Die Vögel
Vogel-Horror ohne digitale Effekte
Wozu braucht man Ungeheuer, Monster, Fantasy-Gestalten, wenn auch ganz
normale Vögel ihr Unwesen treiben können? Genau dies dachte Hitchcock
wohl bei einem seiner berühmtesten Filme, für dessen Realisierung ihm
nicht einmal eine ausgefeilte Computertechnik oder digitale Möglichkeiten
zur Verfügung standen. Und vor allem: The Master of Suspense lässt sein
Publikum völlig im unklaren darüber, was die wild gewordenen Vogelbestien
eigentlich so aggressiv werden ließ.
Inhalt
Melanie Daniels (Tippi Hedren), eine Dame der besseren Gesellschaft mit
leicht snobistischem Einschlag, lernt in einer Vogelhandlung in San
Francisco den ihr gegenüber sarkastisch auftretenden Rechtsanwalt Mitch
Brenner (Rod Taylor) kennen. Melanie ist trotzdem angetan von Mitch und
beschließt, ihn, seine Mutter Lydia (Jessica Tandy) und seine Schwester
Cathy (Veronica Cartwright) in Bodega Bay zu besuchen, wo die Brenners
ihre Wochenenden verbringen. Als Melanie dort ankommt, wird sie von einer
Möwe angegriffen. Sie bleibt trotzdem und findet Quartier bei der
Lehrerin Annie Hayworth (Suzanne Pleshette), Mitchs Ex-Freundin, die
Melanie vor dessen Mutter warnt, die eine herrschsüchtige Frau sei.
Auf Cathys Geburtstag am nächsten Tag werden die Kinder plötzlich auch
von Möwen angegriffen. Durch den Kamin des Hauses der Brenners dringen
Spatzen. Mrs. Brenner findet einen toten Farmer mit ausgehackten Augen.
Und die Kinder in der Schule beobachten, wie sich Raben zusammenrotten,
die sie nach Unterrichtende angreifen.
Beim Versuch, Cathys Leben vor den aggressiven Vögeln zu retten, kommt
Annie ums Leben. Das Haus der Brenners, die sich verbarrikadieren, wird
zur Zielscheibe der Vögel. Aber auch in der übrigen Stadt traut sich
niemand mehr auf die Straße. Einige Leute geben Melanie die Schuld an dem
Horror, weil sie zwei Cathy Liebesvögel zum Geburtstag geschenkt hatte,
die das Unglück angeblich auslösten ...
Inszenierung
»Die Vögel« war nicht die erste Verfilmung nach einer Vorlage von Daphne
du Maurier. Bereits 1940 hatte Hitchcock in »Rebecca« einen Roman der
Schriftstellerin in Szene gesetzt.
»The Birds« fällt im Gesamtwerk Hitchcocks sichtlich aus dem Rahmen. Der
Film liefert nicht nur keine Erklärung für das völlig unwahrscheinliche
Verhalten der Vögel aller Arten, diese Vögel stehen auch im Mittelpunkt
des Geschehens, nicht die menschlichen Figuren. Zudem handelt es sich
nicht um Raubvögel, sondern um Raben, Spatzen, Möwen, Finken, also
harmlose, ungefährliche Vertreter ihrer Art.
Der Film ist reine Phantasie, pure Fiktion und unterscheidet sich daher
von allen anderen Streifen Hitchcocks. Es ist viel darüber spekuliert
worden, welcher Sinn sich hinter dem Geschehen verstecken könnte.
Hitchcock selbst äußerte sich einmal, man könne hinter Schock und
Spannung eine »packende Deutung« erkennen, wenn man genau hinsehe. Im
Gespräch mit Truffaut allerdings bestätigte er wiederum, dass es sich um
ein Produkt der Phantasie handle. Andere sahen in dem Film die Rache der
Natur, der Vögel, an den Menschen, die sie fangen, töten, essen,
einsperren. Hitchcock selbst äußerte sich in dieser Hinsicht dahingehend,
das Verhalten der Vögel habe fast den Anschein von Rache. Das »Lexikon
des internationalen Films« vermutet in »The Birds« gar »eine
hintergründige Vision von Weltuntergangsstimmung«. Ich zweifle an solchen
Absichten, zumal sich Hitchcock zu politischen Themen, welcher Art auch
immer, in seinen Filmen nie definitiv geäußert hatte. (Selbst »Topas«
[1969], dem das Kuba Fidel Castros als Hintergrund dient, enthielt nicht
unbedingt eine politische Aussage.)
Viel interessanter als diese Spekulationen, denen man sich anschließen
kann oder nicht, ist die Art und Weise der Inszenierung selbst. Hitchcock
hält sich streng an die Form des klassischen Dramas mit seiner Einheit
von Ort (Bodega Bay), Zeit (das Drama entwickelt sich an zwei
zusammenhängenden Tagen) und Handlung (keine Nebenhandlungen, es geht
ausschließlich um den Angriff der Vögel und die Reaktion der Menschen und
die zunehmende Aggression der Tiere; auch die Liebesgeschichte ist
letztlich unwesentlich).
Das schafft eine Situation der Unausweichlichkeit, eine schicksalhafte
Tragödie, der sich niemand entziehen kann, unterstützt durch Symbolik.
Der Film beginnt mit der Szene in der Vogelhandlung. Mitch Brenner fängt
Kanarienvögel ein und sperrt sie wieder in den Käfig, mit der leicht
spitzen Bemerkung: »Ich tue sie wieder in ihren goldenen Käfig, Melanie
Daniels.« Melanie ist reich und verwöhnt, arrogant. Später ist sie es,
die in einen Käfig gesperrt wird. Sie sucht in einer Telefonzelle Schutz
vor den Angreifern. Doch das ist kein goldener, sondern ein
Unglückskäfig. Ebenso symbolisch die Szene mit Mitch Mutter, die nach
einem Angriff der durch den Kamin eingedrungenen Spatzen zerbrochenes
Geschirr aufsammelt, alles gefilmt aus der Sicht Melanies. Als sie zu dem
Haus des Farmers fährt, um den zu besuchen, sieht sie an der Wand nur
noch die Henkel von Tassen hängen und weiß sofort, was passiert ist – und
mit ihr der Zuschauer.
Das Publikum wird sozusagen »wellenartig« auf die zunehmende
Angriffslust der Vögel eingestimmt, unterbrochen von kleinen Ruhepausen.
Man weiß zwar, dass dieses aggressive Verhalten und auch die Zahl der
Vögel ständig zunimmt – das Tragische des Geschehens nimmt seinen Lauf –,
aber was als nächstes wirklich passiert, weiß man nicht. Besonders
drastisch sind die Szenen, in denen sich das Drohende langsam ankündigt.
So, als die Schüler beobachten, wie sich die Raben versammeln, oder auch
die Schlussszene, als Mitch, seine Mutter und die schwer angeschlagene
und unter Schock stehende Melanie das Haus verlassen. Die Vögel, vor
allem Raben und Möwen sitzen überall herum; man vernimmt leise Geräusche,
weiß nicht einmal so genau, ob das, was man hört, real oder nur
Einbildung ist – als ob die Vögel sagen wollten: »Noch ist es nicht so
weit, aber wir bereiten uns gerade vor. Gleich greifen wir an ...«
Ein Vertreter des Tierschutzverbandes war übrigens bei den Dreharbeiten
anwesend und überwachte die äußerst schwierigen Aufnahmen. Die Vögel
mussten für verschiedene Szenen dressiert werden, z.B. in einer Szene,
als ein Vogel einen Tankwart angriff. Die Möwe wurde so dressiert, dass
sie von einem bestimmten Punkt aus direkt über den Kopf eines Stuntman
hinweg zu einem Zielpunkt flog. Der auf Stürze spezialisiert Stuntman
übertrieb seine Reaktion auf den »Angriff«, so dass der Eindruck entstand, die Möwe habe ihn verletzt. Diese
Szene wird aus der Sicht Melanie Daniels gezeigt, in einer Phase, als
Hitchcock kurz zuvor dem Zuschauer eine Pause gegönnt hatte, die
Café-Szene, in der eine Ornithologin erklärt, es sei völlig unsinnig, was
über aggressive Vögel erzählt werde, eine Szene, in der ein Betrunkener auftritt, gelacht wird. Dann wird der
Tankwart angegriffen.
»The Birds« enthält keine Musik. Bernard Herrmann, der schon seit »Ärger
mit Harry« (1955) die Musik für Hitchcocks Filme komponiert hatte, kam
die Aufgabe zu, ausschließlich Vogelgeräusche in eine »Partitur«
umzusetzen bzw. den Ton des Films zu überwachen. Dabei eingesetzt wurde
u.a. das sog. »Trautonium« von Oskar Salas, eine Art »Synthesizer«, hier
eingesetzt für Flügelschlagen, Kreischen und andere Geräusche. So
entstand eine sehr spezielle Art von »musikalischem« Arrangement ohne
jegliche »normale« Musik.
Anders als in sonstigen Filmen Hitchcocks kam den Schauspielern in »The
Birds« eine extrem untergeordnete Bedeutung zu. Die »kühle Blonde« wird
hier von Tippi Hedren (übrigens die Mutter von Melanie Griffith)
verkörpert. Doch sie und Rod Taylor glänzen weniger durch ausgefallene
schauspielerische Leistungen, denn durch die Darstellung aufgescheuchter,
verschreckter, verzweifelter, angegriffener Opfer des Vogel-Horrors.
Fazit
Ein Film, der aus der Art schlägt und auch nicht. Denn trotz aller
Differenzen zum Suspense anderer Klassiker lieferte Hitchcock hier – wenn
man so will – eine Art »Mutterfilm« für Horrorfilme à la »Entsetzen ohne
realen Hintergrund« – und das »nur« mit stinknormalen Vögeln und ohne
digitale Effekte.
Ulrich Behrens, 2002
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Die Vögel
(The Birds)
USA 1963, 119 Minuten
Regie: Alfred Hitchcock
Drehbuch: Evan Hunter, nach dem Roman von Daphne du Maurier
Musik (Geräuscheffekte): Bernard Herrmann
Kamera: Robert Burks
Schnitt: George Tomasini
Spezialeffekte: Ub Iwerks
Hauptdarsteller: Tippi Hedren (Melanie Daniels), Rod Taylor (Mitch
Brenner), Jessica Tandy (Lydia Brenner), Suzanne Pleshette (Annie
Hayworth), Veronica Cartwright (Cathy Brenner), Ethel Griffies (Mrs.
Bundy), Charles McGraw (Sebastian Sholes), Ruth McDevitt (Mrs. Mac
Gruder), Lonny Chapman (Deke Carter), Joe Mantell (Vertreter), Doodles
Weaver (Fischer), Malcolm Atterbury (Deputy Al Malone), John McGovern
(Postbote)
Internet Movie Database: http://us.imdb.com/Title0056869