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v. o.
Mit Buñuel am U-Bahnklo
William E. Jones denkt in v.o. Porno- und Arthouse-Kino zusammen zu einer schönen,
traurigen Elegie auf verschüttete Sehnsüchte und verlassene Parkplätze.
In einer menschenleeren U-Bahn-Station findet eine Verführung
statt: Zwei Männer tauschen Blicke aus, der eine schüchtern bittend,
der andere anzüglich grinsend. „Lass mich zu dir hinein, bevor es zu spät
ist!“ – „Deine Sehnsucht bedeutet mir nichts. Die Erscheinung vergeht. Ich suche
die Gesetze.“ Der Dialog passt intuitiv zur Szene, und dann doch wieder nicht.
Kein Wunder: Während die Bilder aus einem New Yorker Schwulenporno der
goldenen Prä-AIDS-Ära stammen, ist die kapriziöse Tonspur Werner
Schroeters Der Tod der Maria Malibran (1971) entliehen, einer besonders schwülen, schönen
Kunstblüte des Neuen Deutschen Films. Auf dieselbe Weise werden im Laufe
des einstündigen Video-Essays auch Tonschnipsel und Dialogpassagen aus
Filmen von Luis Buñuel, Manoel de Oliveira oder Aki Kaurismäki über
Bilder von knackigen Kerlen in Jeans und heimlichen Liebesspielen auf Männertoiletten
gelegt.
v.o. heißt die aktuelle Arbeit des US-amerikanischen
Videokünstlers William E. Jones kurz und kryptisch, wie voice-over oder auch version originale. Und was hier in der Konfrontation von US-amerikanischen Gay Pornos
der 70er und 80er mit europäischem Arthouse-Kino entsteht, ist ähnlich
vieldeutig und flüchtig wie dieses Kürzel: Eine düsterromantische,
todesgeile Bricolage der erotischen Anziehungen, eine fein modulierte Universalpoesie
der filmsprachlichen Extreme von Sex- und Kunstkino.
Und trotzdem wollen alle verblüffenden Übereinstimmungen
zwischen schäbigem Gebrauchsfilm und brüchiger Avantgarde nie darüber
hinwegtäuschen, dass hier zwei sehr unterschiedliche Zeichensysteme vom
Begehren berichten. Kunst-Ton und Porno-Bild erweitern, kommentieren, verschieben
einander, aber sie verschmelzen nicht. Dafür hat v.o. ein zu genaues Auge und Ohr für die Eigenarten
seiner unterschiedlichen Materialien, für das ungelenke Spiel seiner schlaksigen
Lederjacken-Boys und die schwierige Poesie seiner modernistischen Klangflächen.
Oft wurde v.o. mit der brillanten Video-Stadtsymphonie Los Angeles Plays Itself (2003)
von Jones’ Filmschullehrer und -kollegen Thom Andersen verglichen, und was die
beiden Filme teilen, ist ein leidenschaftliches Interesse für den dokumentarischen
Wert fiktiver Filme, für die Stadt-, Welt- und Zeitbilder, die in ihnen
aufbewahrt sind. In dieser Hinsicht erweist sich Jones’ gering budgetiertes
Porno-Material als erstaunliche Fundgrube: New York City vor seiner Säuberung
durch Rudy Giuliani erscheint hier als Inferno aus endlosen Rotlicht-Straßenzügen
à la Taxi
Driver und voll geschmierten, weitgehend
unbewachten U-Bahn-Gangsystemen. Und wenn in Los Angeles zwei fesche junge Männer
Augenkontakt aufbauen (um gleich umstandslos zum Blowjob überzugehen),
dann auf dem Parkplatz einer aufgelassenen Lagerhalle, inmitten jenem endlos
zersiedelten, unphotogenen Flachland, aus dem die Filmmetropole nach wie vor
zum Großteil besteht.
Im Brotberuf kompiliert Jones altes Pornomaterial für
den DVD-Vertrieb des Larry Flynt-Seximperiums. Und auch v.o. ist, vor allem anderen, ein Werk der Bewahrung und Erinnerung:
Die heruntergekommenen öffentlichen Räume, in denen hier ständig
herumgefummelt wird, – leere Parkflächen, unbewachte U-Bahn-Gänge,
öffentliche Toiletten – sind nicht bloß unterprivilegierte, verdrängte
Bildmotive der „normalen“ Filmgeschichte. Sie sind Erinnerungsstätten einer
anti-bürgerlichen schwulen Gegenkultur, die seit Herstellung der Filme
längst zermahlen wurde: von Stadtsäuberungs-Programmen, von der AIDS-Krise
der 80er und der repressiv toleranten Gesellschaftspolitik der 90er.
Ein anderes Gespenst der Vergangenheit, das durch v.o. spukt, ist das Kino selbst, zumal jene cinephile Filmklubkultur,
der die meisten der gesampelten Tonquellen zugehören: Filme, die man zum
Großteil gar nicht so leicht zu sehen kriegt, die ebenfalls in hohem Maße
marginalisiert und oft ebenfalls vehemente gesellschaftspolitische Einsprüche
sind. Insofern ist Skandalliterat Jean Genet, von dem ein BBC-Interview namens
Saint Genet in die Tonspur eingewoben ist, tatsächlich der
Schutzheilige dieses Films: In seinem wilden Leben und Werk treffen sich Schwulenpornographie,
politische Opposition und künstlerische Avantgarde schließlich doch
noch.
Aber so wie alles andere hier sind auch Genets autobiographische
Erzählungen nur mehr Rückblicke auf lange Vergangenes: Jones’ Interesse
ist strikt archäologisch, und demnach ist es nur folgerichtig, dass die
Sexszenen selbst konsequent ausgespart bleiben. (Das Äußerste, was
man sieht, sind meist große Beulen in engen Jeans.) In v.o. gibt es nur ein Davor und ein Danach, Sehnsucht und
– schließlich am Ende des Videos – postkoitalen Katzenjammer. „Die Größe
der Kunst erscheint erst am Ende des Lebens“, heißt es zum Schluss. Der
Satz stammt aus Guy Debords Gesellschaft des Spektakels (1973), aber zu diesem Zeitpunkt gehört er bereits
ganz William E. Jones, dem Sachwalter untergegangener Subkulturen und Filmarchivar
der Sexindustrie.
Joachim Schätz
v. o.
USA 2006
Video, Color,
59 Minuten,
Regie: William
E. Jones
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