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La
Promesse - Das Versprechen
Im Titel schon enthalten: Die moralische
Qualität des Inhalts. Wie in allen ihren Spielfilmen erzählen die
Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne auch in „La Promesse“ von ökonomischen
Zwängen, von den Bedingtheiten und Wertigkeiten, die sie zur Folge haben
und von – wie soll man es ausdrücken, ohne altmodisch zu klingen? - einem
in der Menschheit schlummernden Rest Menschlichkeit, einem unterentwickelten
aber entwicklungsfähigen Gewissen, einem Sinn für Verantwortung und
einem Bedürfnis nach Freundschaft und Solidarität, dem immer weniger
hinterfragtem Gebot wirtschaftlichen Wettbewerbs und Einzelkämpferdenkens
zum Trotz.
Und die belgischen Regisseure machen es dieser Moral wahrlich nicht leicht. Sie muss von den meist jugendlichen Protagonisten ihrer Filme quasi aus dem Nichts erfunden werden. Jugendliche, die zunächst nichts anderes tun - und tun wollen, als nach den Regeln zu handeln, die ihnen durch die Erwachsenenwelt vorgegeben sind, stellen fest, dass bestimmende Parameter des konventionellen Miteinanders vielleicht profitmaximierend, aber in ihrer letzten Konsequenz auch mörderisch sein können.
Auch
Igor in „La Promesse“ ist einer dieser
Jugendlichen. Früh schon wird er von seinem Vater Roger zum Kompagnon gemacht.
Der Betrieb: Einschleusung von Migranten, ihre illegale Unterbringung in Bruchbuden
zu horrend überteuerten Mieten, Vermittlung von Schwarzarbeit oder Beschäftigung
zu Hungerlöhnen auf der familieneigenen Baustelle. Wir werden Zeugen eines
professionellen Ausnützens der Notlage von etwa zwei Dutzend Flüchtlingen,
ausgehend von jemandem, der sich - weder durch seine Wohnung noch durch sein
Äußeres – kaum von ihnen unterscheidet, der vielleicht, wir erfahren
es nicht, selbst vor nicht langer Zeit arbeitslos war, aber einen Riecher für
neue Trends im Dienstleistungsbereich besaß. Roger ist also das, was man
heute (zynisch) einen „Macher“ nennen könnte, denn er macht ja im kleinen
Stil nur das nach, was die Multis im großen
tun: Er bedient sich illegaler, vor allem aber unmoralischer Methoden, um Gewinne
zu erzielen.
Igor, dem halben Kind (Jérémie
Renier mit dem Charme und Aussehen eines blonden Jean-Pierre Léaud),
gefällt dieses fröhliche Ausbeuten, diese im Kleinen ausgeprägte
Variation des globalen freien Marktes, offensichtlich gut, denn ihm wird früh
viel Verantwortung übertragen und er kann sich erwachsen und seinem Vater
(stets großartig: Olivier Gourmet), den er bewundert, gleichwertig fühlen.
Bei jeder wichtigen Aktion ist er dabei. Igor sammelt Gelder ein, er ist Mädchen
für alles und er verdient dabei gut. Regelmäßig holt ihn sein
Vater mitten aus seiner Lehre in der KFZ-Werkstatt, um ihm wichtigere Aufgaben
zu übertragen. Auf diese Art lernt der Junge sukzessive, dass Flexibilität,
Erfindungsgeist und ein gewisser Mangel an Skrupeln in Zeiten des Neoliberalismus
gewinnbringender sind als eine „ordentliche Ausbildung“, mit der man dann doch
vermutlich arbeitslos sein wird ... (Eine Philosophie, nach der übrigens
genauso Igors Alter Ego Bruno [ebenso gespielt von Jérémie Renier]
im Dardennes-Film „L’enfant“[2005] leben und handeln wird).
Gezeigt wird uns das alles - übrigens
sehr unmittelbar und ohne eine viel erklärende Einleitung - von einer ruhelosen,
unwissenden, also auch nicht urteilenden, Kamera: getriebene Menschen aus der
rauen Vorstadt Seraing bei Lüttich, einer Arbeitergegend - als es dort
noch Arbeit gab. Weißer Trash also, der nun mit schwarzem Trash sein finanzielles
Auskommen findet. So authentisch die Kulissen, so organisch hinein passen die
Figuren, von denen „La Promesse“ erzählt. Mit ihrer Nähe zum Dokumentarfilm
folgten Jean-Pierre und Luc Dardenne im Jahr 1996 weniger der Dogma95-Mode als ihren eigenen Wurzeln. Denn
aus Seraing stammend, hatten die 1951 und 1954 geborenen Regisseure bereits
in den Achtzigern mehrere Dokumentarfilme über das Leben der dort ansässigen
Arbeiterschicht gedreht, bis zur Erkenntnis, dass die Wirklichkeit das Dokumentarische
manchmal scheut. Mit ihrer Inszenierung ortsüblicher Realitäten wechselten
sie also zum Spielfilm, der vorgefundene Sachverhalte, ökonomische, soziale,
menschliche Verhältnisse nachspielt, fiktionalisiert und dadurch vielleicht
dem, was die Seraing-Chronisten erklärtermaßen suchen, nämlich
der „dokumentarischen Wahrheit“, näher kommt, als der teilnehmend beobachtende
Dokumentarfilm. Jedenfalls atmen die Spielfilme der Dardennes so viel Erfahrung,
Kenntnis und Beobachtungsgabe, dass sie einerseits wie komprimiertere Dokumentationen
erscheinen, wie Dokus ohne observierende Dokumentaristen gewissermaßen,
in ihrer Form aber sind sie nichts weniger als reine klassische Dramen.
Ein Teil der Darsteller, in „La Promesse“
wie in den anderen Filmen der Dardennes, bestand aus nichtprofessionellen und
unbekannten Schauspielern, bei denen es darauf ankam, dass sie nicht mit ihren
Schauspieler-Standards spielten, sondern als vorbildlose, unverbrauchte, unbekannte
„Körper“ und „Gesichter“, wie die Regisseure es ausdrücken, agierten.
Tatsächlich sucht die Originalität des Films vor allem wegen der Differenziertheit
in der Figurenzeichnung ihresgleichen. Ein einfaches Feinbild fehlt hier, es
gibt keinen ausgemacht schlechten oder guten Menschen, aber trotzdem zeichnet
sich so etwas ab wie richtig und falsch, menschlich und unmenschlich (was, wie
im griechischen Drama aber auch wie im Entwicklungsroman, zu unterscheiden dem
jungen Protagonisten aufgetragen ist). Und es fehlt die Stimulation des Nervensystems
durch Szenenmusik, durch aufdringliche dramatische Effekte. Der entsetzlichste
Moment des Films, als, nachdem einer der Flüchtlinge kurz vor einer Polizei-Razzia
vom Baugerüst gefallen ist und nun schwer verletzt auf dem Boden liegt,
Igors Vater entscheidet, ihn lieber verbluten zu lassen, als seinen Betrieb
zu gefährden, wird mit eben jener dokumentarisch-nüchternen Genauigkeit
registriert, die jeder hollywoodesken Dramaturgie widerspricht:
Igor hat den vom Gerüst gefallenen
Afrikaner Amidou (Rasmane Ouedraogo)
zuerst gefunden. Er verspricht ihm, egal was passiert, sich um seine Frau und
sein Baby zu kümmern. Er versucht, das stark blutende Bein abzubinden,
aber sein Vater löst den Gürtel wieder. Roger geht auch nicht auf
den Vorschlag ein, Amidou als Autounfallopfer auszugeben und ins Krankenhaus
zu bringen. Bevor die Polizei kommt, legt er eine Plane über den Bewusstlosen,
darauf ein paar Bretter. Später wird Amidous Körper in ein Loch gelegt
und mit flüssigem Zement übergossen. Igor muss Roger dabei helfen.
Der Film zeigt Amidous Sterben nicht, man weiß nicht einmal, ob er zum
Zeitpunkt seiner Einzementierung wirklich schon tot ist oder ob er gar lebendig
begraben wird.
Die Sachlichkeit, mit der dieser Tötungsakt
gezeigt wird, beinahe als sei er eine weitere Tagesroutine,
aber macht das Unerträgliche erst wirklich unerträglich. Denn
der Zuschauer wird nicht, wie üblich, durch elegische Musik darin bestärkt,
dass Trauer oder Empörung angemessene Reaktionen wären, ihm wird kein
Affektmuster angeboten, er wird nicht an der Hand genommen und niemand anderes
erklärt ihm, was er sieht, bzw. zu sehen und wie er es zu interpretieren
habe. Die Zumutung dieser Sterbeszene liegt in der Abwesenheit eines Kommentars
und in der Übertragung der Beurteilung des Gesehehen auf den Zuschauer.
Und sie liegt in ihrer Übertragbarkeit
auf weiße Flecken in der europäischen Politik und Gesellschaft. Dass
es illegale Flüchtlinge bei uns gibt, weiß jeder, dass sie z.T. unter
schlimmen Bedingungen leben (oder sterben) müssen, auch, aber die wenigsten
wollen sich damit beschäftigen. So funktioniert der Tod des Afrikaners
also als eine Metapher für das buchstäbliche Wegsehen, für ein
Unter-den-Tisch-kehren, fürs Lebendig-Begrabensein illegaler Existenzen
und zugleich für den Wert eines Menschen, der allzu oft zusammen mit seiner
Kauf- und Arbeitskraft erlischt.
Igor erfährt die Regeln dieses Spiels
von ganz nah und von innen heraus. Er gehört zum mächtigen Teil des
Systems, das heißt, er ist der Kronprinz und wird vom Vater-König
in die Rituale des Trinkens, Tätowierens, Herrschens eingeführt. Dem
mal jähzornigen und mal herzlichen Roger kann Igors Mannwerdung nicht schnell
genug gehen, vielleicht wünscht er für sich auch nur einen Blutsbruder,
einen Verbündeten, denn auch sein Leben ist das eines einsamen Kämpfers.
Igor selbst möchte am Liebsten mit seinen Kinder-Freunden zum Go-Cart-Rennen,
doch dazu bleibt ihm keine Zeit.
Aus Igor wird vielleicht nicht das, was
Roger einen „Mann“ nennen würde, aber er lernt es, die Perspektive zu wechseln.
Im Moment, als er dem sterbenden Afrikaner verspricht, sich um seine Familie
zu kümmern, beginnt statt dessen so etwas
wie eine Menschwerdung. Die aber führt ihn wiederum zum Bruch mit einer
falschen Ideologie. Einer Ideologie, die, indem sie das Materielle höher
bewertet als das Leben, zwangsläufig und immer wieder über Leichen
geht.
„La Promesse“ (der übrigens natürlich
nichts mit Sean Penns Film „Das
Versprechen“ von 2001
zu tun hat) ist in Deutschland skandalöserweise immer noch nicht auf DVD
erschienen, aber in einer Box gemeinsam mit dem Gewinner der Goldenen Palme
„Rosetta“ als UK-Import (über amazon) beziehbar.
Falsch machen kann man mit dem Kauf dieser Box rein gar nichts! Doch wann gibt
es endlich deutsche Editionen beider Filme?
Andreas Thomas
La
Promesse
LA
PROMESSE
Das
Versprechen (1996)
Belgien
/ Frankreich / Luxemburg / Tunesien - 1996 - 93 min. - Verleih: Peripher - Erstaufführung:
1997 Kino/25.11.1998 WDR - Produktionsfirma: Les Films du Fleuve/RTBF/Dérives/Touza
Prod./Samsa Film/ERTT - Produktion: Véronique Marit, Hassen Daldoul
Regie:
Jean-Pierre Dardenne, Luc Dardenne
Buch:
Jean-Pierre Dardenne, Luc Dardenne, Léon Michaux, Alphonso Badolo
Kamera:
Alain Marcoen, Benoît Dervaux
Musik:
Jean-Marie Billy, Denis M'Punga
Schnitt:
Marie-Hélène Dozo
Darsteller:
Jérémie
Renier (Igor)
Olivier
Gourmet (Roger)
Assita Ouédraogo
(Assita)
Frédéric
Bodson (Garagist)
Hachemi Haddad
(Nabil)
Florian Delain
(Riri)
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