zur
startseite
zum
archiv
Visitors
Eine
Reise ins Über-Ich
Das
Meer als Setting für Thriller-Stoffe ist beliebt, denn die Gefahr für
die Protagonisten kann aus nahezu jeder Richtung kommen. Von oben als Sturm
(The
Storm),
von unten als großer Fisch (Jaws),
von einem andern Schiff als Wahnsinn (Dead
Calm)
und seit Richard Franklins Visitors
nun auch von Innen als verdrängte Erinnerung.
Die
mittzwanzigjährige Georgina Perry hat sich in den Kopf gesetzt, allein
mit einem Segelboot die Welt zu umrunden. Sie startet in Australien und will
dort nach höchstens 140 Tagen auch wieder ankommen. Mit dabei ist ihre
Katze. Zurück lässt sie ihren Verlobten und ihren kranken Vater. Der
größte Teil der Reise verläuft ruhig, bis sie wenige hundert
Seemeilen vor dem Ziel Nachts Schritte auf Deck hört. Von da ab bekommt
Georgina immer häufiger Besuch von Fremden und Bekannten, die auf genauso
mysteriöse Weise verschwinden, wie sie aufgetaucht sind. Die Bedrohung
und Angst schlägt sich auf ihre Stimmung. Doch ihr Ehrgeiz ist größer
als ihre Furcht und selbst auf Drängen ihres Verlobten bricht sie die Reise
nicht ab - nicht einmal, als sie erfährt, dass ihr Vater gestorben ist.
Indes werden die Visionen und die damit verbundenen Bedrohungen immer intensiver.
Nach den Übergriffen - vor allem durch ihre verstorbene Mutter - findet
sie sich häufig in einem desolaten Zustand wieder. Auch das Mitglied einer
Piratenbande, das sie mit Gewalt daran gehindert hat, ihr Boot zu betreten und
das dabei vermutlich sein Leben verloren hat, fordert nun seinen Tribut aus
dem Jenseits.
Visitors
erzählt eine Geschichte von verdrängten Ängsten, Erinnerungen
und Schuldgefühlen. Alle Visionen Georginas haben ihren Ursprung der Vergangenheit:
Ihr verstorbener Vater und ihre Mutter, die ihr vorgeworfen hat, sie habe sie
verlassen (letztere nimmt dabei die zentrale Rolle ein). Aber auch Randfiguren,
wie der getötete (?) Pirat setzen der jungen Frau mental und physisch zu.
Und all diese Visionen haben ihren Ursprung im "Untergrund": Die Phantome
kommen nachts aus dem Wasser (oder auch aus dem Tank der chemischen Toilette),
arbeiten sich nach oben und präsentieren sich - nicht selten schockhaft
- der schlafenden Georgina. Für den Zuschauer werden diese Figuren vor
allem in rhythmisch in den Film eingestreute Rückblicke motiviert. Gezeigt
wird Georgina beim Streit mit ihrer Mutter, die sie von der Seereise abhalten
will, sogar mit Suizid-Drohungen, und die von Georgina schließlich in
ein Heim gesteckt wird, wo sie sich umbringt. Oder die Dispute zwischen ihrem
Verlobten, dem Georgina unterstellt, er habe irgendein Interesse am Scheitern
ihrer Weltumsegelung. Und schließlich die fürsorgliche und warme
Beziehung zum Vater, der kurz vor der Heimkehr ins Krankenhaus kommt und stirbt,
was Georgina dennoch nicht zum Abbruch der Reise bewegt. Von all diesen Konflikten
wird sie des Nachts heimgesucht.
Das
Motiv der psychologisierten Seereise ist naheliegend und des öfteren zum
Einsatz gekommen. Spielberg hat bereits 1975 in Jaws
die Jagd auf den weißen Hai als Initiationsgeschichte erzählt. Und
auch Visitors
bedient sich dieser Visualisierung mehr als offensichtlich. Hier ist es jedoch
nicht die Angst vor der Rationalität - quasi die vollständige Herausbildung
des Über-Ich - sondern im Gegenteil dessen Überfunktion in Form des
permanenten schlechten Gewissens, das die Protagonistin plagt. Visitors
verlässt daher die manifeste Erzählung recht schnell und verliert
sich in der psychologischen Erzählung. Darunter leidet die Erzählung
(des eigentlich Thriller-erfahrenen Drehbuchautoren Everett de Ross) zusehends,
denn der gesamte Thrill und die Spannung werden ständig durch Retrospektiven
durchbrochen und verlieren damit ihre Eigenständigkeit. Als zum Ende hin
dann auch noch ein ganz realer Grund für die Visionen in die Erzählung
eingeführt wird, der - ohne hier zu viel zu verraten - noch gruseliger
als die nächtlichen Besuche schon fast für einen eigenen Film gereicht
hätte - durchbricht der Film die bis dahin wenigstens konsequente psychologische
Erzählung und verwirrt vollends.
Visitors
verspielt seine Chancen, ein bemerkenswerter Film sein zu können durch
die Unentschlossenheit seiner Erzählstrategie. Dabei wären das Ambiente
und auch das Schauspiel prädestiniert für eine wirklich gruselige
und trotzdem tiefgründige, wenn auch chiffrierte Erzählung gewesen.
Sowohl die Kamera als auch der Soundtrack stützen die horriblen Elemente
des Films bestens, können Visitors
aber letzthin nicht vor seinem Scheitern retten.
Stefan
Höltgen
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
Visitors
(Australien
2003)
Regie:
Richard Franklin
Buch:
Everett de Roche, Kamera: Ellery Ryan, Musik: Nerida Tyson-Chew
Darsteller:
Radha Mitchell, Ray Barrett, Phil Ceberano u. a.
Verleih:
Beyond Films, Länge: 100 Minuten
zur
startseite
zum
archiv