewordenen SM-Szenarien, die
spätestens seit Neuneinhalb Wochen (9 ½ weeks, 1986) auch im Kino-Mainstream angekommen sind, hat Verfolgt wenig zu tun. Einmal
zitiert der Film ein gängiges Symbol, um es gleich wieder als unpassend
zu verwerfen: das fest geschnürte Hundehalsband. Als Utensil der Unterwerfung
gehört es zum pornografischen wie zum Gewalt-Film, die jungen Sklaven aus
Pasolinis Klassiker Die
120 Tage von Sodom (Salò, 1975) tragen es – ebenso wie Jan. Bis Elsa ihm das Halsband
abnimmt und stattdessen ein Handy umhängt: ständige Erreichbarkeit
als Zeichen des Besitzes.
Kostja Ullmann spielt den Jan
zwischen Coolness und Verletztheit. „Wo bist du?“ will Elsa wissen, wenn er
seinen Körper ausliefert. Sein wirkliches inneres Erleben entzieht sich,
so wie der Film auch kein einfaches Erklärungsmodell für Sadomasochismus
bietet und mit seinen spröden schwarz-weißen, häufig im Gegenlicht
aufgenommenen Bildern jede plakative Fleischlichkeit vermeidet. Da leuchten
keine roten Striemen auf der Haut, die Kamera drängt sich nicht auf, jede
Entblößung bleibt würdevoll – ob nun die Spuren des Alters an
Elsa oder die der Gewalteinwirkung an Jan gezeigt werden.
Maren Kroymann, die durch die
Serie Oh
Gott, Herr Pfarrer
(1988-89) bekannt geworden ist und bis zur Absetzung von Nachtschwester Kroymann (1993-97) als einzige Frau im
deutschen Fernsehen eine eigene Satiresendung betrieb, ist in ihrer ersten Kino-Hauptrolle
bewusst gegen das Rollenfach als Entertainerin und Kabarettistin besetzt. Ihre
Ernsthaftigkeit, die des Drehbuchs und der Umsetzung, lassen Verfolgt als angenehm erwachsenes Werk
erscheinen, das die tatsächliche Subversivität der Geschichte nicht
zusätzlich ausstellen muss. Das große Drama mit auflösendem
Finale wird bewusst vermieden – zugunsten einer Konzentration auf die Verschiebungen
im Denken und Fühlen von Elsa. Bestimmte gesellschaftliche Konventionen
und die eigene Lebenssituation erscheinen plötzlich brüchig, ja absurd.
Der fließende Übergang vom Alltag in eine ungewöhnliche Beziehung,
die in Schmerzritualen nach persönlicher Befreiung sucht, verstärkt
das verstörende Potential, das der Film in sich birgt. Diese Verstörung
bleibt leise und realistisch, jenseits der Psychopathologie und Zerstörungsgewalt
mit der etwa Die Klavierspielerin (La
pianiste,
2001) Verletzungsphantasien ausagiert.
Bei Angelina Maccarones stilistisch
und inhaltlich sperrigem Projekt ist es nicht verwunderlich, dass die Produktion
zusätzlich zur Kinoförderung ohne Fernsehgelder, dafür mit finanzieller
Unterstützung der Darsteller und Beteiligten entstanden ist. Verfolgt ist
Maccarones zweiter Kinofilm, nach dem Immigrations- und Liebesdrama Fremde Haut (2005) um eine als Mann verkleidete
lesbische Frau aus dem Iran. Die Themen Identitätssuche und sexuelle Infragestellung
behandelten schon die Fernsehkomödien Kommt Mausi raus?! (1994) und Alles wird gut (1997), mit denen die Regisseurin debütierte. Dass sie auch
streng und ohne Komik inszenieren kann, zeigt nun Verfolgt. Was von ihr zukünftig im deutschen Kino zu sehen sein wird,
könnte spannend werden.
Sonja M. Schultz
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: www.critic.de
Zu diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere
Texte
Verfolgt
Deutschland
2006; 87 Minuten; Regie: Angelina Maccarone; Drehbuch: Susanne Billig; Produzentin:
Ulrike Zimmermann; Mit Maren Kroymann, Kostja Ullmann, Moritz Grove, Sila Sahin,
Ada Labahn, Markus Völlenklee - Kinostart: 4.1.2007
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