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Verhängnis
Die
Liebe der Untoten
Das
titelgebende Verhängnis steht schon nach wenigen Minuten mitten im Wohnzimmer
der Upper-Class-Familie. Ihr Name ist Anna, ihr Körper ist bis zu den Fingerspitzen
eingehüllt in elegantes, schwarzes Leder, unter den streng gekämmten,
ebenfalls pechschwarzen Haaren sticht ein ungesund blasses Gesicht hervor und
aus diesem Gesicht zwei kalte, tote Augen. Die begnadete Kostümbildnerin
Milena Canonero präsentiert Juliette Binoche als bleiche Wiedergängerin,
vergleichbar mit Hamlets Vater, mit dem Sensenmann in Bergmanns "Det Sjunde
inseglet" ("Das Siebente Siegel"), dem Teufel in Gibsons "The
Passion of the Christ"
oder den Mystery Men bei Lynch - allesamt Sendboten des nahenden Untergangs.
So erscheint die schöne Französin mitten unter den britischen, in
fadem Beige gekleideten Familienmitgliedern, die allesamt den neuen Gast nicht
erkennen oder nicht erkennen wollen. Bis auf Stephen Fleming, ihren Schwiegervater
in spe.
Fleming,
mit überragender Präzision gespielt von Jeremy Irons, ist selbst ein
Untoter, ein antriebsloser Berufspolitiker, von Ehefrau und Schwiegervater bis
kurz vors höchste Staatsamt ferngesteuert, ein professioneller Zombie mit
eingefallenen Wangen und tiefen Augenhöhlen. Er erkennt seinesgleichen.
Ihre Kleidung wirkt wie eine Pervertierung seines ministerialen Anzugs, ihre
Frisur wie eine monströse Verhöhnung seines strengen Scheitels. Sie
redet nicht, lächelt nicht, und in ihrem gierigen Rauchen liegt Todessehnsucht.
Die beiden brauchen sich nicht einmal zu unterhalten, ein fast stummes Telefonat
genügt, ein Name, eine Verabredung, wortloser, kalter Sex. Er sagt, er
will sie nie verlieren, sie lächelt sardonisch und prophezeit, sie werde
immer um ihn sein. Er starrt sie an und flüstert: "Wer bist du?"
Dabei weiß er es, wußte es vom ersten Moment an: Sie ist ein Engel
des Todes.
Alles
weitere, die Aufdeckung ihrer tragischen Herkunft, die Staats- und die Familienpolitik,
die verzweifelten Ausbruchsversuche, all das ist nicht mehr von Belang, wenn
man in den ersten zehn Minuten genau hingeschaut hat. Ähnlich einer antiken
Tragödie geht es nur noch um die Frage, wie schnell der Untergang dauert
und welche Formen er annehmen wird. Und nachdem der "Schaden", von
dem der Originaltitel spricht, angerichtet ist, wendet sich das Engelswesen
ab und schleicht wortlos und unbemerkt davon, noch etwas bleicher und geisterhafter
als zuvor, eine Spur der Verwüstung hinterlassend. Flemings Frau wird ihm
später erklären, er hätte sich gleich zu Beginn dieser Affäre
das Leben nehmen sollen, es wäre die glücklichste Lösung für
alle gewesen. Diese Art von Film ist das.
Louis
Malle inszeniert diese Abwärtsspirale kalt und stringent, mit klaren Augen
für winzige Details und ganz nah am kargen Drehbuch von David Hare entlang,
das über weite Passagen mit prägnanten, vielschichtigen Kurzdialogen
auskommt und auf jegliche billige Psychologisierung verzichtet. Dazu intoniert
der Kieslowski-Gefährte Zbigniew Preisner eine lyrische Musikstimmung,
die von Anfang an von tiefer Trauer durchzogen ist und zusammen mit den Charakteren
in die dissonanten Tiefen der Katastrophe stürzt. Es ist einer der bemerkenswertesten
Scores der 90er, und durch die Wortkargheit der Charaktere und den präzisen
Stil der Inszenierung wirkt der Film manchmal geradezu opernhaft. Auch die Besetzung
ist hier bis in die kleinste Rolle perfekt, Miranda Richardson gibt eine erstaunlich
sympathische Ehefrau, und Gemma Clark glänzt in ihrem bislang einzigen
Kinoauftritt als mißtrauische, hilflose Tochter, während Binoche
und Irons der nie erklärten Obsession eine dringend benötigte Glaubwürdigkeit
verleihen. Ihr Sex, von dem es hier reichlich gibt, ist in bestem Sinne europäisch:
triebhaft und körperlich statt emotional, sehr explizit, aber hochgradig
stilisiert, ein taumelnder Tanz zweier verzweifelter Marionetten, die sich gierig
durch den Körper des anderen wühlen, auf der Suche nach einem letzten
Rest Leben.
Daniel
Bickermann
Diese
Kritik ist zuerst erschienen im:
Verhängnis
Damage.
GB/F 1992. R:
Louis Malle. B:
David Hare. K: Peter Biziou. S: John Bloom. M:
Zbigniew Preisner. P: NEF Prod. D: Jeremy Irons, Juliette Binoche, Miranda Richardson,
Rupert Graves u.a. 111 Min.
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