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Verschwende
deine Jugend
Als die Band „Deutsch-amerikanische
Freundschaft“, kurz DAF, 1981 in der „Rotation“ in Hannover ihr „Alles ist gut“
sangen, brüllte ich mit fünf Halben intus (bei dem tosenden Elektrolärm
kaum hörbar) immer wenn die Zeile „Sei Still!“ kam: „NEEEEIN!“, denn das
Genuschele von Gabi Delgado-Lopez verstand ich als: „Zerstöre!“. Weil:
Zerstören fand ich trotz allem nicht so gut. Das Stück „Tanz den Mussolini“,
die ausrasierten Nacken, die Muscleshirts der beiden kokettierten ja mit einer
Nazi-Ästhetik, die irritierenderweise alles gleichzeitig war: faschistoid,
aggressiv, cool, stylish, homoerotisch und faszinierend. Und die minimalistische,
schnelle, harte, laute Tanz-Musik von DAF war wahrscheinlich das modernste,
was einem damals in Deutschland zu Ohren kommen konnte.
Das Gesamtkunstwerk DAF
zerstörte natürlich doch! Mit eisernem Besen fegte es 1981 den letzten
Hippiemüll, die letzten verlogenen Versöhnlichkeits- und Konsensangebote
vom Tisch, die die Punkbewegung noch vergessen hatte kaputtzuschrammeln. Hippie
sein - das hatte sich in den Siebzigern heraus gestellt - hieß ja doch
nur noch kiffend oder endlos alles ausdiskutierend sich zu arrangieren mit einer
Welt, die indiskutabel war. Punk oder New Wave zu sein bedeutete damals, sich
„die Haare zu schneiden, bevor man verpennt“ (Fehlfarben), sich von den spießigen
und intoleranten Normen einer political correctness zu befreien, indem man linker
war als links, indem man nach Belieben den „Adolf Hitler“ oder den „Jesus Christus“
„tanzte“, indem man im Gegensatz zu den anderen im „wirklichen Leben“ lebte,
narzisstisch, arrogant , hedonistisch und - irgendwie ein bisschen manisch und
paranoid vor lauter Abgrenzung.
Kurz gesagt: So sehr ich
sie hasste, so sehr liebte ich kleiner Dorf-New-Waver DAF auch, und - was ich
keinem verriet - ich war das zukünftige dritte DAF-Mitglied. Ambivalenz
war da kein Hinderungsgrund. Besoffen verlief ich mich nach dem Konzert hinter
der Bühne, wo ich nichts und niemanden fand, weder Gabi, noch Robert. Wahrscheinlich
waren die Super-Profis schon per Helikopter nach London entschwebt, und ich
konnte ihnen nicht mehr sagen, dass sie die ganze Zeit nur auf mich gewartet
hatten, so wie ich auf sie, ich, mit meiner in vollem Bewusstsein abgebrochenen
Tischlerlehre, der von anderen New Wavern isolierte selbsternannte New Waver,
1981 in meinem Kuhkaff mit meinem Keyboard und meinem teuren Verstärker,
den mir meine Oma bezahlt hatte.
Wie es der Zufall will,
führt auch Harry „Foyer“, der Held aus Benjamin Quabecks Film „Verschwende
deine Jugend“, mit DAF etwas im Schilde, wovon die Band nichts ahnt: Er kündigt
sie als Headliner eines Konzerts an, (obwohl sie es erklärtermaßen
eigentlich nur noch „out“ finden, Konzerte zu geben) um die Neue Deutsche Welle
auch endlich über das immer noch punklose München des Jahres 1981,
das „letzte verschlafene Kaff“, schwappen zu lassen. Seine Jugend verschwendet
er dabei nicht gerade, aber all sein Hab und Gut, er macht Schulden und seinen
Job als Sparkassenangestellter verliert er, alles, nur um ein NDW-Konzert im
Zelt des Zirkus Krone zu veranstalten, mit DAF als Zugpferd, einer Band namens
„Die elektronischen Zwerge“, einer mit Namen „Menopause“ und der von ihm „gemanagten“
Band „Apollo Schwabing“, die er ganz groß rausbringen will. Er ist verliebt
in ein friedensbewegtes „Hippiemädchen“, bändelt mit deren Gegenexemplar,
einem New-Wave-Chick, an, die auch noch die Freundin seines besten Freundes
ist, und rennt überhaupt die ganze Zeit ziemlich kopflos durch die Gegend.
Möglichst authentisch
versucht der Film zu sein, etwa, wenn er mit 1981 gebräuchlichen Kameras
DAF-Videos akribisch nachdreht, die den Originalen zum Verwechseln ähneln,
wenn die beiden DAF-Schauspieler den Vorbildern optisch und akustisch tatsächlich
bis ins nuschelnde Idiom nacheifern. Auch die Frisuren, die Kleidung (die obligatorischen
Anzüge) jener Zeit, die Platten, die Szenekneipen in gleißendem Neon,
alles ist wieder da,- und irgendwie doch nicht.
In seinem DVD-Kommentar
bemerkt Quabeck stolz, dass die für den Film zusammengestellte Band „Appollo
Schwabing“ tatsächlich selber eigene Stücke komponiert und live eingespielt
habe. Dabei sei aber darauf geachtet worden, dass die Musik nicht zu sehr wie
die damals übliche Musik klingt, nämlich „eintönig und für
den heutigen Geschmack nur schwer geniessbar“. Unauffällig seien neuere
Elemente untergemischt und raffiniertere Techniken verwendet worden. Das ist
sowohl der Musik von „Apollo Schwabing“ anzumerken, wie auch der Filmband „Elektronische
Zwerge“, die wohl der Elektronik-Band „Der Plan“ nachgebildet sein sollten:
Das Kind ist mit dem Bade ausgeschüttet worden, und herausgekommen ist
musikalische Indifferenz, ein Retro-Brei made in 2002 ohne Biss, ohne Witz,
ohne Verstand und Kraft (man kann ja auch nicht so ohne weiteres ein paar NDW-Hits
komponieren), der nun gar nichts mehr trifft, nicht die provozierende dadaistisch-radikale
Kraft der originalen Neuen Deutschen Welle, und noch nicht einmal mehr die Peinlichkeit
jener Schlager, die unter dem Namen NDW bis heute Nostalgieschunkeln bei Studentenpartys
gewährleisten, die aber nichts anderes waren, als die spießige und
kommerzielle Resterampe dessen, was DAF, Fehlfarben oder Andreas Dorau 1982
achtlos hatten liegenlassen. Als in den deutschen Charts der Siegeszug der 2.
NDW mit Nena, Markus, Peter Schilling begann, hatte die Original-NDW bereits
ihre Arbeit getan. Dem Film ist anzumerken, dass er davon nicht genug weiß.
Er bezieht sich zwar auf originale Quellen und Bands, aber er versteht sie nicht.
Er interpretiert die NDW mit dem Blick des MTV-Zeitalters als Stil, als Mode,
bestenfalls als Jugendtrend, aber nicht als das, was sie war: eine im Ansatz
zum Scheitern verurteilte, nichtsdestotrotz notwendige und in sich erfolgreiche
anarchische Revolution.
Dass Quabeck selbst nicht
dabei war, ist seinen zur Entstehung des Films 26 Jahren abzulesen, und verzeihlich.
Dass er aber z.B. meint, Punk- oder NDW-Bands hätten Angst vor ihren Bühnenauftritten
gehabt, hätten überhaupt geübt, hätten die Ambition gehabt,
groß rauszukommen, zeigt, dass er von der Materie leider überhaupt
keine Ahnung hat. Die Subersivität bestand ja gerade darin, auf Berühmtheit,
auf das Publikum und jegliche Nettigkeit zu scheißen und nur einfach sein
Ding zu machen. Eben kein Star zu sein, sondern gleich unter Gleichen. Punk
oder Neue Welle zu SEIN und zu TUN war das Entscheidende, gleichgültig,
ob man nur einen Akkord spielen konnte. Deshalb ist auch die Entscheidung DAF
zum Zugpferd, zum Paradebeispiel eines Films über die wahre NDW zu machen
ein Fehler, denn die späten DAF von 1981 waren insofern untypisch für
ihresgleichen, weil sie sich Starallüren zulegten, sich selbst zu Kultfiguren
machten, da, wo es im Wesentlichen immer darum gegangen war, sämtliche
Idole in den Arsch zu treten.
Die Darsteller reißen
es aber auch nicht. Das Ganze wirkt wie eine Party pickliger, nervöser
Teenager. Der kleine Tom Schilling, der noch in Christian Schmids Film „Crazy“
als Teenie voll zu überzeugen wusste, ist mit seiner Rolle als „Harry“
restlos überfordert. Daran mag sein begrenztes Potential liegen aber auch
die Schwächen des Drehbuchs. Sein Kollege Robert Stadlober, die lebensnahe
Hauptfigur in „Crazy“, mimt hier nur die Karikatur eines Halbwüchsigen,
der das spielt, was man 2002 wohl unter einem New Waver vermutet, und Jessica
Schwarz leistet kaum mehr, als sie bei VIVA gelernt hat: irgendwie (damals)
trendige Sachen tragen, in trendigen Zimmern hocken und dabei irgendwas Trendiges
plappern. Im übrigen wird im ganzen Film zu viel geplappert, zuviel gelacht,
zuviel gehüpft, zuviel gegrinst. Von der wahren 1981er Coolness hat auch
der von Christian Ulmen, MTV-Moderator, gespielte Sounds-Redakteur nichts mitbekommen,
weil er es mit dessen (sicherlich angebrachter) Arroganz zu sehr übertreibt.
„Verschwende deine Jugend“ ist eigentlich das Gegenteil von NDW, nämlich ein Art Siebziger-Jahre-Bejahungsprojekt, geworden. Alles ist darin, die kleinen Fans, die großen Stars, der Mythos des Pop als Ikone, die Affirmation des Musikgeschäfts. Alles, wogegen die Punks und New Waver in den Siebzigern und frühen Achtzigern rebellierten, im Film ordnen sie sich ihm unter. Sozusagen eine deutsche Auflage eines Filmes wie „Almost Famous“, der sich der Rockphämomenologie der siebziger Jahre widmet, und genau deswegen stimmt das Bild nicht. Das, worum es hätte bei diesem so interessanten Thema gehen müssen, jene große subversive, innovative Energie einiger Leute zu zeigen, die irgendwann noch daran glaubten, die „Welt aus den Angeln heben“ zu können, ist fehlgeschlagen, verschenkt an eine Handlung, die übrigens selten das Niveau irgendwelcher Daily-Teenie-Soaps verlässt. Was bleibt, ist ein Film der minutiösen Oberfläche einer Zeit, erstaunlich leer von ihrem Geist. Vielleicht ist derselbe ja tatsächlich unauffindbar geworden? (Das glaube ich kaum, solange es noch Bands wie die „White Stripes“ gibt.)
Den Titel „Verschwende
deine Jugend“ entlehnte Quabeck übrigens nicht nur einem Lied der DAF,
er hängte sich damit auch an den Erfolg des Buches zur Geschichte
des deutschen Punk: „Verschwende deine Jugend“, dessen Autor Jürgen Teipel
vergeblich versucht hat, die Übernahme des Titels für den Film zu
unterbinden. Teipels Buch aber ist genau das, was der Film nicht ist: Spannende
und facettenreiche Rekonstruktion einer spannenden und vielgestaltigen Zeit.
Als ich anderthalb Tage
nach dem DAF-Konzert endlich wieder zu Hause auftauchte, hatte mein Hund mir
das ganze Zimmer vollgeschissen. Aber das war völlig okay, denn ich hatte
getan, was ich tun musste, und das war Punk (und Tierquälerei,
aber das wird dann bei „Ein Hund namens Beethoven“ erörtert)!
Andreas Thomas, im Februar 2004
Dieser
Text ist auch erschienen - unter dem Namen Athomzombie - bei ciao.de
Deutschland
2002 - Regie: Benjamin Quabeck - Darsteller: Tom Schilling, Robert Stadlober,
Jessica Schwarz, Marlon Knittel, Christian Ulmen, Dieter Landuris, Nadja Bobyleva,
Mareike Lindenmeyer - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 6 - Länge:
101 min. - Start: 3.7.2003
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