Von diesem Film möchte ich abraten. Aus folgenden Gründen:
Er hat keine tragende Spannungskurve. Er ist schlampig geschnitten. Die Hauptfiguren sind zu
oberflächlich strukturiert, so dass selbst James Woods und Kathleen Turner unbeholfen aussehen,
aber vor allem ist er einfach nicht plausibel.
In „The Virgin Suicides“ wählen fünf ätherisch pubertierende Schwestern den Freitod, ohne
dass irgend jemand weiß, warum. Nicht deren Eltern, nicht die fünf pubertierenden Jungs vom
Haus gegenüber und auch nicht der Zuschauer. Aus gerade diesem Umstand, diesem dauerhaften
Geheimnis möchte Regisseurin Sofia Coppola einen Mythos kreieren. Den Mythos jungfräulicher
Weiblichkeit, der in diesem Film untrennbar an einen anderen Mythos geknüpft ist, den der
angeblich verträumten siebziger Jahre.
So werden wir konsequent zugelullt mit Dominantseptakkorden und darauf basierenden
Farbgebungen, alles, nur um uns weiszumachen, dass die Siebziger so wie die Pubertät und ihre
Träume, verrückt, verträumt und verzaubert waren, und dass sie nun vorbei sind. Um etwas zu
einem Mythos stilisieren zu können, muss man vorab zwei Dinge tun: Man muss es verklären, und
dann muss man es sterben lassen. Die Verklärung der dauernd als „schönen fünf Töchter“
bezeichneten Mädchen geschieht durch Übernahme des Blickwinkels der benachbarten jungen
Männlichkeit, von der sich keiner wundert, als die erste sich freiwillig auf dem Gartenzaun
aufspießt; viel zu verliebt sind die Knaben, um eine persönliche Problemeskalation als Ursache zu
vermuten. Das ist kein Fehler des Films, denn in dem Alter nicht ungewöhnlich, aber problematisch
ist, dass der Plot sich genauso in die Girls verliebt, sie genauso anhimmelt,- und ihnen dadurch ihre
Menschlichkeit nimmt.
So werden diese Elfen als unerreichbar und unbeeinflußbar durch eine Außenwelt gezeigt, die
angeblich streng katholisch und puritanisch, doch nur ein unentschlossenes, durchschnittlich liebes
Elternpaar beherbergt, das sich manchmal in seinen Erziehungsmethoden vergreift, etwa, wenn es
den Töchtern dauerhaft den Schulbesuch untersagt, weil sie dort Kontakt mit Jungs haben
könnten,- unrealistisch, denn auch in den USA hätte man den Schulbesuch erzwungen.
Der Film ist voller logischer Brüche, die er sich eben nicht bemüht in ein großes Geheimnis
münden zu lassen. Deshalb erscheint einem „The Virgin Suicides“ eher als ein großer Bluff. Wir
erfahren nichts über die wahren Befindlichkeiten der Mädchen, weil selbst deren sichtbare
Lebensbedingungen keiner Überprüfung auf Schlüssigkeit standhalten. Die Eltern changieren
zwischen Klischeecharakteren und deren Karikaturen, die Töchter lächeln geheimnisvoll bis zum
ach so leicht beschlossenen und durchgeführten Selbstmord, und weder die Jungs noch wir
kommen in die Gnade irgend einer hinter all dem Zauber vermutbaren tieferen Erkenntnis, sprich zu
einer Überwindung einer pubertären Sichtweise, weil dieser Film genau das Gegenteil will, er will
uns nicht nur in Unwissenheit belassen, er will uns sogar vormachen, es gebe keine diesseitigen
Ursachen für ein jungfräuliches Leiden an der Welt, wenn er nicht gar schon das Leiden selbst
bagatellisiert, das zum Todeswunsch zu führen imstande ist. Er zeigt uns keine Menschen, sondern
manifestiert das Klischee der weiblichen Unberührbarkeit und Unergründlichkeit, er zeigt uns keine
siebziger Jahre, sondern einen verkitschten Traum davon, und er klärt nichts auf, sondern verklebt
unsere Augen. Das macht ihn reaktionär und trivial wie einen Groschenroman. Wie gesagt, ich rate
ab.
Zu diesem Film gibt es im filmzentrale-Archiv mehrere Kritiken.
The Virgin Suicides
Sofia Coppola, USA 1999