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Verrückt/Schön
Eine
Romeo-und-Julia-Geschichte gegen die Klischees
Große
Gefühle werden im Kino gerne beschworen. Selten aber können die Leinwandfiguren
den emotionalen Raum füllen, den die Handlungsführung vorgibt. Gerade
im Teenager-Liebesleben aus Hollywood werden die Emotionen gerne nur behauptet,
nachzuvollziehen sind sie nicht. Zu blass sind die Figuren, als Abziehbilder
stehen sie in ihren Leben herum.
Crazy/Beautiful ist
ein Liebesfilm, der seine Helden ernst nimmt, auch dadurch, dass er ihnen neben
der Liebe auch andere existenzielle Konflikte zutraut. Nicole, die verzogene
17-Jährige aus Malibu, hat den Kampf um die Anerkennung ihres Vaters aufgegeben
und versteckt ihre Unsicherheit hinter aufmüpfigem Gehabe. Carlos, der
Latino aus der Vorstadt, dem mütterliche Aufopferung den Schulbesuch ermöglicht,
hat an emotionaler Unterstützung alles, was er braucht - die Lebensfreude
fehlt ihm trotzdem. Carlos ist das verkörperte Pflichtgefühl. Doch
gegen Nicoles entwaffnendes Klein-Mädchen-Lächeln ist selbst er hilflos.
Oder ist es gerade ihre vermeintliche Unbeschwertheit, die ihn berührt?
Die
Milieus könnten unterschiedlicher nicht sein. Doch beide gehen auf die
gleiche Schule, Carlos in einem Austauschprogramm. "I' am dangerous",
sagt Nicole zu Carlos bei der ersten Begegnung, und sie meint das nur als Witz.
Doch bald wird die flippige Bedürftigkeit des Mädchens für Carlos
zu einer wirklichen Bedrohung. Carlos versäumt verwandtschaftliche Pflichten.
Die Schule leidet. Die Zukunft steht in Gefahr. Die Mutter verbietet den Umgang
mit der weißen Schlampe. Doch Carlos hat nicht nur die Liebe gefunden,
sondern zum ersten Mal auch eine Berufung, die das familiäre Pflichtgefühl
übersteigt. Denn Nicole braucht Hilfe. Und die kann nur von Carlos kommen.
Die
Romeo-und-Julia-Geschichte der beiden ungleichen Kids, die sich in einem langen
und schwierigen Lernprozess erst finden müssen, widerläuft allen gängigen
Erwartungen und Kino-Klischees. Präzise und widersprüchlich sind die
sozialen Milieus gezeichnet. So ist es nicht Rassismus, der Nicoles Vater, einen
liberalen Kongressabgeordneten, dazu treibt, dem Latino den Umgang mit seiner
Tochter zu verbieten, sondern die Angst, dass diese den hoffnungsvollen jungen
Mann vom rechten Weg abbringen könnte. Dennoch zählt er den jungen
Mann erst mal ganz selbstverständlich zum Hauspersonal, als er ihm vorgestellt
wird. In der Schilderung des bizarren Familienlebens in der Villa über
dem Meer nimmt der sonst eher als Drama inszenierte Film komödiantische
Töne an: wenn etwa der Papa auf der Terrasse herumspaziert, während
Nicole davon völlig unberührt hinter den Panoramafenstern mit Carlos
ins Bett steigen will, den solche Libertinage zutiefst verstört. Bruce
Davison macht die zwischen souveräner Jovialität und Verzweiflung
schwankende Figur des Vaters zu einer faszinierenden Charakterstudie. Nur Nicoles
Stiefmutter - ein hysterisches Biest mit Hygienewahn - wird wie so viele US-amerikanische
Filmmütter zum reinen Negativbild, ist dabei aber sehr erheiternd.
Der
Schauspieler Jay Hernandez, der in diesem Film als Carlos sein Spielfilmdebüt
gibt, schafft es, mit minimalen Ausdrucksverschiebungen Seelenwelten anzuzeigen.
Im Presseheft wird er als Latino-Ausgabe von Tom Cruise bezeichnet, dabei erinnert
er eigentlich viel mehr an unseren Bleibtreu. Aber der Star dieses Films ist
eindeutig Kirsten Dunst als Nicole, die hier endlich einmal zeigen kann, dass
sie auch schwierigen Rollen gewachsen ist, wenn man sie ihr denn gibt.
Erzählt
ist das dicht an den Personen mit viel Musik und kleinen, fast clipartigen Einlagen,
die den Film vermutlich jugendgemäß aufpeppen sollen. Gefilmt wurde
an Originaldrehorten in Los Angeles. Einige Nebenrollen wurden mit Laien besetzt:
Lehrer spielen Lehrer, eine Haushälterin die Haushälterin, Jugendliche
sich selbst.
So
ist diese Liebesgeschichte auch ein Sozialdrama, ein Film über die Heilung
einer jungen Frau mit einer ergreifenden Vater-Tochter-Geschichte zwischen Versäumnissen
und Versöhnung. Ganz ohne Sentimentalitäten geht es dabei natürlich
nicht ab. Tränen dürften auch fließen, aus guten Gründen.
Crazy/Beautiful zeigt,
dass es auch im tiefsten Hollywood noch ein paar Leute gibt, die den Blick für
das Wesentliche nicht verloren haben.
Silvia
Hallensleben
Diese Kritik ist zuerst erschienen in: epd Film
Verrückt/Schön
Crazy/Beautiful
USA
2001. R: John Stockwell. B: Phil Hay, Matt Manfredi. P: Mary Jane Ufland, Harry
J. Ufland, Rachel Pfeffer. K: Shane Hurlbut. Sch:
Melissa Kent. M: Paul Haslinger. T: Steve Weiss. A:
Maia Javan, Tom Meyer. Ko: Susan Matheson. Pg:
Touchstone. V: Buena Vista. L: 95 Min. Da: Kirsten Dunst (Nicole), Jay Hernandez
(Carlos), Bruce Davison (Tom Oakley), Herman Osorio (Luis), Miguel Castro (Eddie),
Lucinda Jenney (Courtney), Taryn Manning (Maddy), Rolando Molina (Hector).
Start:
25.10.2001 (D, A, CH).
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