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Das
verlorene Wochenende
Billy Wilders verlorenes
Meisterwerk als mutiger Vorstoß in Hollywoods oftmals zu angepasster „Goldener
Ära“
Don Birnam ist ein gebildeter, aber uninspirierter
Schriftsteller, der vor allem ein Problem hat: Alkoholismus. Seit zehn Tagen
trocken, soll er mit seiner Verlobten Helen und seinem Bruder Wick, der ihn
finanziell unterstützt und seine Eskapaden schon oft vereitelte, zur Erholung
einen Wochenendausflug unternehmen. Seine Gedanken kreisen aber schon um die
nächste Flasche Whiskey. Als er es dann schafft, die beiden, die sich in
der Sicherheit wiegen, Don hätte keinen Zugang zu Alkohol, loszuwerden
und durch glückliche Umstände zu Bargeld gelangt, nimmt das Unheil
seinen Lauf.
Der Zeitraum des Filmes erstreckt sich über
fünf Tage, von Donnerstag bis Dienstag. Demnach dem, was man gern „verlängertes
Wochenende“ nennt. Aufgebrochen wird diese Chronologie durch zwei Rückblenden,
in denen die Auswirkungen seiner Abhängigkeit illustriert werden. In der
ersten sehen wir Don bei einem Opernbesuch, den ihm sein jovialer Bruder gesponsert
hat. Die Ruhe, ihn zu genießen, hat er nicht, da ihn Entzugserscheinungen
plagen. In einer Pause flüchtet er zum Garderobier, um an den Whisky in
seinem Mantel zu kommen. Zu seinem Unglück wurde dieser vertauscht – und
zwar mit dem Leopardenmantel einer Frau. Als diese endlich ankommt, vergisst
Don zunächst seine gute Kinderstube, trotzdem kommen die beiden ins Gespräch.
Sie – Helen – arbeitet für das Time Magazine und er beschreibt sich als
Schriftsteller, der bei Romanen nie über die ersten Seiten und bei Kurzgeschichten
nie über die ersten Absätze hinaus kommt.
Die zweite Rückblende zeigt, was der Alkohol
aus Don gemacht hat: Einen erfolglosen Schönling Mitte Dreißig ohne
Universitätsabschluss, der von der Illusion beseelt ist, ein Schriftsteller
zu sein. So das vernichtende Urteil von Helens bourgeoisen Eltern, in deren
borniertem Elitedenken die verankerte Inhärenz von beruflichem und monetärem
Erfolg keinen Platz für eine irgendwie anders geartete Selbstverwirklichung,
als der finanziellen, lässt. Er scheut die Konfrontation und flüchtet
in seine Wohnung, um seinen Frust zu begießen.
Als Helen eintrifft und eine Flasche
Whisky sieht, improvisiert Wick, um das Schlimmste zu verhindern und fabuliert
sich eine unstimmige Geschichte zurecht, nach der er der Alkoholiker sei. Don selbst aber insistiert,
Helen die Wahrheit offenbaren. Zu seiner Überraschung wird er aber nicht
verteufelt, sondern bekommt Unterstützung zugesichert. Unterstützung,
von der er nicht weiß, ob sie ihm Hoffnung gibt oder unter unwillkommenen
Druck setzt.
Während seiner fünftägigen Odyssee
absolviert Don verschiedene Etappen auf der verzweifelten Suche nach Alkohol:
Er sitzt stundenlang in seiner Stammkneipe, durchsucht seine Wohnung nach verstecktem
Whisky, versetzt seine Schreibmaschine, wird dabei ertappt, wie er eine Frau
in einem Restaurant bestiehlt, bittet Gloria, die ihn anhimmelt, um Geld und
erwacht schließlich in einer Entzugsanstalt, in der er „Bim“, einem exzentrischen
und vermutlich homosexuellen Krankenpfleger mit feminin-sadistischer Ader ausgeliefert
ist.
Nach geglückter Flucht folgt in seiner Wohnung
der tragische Höhepunkt seines Trips. Er ergibt sich einem exzessiven Gelage
und erlebt im Delirium eine alptraumhafte und halluzinatorische Phantasmagorie,
die ihm vorgaukelt, ein kleines Nagetier würde aus seiner Wand klettern
und einer Fledermaus, die durch ein offenes Fenster eindringt, zum Opfer fallen.
Regisseur Billy Wilder hatte mit „Frau
ohne Gewissen“ in Bezug auf die thematische
Brisanz eher in seichtem Gewässer gestanden und sich an die Spielregeln
des Hollywoodkinos gehalten, der Film diente wohl eher der reputativen Aufwertung
denn der künstlerischen Befriedigung und war Mittel zum Zweck, freie Hand
für ein ungleich unbequemeres und explosiveres Projekt zu bekommen. Mit
„Das verlorene Wochenende“ versuchte er dann, Avantgarde und Mainstream in Einklang
zu bringen, denn mit dem tabuisierten Sujet Alkoholismus leistete er – zumindest
in Hollywood - Pionierarbeit. Bis dahin wurden Alkoholiker im Film meist zu
Objekten der Belustigung degradiert.
Die Tragweite der Thematik lässt sich schon
allein daran bemessen, dass die Alkoholindustrie der Produktionsfirma Paramount
5 Millionen Dollar dafür bot, die Ausstrahlung des mutmaßlichen Absatzhemmers
zu verhindern. Wilder bewies Humor und begegnete diesem Versuch, seine künstlerische
Freiheit zu beschneiden, mit blankem Hohn, als er behauptete, er hätte
eingewilligt, wenn er der Adressat der generösen Offerte gewesen wäre
und suggeriert damit im Bewusstsein seiner utopischen Annahme, den falschen
Eindruck, doch eher pekuniäre Interessen zu verfolgen, denn Idealist zu
sein.
Es wird ja oft kolportiert, um die Wirklichkeit abzubilden,
müsse man sich zwangsläufig von filmischen Erzählmustern und
Auflagen trennen, Wilder aber wagt das Vabanquespiel und schafft es, gleichzeitig
zu unterhalten und den notwendigen naturalistischen Stil seiner Studie zu wahren.
Ohne unnötige Effekthascherei schafft es der Regisseur und vor allem Drehbuchautor
die Rolle des Alkoholismus und den Umgang mit ihm in der damaligen Gesellschaft
zu beleuchten. Alkoholkranke werden belächelt, ihre Krankheit nicht ernst
genommen. Im Notfall wird der Betroffene eben in ein düsteres Sanatorium
gesteckt, um kein öffentliches Ärgernis zu erregen – aus den Augen,
aus dem Sinn.
Wilder, der sich die ungeschminkte Darstellung menschlicher
Tragödien aufs Tapet geschrieben hat, bekommt mit der Figur Don Birnam
mehr als brauchbares Material. Als anregenden Aperitif kann man die gelungene
Anfangssequenz verstehen, als der Protagonist in einem Rutsch mit seinem Problem
(Flasche am Fensterbrett) inauguriert wird. Im weiteren Verlauf wird der Zuschauer
oft mit Birnam allein gelassen; man blickt in ein ausgemergeltes Gesicht: verquollene
Augen, Dreitagebart, fettiges Haar. Er ist oft gereizt und cholerisch und doch
fühlt man sich ihm verbunden, weil er doch so anständig und höflich
ist, wie seine Vermieterin zugeben muss. Eher aber noch, weil Birnam als Prototyp
des Antihelden Identifikationspotenzial hat. Eine sympathische Figur mit menschlichen
Schwächen ist ohnehin wirklichkeitsnäher als der oft porträtierte
und konstruierte Hollywood-Hero, der eigentlich nur eine leere Projektion des
Zuschauers ist und allerhöchstens dessen heimlich gehegte eskapistischen
Sehnsüchte befriedigen kann.
Wilders Filmografie macht es legitim, zu behaupten,
dass das, was Hitchcock für den Thriller ist, Wilder für das Drama
beanspruchen kann. Der österreichische Emigrant wurde zwar vor allem dafür
gerühmt, neben dem Drama auch das komödiantische Fach bereichert zu
haben. Retrospektiv muss man aber konstatieren, dass seine komischen Produktionen
- mit Ausnahmen - eher den Status eines privilegierten Nebenstudiums hatten,
während er sich in seinem Hauptfach „Drama“ deutlich wohler fühlte
und sogar die Chuzpe besaß, dem eigenen Milieu auf die Füße
zu treten („Boulevard der Dämmerung“).
Der Oscar, und das lehrt die Empirie, hat sich im
Laufe seiner Geschichte nicht unbedingt als unstreitbarer Indikator für
künstlerische Qualität etabliert. Ausnahmen wie Ray Milland bestätigen
die Regel. Der talentierte Schauspieler, in dessen Geschichte mannigfaltiger
Beschäftigungen sein Jockeydasein den skurrilen Höhepunkt bildete,
stand oft im Schatten von unbestrittenen Größen wie James Stewart
und Cary Grant, den Lieblingsdarstellern Hitchcocks. Ironischerweise bescherte
ihm dieser mit „Bei Anruf Mord“ noch einen Hit, bei dem am Ende eine Reminiszenz
an „Das verlorene Wochenende“ zu beobachten ist, als der überführte
Tony Wendice, gespielt von Milland, die aufgebaute Spannung durch seine „British
Sophistication“ abrupt auslöscht, sich einen Whisky genehmigt und seinen
Widersachern ebenfalls einen anbietet.
Apropos Ende. Das ist hier etwas flach und unmotiviert
und widerspricht damit der Lösung der gleichnamigen Romanvorlage Charles
R. Jacksons. Die forcierte Restitution des romantischen Hollywoodidylls kann
man als Konzession an die Harmoniebedürftigkeit der Glitzerwelt verstehen,
für dessen Maßstäbe das Thema und seine unverhohlene Visualisierung
sowie der latente homosexuelle Anklang schon erschütternd genug gewesen
sein dürften – den milden und schonenden Absacker kann man deshalb gern
verzeihen.
Erik Pfeiffer
Das
verlorene Wochenende
THE
LOST WEEKEND
USA
- 1945 - 99 min. – schwarzweiß - Erstaufführung: Februar 1948/7.9.1964
ZDF
Regie:
Billy Wilder
Buch:
Charles Brackett, Billy Wilder
Vorlage:
nach dem Roman von Charles R. Jackson
Kamera:
John Seitz
Musik:
Miklos Rozsa
Schnitt:
Doane Harrison
Darsteller:
Ray
Milland (Don Birnam)
Jane
Wyman (Helen St. James)
Phillip
Terry (Wick Birnam)
Howard
da Silva (Nat, Bartender)
Doris
Dowling (Gloria)
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