zur Startseite
zum Archiv
The Virgin Suicides
Siebziger-Jahre-Interieurs findet man gegenwärtig fast in jedem
dritten Film, die fotografische Ästhetik der Siebziger wurde
allerdings bis jetzt aus dem Kino weitgehend rausgehalten. Dass sie
von jemandem wiedereingeführt wird, der sich nur dunkel an jene Zeit
erinnern kann, liegt auf der Hand. Wenn Sofie Coppola Effekte wie
Weichzeichner, Sternchenreflexionen und von der Sonne gezauberte
Blenden-Sechsecke auf die Leinwand bringt, und das zu einem
Soundtrack der französischen Combo Air, die sich musikalisch an der
selben Zeit orientiert, so ist das aber nicht nur ein Zugeständnis an
den modischen Geschmack der jungen Leute von heute. Die Geschichte
ihres Films "The Virgin Suicides" wird aus der Erinnerung erzählt,
der Erinnerung an eine Zeit, als alles noch irgendwie bedeutender,
geheimnisvoller, leuchtender war - die Zeit der Pubertät. Die
Erinnerung verklärt, und Kitsch ist nun mal ihr beliebtestes
Stilmittel, jeder krame einmal seine eigenen Erinnerungen an die
erste Liebe hervor.
Natürlich geht es auch bei Coppola um die erste Liebe, sie bleibt
allerdings für alle Beteiligten unerfüllt, und gerade das macht ihre
unheimliche Größe aus. In irgendeinem amerikanischen Vorort hat das
biedere christliche Ehepaar Lisbon (Kathleen Turner und James Woods)
unerklärlicherweise fünf wunderschöne Töchter zur Welt gebracht. Was
so schön ist, muss natürlich besonders beschützt werden, aber was so
schön und so unerreichbar ist, wird auch am heftigsten begehrt. Der
Erzähler ist einer von fünf Jungs aus der Nachbarschaft, die die
Schwestern täglich gesehen, aber kaum mit ihnen gesprochen haben. Er
zählt einfach alles auf, was er über die Mädchen je erfahren hat, bis
sich erst Cecilia, die jüngste, und schließlich die restlichen vier -
kollektiv - das Leben genommen haben.
Der Film erzählt eine Geschichte zu den Selbstmorden, gibt aber
keine Erklärung. Dabei erweist sich Coppola als eine wissende
Berichterstatterin der frühen Jugend, Kirsten Dunst, die als eine
Mischung aus Jodie Foster und Bernadette Hengst die verführerische
Lux Lisbon spielt, tut ein übriges. Kitsch ist nie bloßes Dekor,
sondern immer bewusst eingesetzt zur Inszenierung jugendlicher
Träumereien bzw. erwachsener Erinnerung an sie. Es passiert viel
Schlimmes, und dennoch kommt der Film ganz ohne Bösewichte aus. Das
Böse liegt als Ahnung im Soundtrack und immer in der unergründlichen
Melancholie von Kirsten Dunsts Augen.
Aber es sind auch nicht die Selbstmorde, die die Geschichte
ausmachen. Vielmehr scheint es die Phantasie des Autors gewesen zu
sein (es handelt sich um eine Verfilmung des gleichnamigen Buches von
Jeffrey Eugenides), seine Jugendlieben einzusperren, auf dass sie nie
ihre Unschuld verlieren. Und da sie auch nicht zu schrulligen
Jungfern mutieren sollen, lässt er sie den Freitod wählen, welcher
die Erinnerung an sie nur noch wertvoller macht. "Verlorene Jugend"
ist deshalb ein irreführender deutscher Verleihtitel. Verloren ist
nur die Jugend des Erzählers. Und er bewahrt sich und dem Publikum
die Erinnerung an diesen seltsamen Lebensabschnitt im Bild der fünf
Schwestern, die für immer fremd und unverstehbar bleiben werden.
Dirk Schneider
Diese Kritik ist zuerst erschienen in:
Zu diesem Film gibt es im filmzentrale-Archiv mehrere Kritiken.
The Virgin Suicides
Sofia Coppola, USA 1999
zur Startseite
zum Archiv