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Videodrome
Die
Plotidee, einen Film über ein Videoband zu machen, dessen Betrachtung ernste,
ja sogar tödliche Wirkung hat, findet sich nicht erst seit dem asiatischen
Kultfilm "The Ring" in der Filmwelt. Bereits 1983 schuf David Cronenberg
mit Videodrome
einen höchst verstörenden Beitrag zu diesem Thema, der heute, 20 Jahre
später, aktueller denn je ist.
Max
Renn (James Woods) hat sich in der hart umkämpften Welt der Kabelprogramme
in den USA mit seinem kleinen Sender "Civic TV" eine Marktlücke
geschaffen. Auffallen um jeden Preis ist sein Motto, um so hohe Einschaltquoten
zu erreichen. Von Softpornographie bis hin zu Gewaltstreifen reicht sein Programm.
Nun hat mit der riesigen Satellitenschüssel auf dem Dach des Senders sein
Mitarbeiter Harlan (Peter Dvorsky) ein mysteriöses Videosignal aufgezeichnet:
Es stammt offenbar von einem Piratensender und firmiert unter dem Namen Videodrome.
Gezeigt wird immer wieder derselbe, kahle Raum, in dem offenbar Folterungen
und sadomasochistische "Performances" stattfinden.
Renn
ist von den Tapes in mieser Qualität ungeheuer fasziniert. Die Gewalt auf
den Videos wirkt so überzeugend, so echt. Auch Renns Freundin Nicky (Deborah
Harry) gerät in den Bann der Videos. Sie will am Ausstrahlungsort des Signals,
Pittsburgh, recherchieren, wer hinter Videodrome steckt. Für Renn spitzt
sich die Lage dramatisch zu: Die Videos lösen bei ihm bizarre Halluzinationen
aus - mehrfach scheint sein Fernseher und das Videoband lebendig zu werden.
Renn sucht bei dem verschrobenen Wissenschaftler Brian O'Blivion (Jack Creley)
nach Rat, der mit der Umwelt nur über den Fernseher kommuniziert und eine
"Armenmission" für Menschen betreibt, die nicht in der Lage sind,
ihre tägliche Dosis Fernsehen zu bekommen. Gemeinsam mit O'Blivions Tochter
Bianca (Sonja Smits) kommt Renn einer monströsen Verschwörung auf
die Schliche.
Videodrome
ist ein Film aus dem Œuvre Cronenbergs, der sehr zwiespältig bewertet wurde.
Es wurde mitunter moniert, dass die medienkritische Botschaft des Films deshalb
unterginge, weil Cronenberg mit expliziter und abstoßender Gewaltdarstellung,
insbesondere im Finale, genau den Voyeurismus bediene, den er vorgeblich kritisiert.
Doch handelt es sich bei der Kritik an Gewaltdarstellung im Fernsehen tatsächlich
um den Kernpunkt des Films? Viel wichtiger erscheinen hier doch zwei andere
Themenkomplexe.
Zum
einen gibt mit Videodrome
Cronenberg einen äußerst scharfsinnigen Kommentar auf das Eindringen
des Fernsehens in unsere Realitätswahrnehmung ab - unabhängig von
der Frage nach Gewalt und Sex im Medium. "Fernsehen ist Realität und
Realität ist nichts ohne das Fernsehen" - so sagt Brian O'Blivion
an einer Stelle. Seiner Meinung nach ist das Fernsehen schon längst zu
einer Verlängerung unserer Sinneswahrnehmung geworden: Die Kathodenstrahlröhre
ist unser drittes Auge geworden und das Bild, das über die Mattscheibe
flimmert wird zur Wahrheit. In Zeiten, in denen die Medienmaschinerie dem Zuschauer
erfolgreich vorgaukelt, dass jeder Mensch wesentlich mehr erreichen kann, als
nur die berühmten 15 Minuten Ruhm und Fernsehsender mit Mottos wie "Be
a star!" werben, kann dieser Medienkommentar schon beinahe als prophetisch
bezeichnet werden.
Noch
radikaler stellt sich der zweite Themenkomplex dar, in dem sich Cronenberg mit
einem seiner Lieblingsthemen beschäftigt, der Veränderung und Mutation
des menschlichen Körpers. Im Laufe der Handlung wächst Renn ein neues
Organ auf dem Bauch, das starke Ähnlichkeiten mit einer Vagina hat. Hier
führt er nicht nur die lebendig gewordenen Videobänder ein, auch eine
Waffe (mit der Renn später ganz und gar verwächst) verschwindet in
seiner Bauchhöhle. In Anlehnung an Freud könnte man hier von der radikalen
Visualisierung eines "Vulvaneides" sprechen. Der Mann, der nicht fähig
ist, selber neues Leben zu erschaffen befruchtet sich selbst mit der Technologie
(Videoband) und der Macht (Pistole) um sich so in ein neues Lebewesen zu verwandeln.
Renns Ausspruch "Es lebe das neue Fleisch!" ist zu einem zentralen
Punkt in Cronenbergs Filmschaffen geworden, der in Filmen wie "Die Fliege"
oder "eXistenZ"
in Variationen aufgegriffen wird. Die Hypothese, dass der Mensch seine eigene
radikale Transformation durch die "Selbstbefruchtung" mit Technologie
erreichen wird, liegt ganz auf der Linie der Forderungen von Wissenschaftlern
wie Billy Joy, die die Verbindung von Mensch und Maschine zur Sicherung des
Überlebens der gesamten Art predigen. Mit Videodrome
hat David Cronenberg einen ebenso spektakulären wie zutiefst verstörenden
filmischen Kommentar zu dieser Forderung geschaffen. Schon allein aufgrund dieser
Tatsache gehört dem Streifen ein Platz unter den Klassikern des intelligenten
Horror/Science-Fiction Films - auch wenn die eigentliche Handlung das eine oder
andere Plotloch aufweist.
NOTE:
1-
Daniel
Möltner
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Videodrome
Originaltitel: Videodrome
USA, 1983, 83/88 min
Regie:
David
Cronenberg
Drehbuch:
David
Cronenberg
Kamera:
Mark
Irwin
Musik:
Howard Shore
Darsteller:
James Woods - Max Renn
Sonja Smits - Bianca O'Blivion
Deborah Harry - Nicky Brand
Peter
Dvorsky - Harlan
Leslie Carlson - Barry Convex
Jack Creley - Brian O'Blivion
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