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Voll
das Leben
Reality
bites
Nach
der schwarzen Rap-Kultur hat man nun in Hollywood die sogenannte Generation
X entdeckt. Generation X - damit sind jene gemeint, die, in den 70er Jahren
geboren und großgeworden, jetzt vom College ins Leben entlassen werden.
Gut ausgebildet, doch ohne allzuviel Hoffnung auf den leichten Aufstieg. Mediengeübt,
clever, und, so sagt man ihnen nach, mit einem Hang zu Nihilismus, heftiger
Skepsis und Konsum. Sicher ein verlockender Markt.
Was
tun? Eine 23jährige Drehbuchautorin suchen, einen nicht mehr ganz so unverbrauchten,
doch auch noch jungen Regisseur. Hausaufgabe: „Schreiben Sie bitte eine spritzige,
freche Komödie über das Lebensgefühl und die Liebe in den 90er
Jahren." Jenes Lebensgefühl verkörpern hier außer viel
aktueller Musik vier junge Leute - zwei Mädchen und zwei Jungen -, die
zusammen mit vielen leeren Bierflaschen in einem wohlig chaotischen Apartment
herumhängen, eine Menge blödeln und ansonsten versuchen, ihre Identität
zu finden. Nebenbei wird noch ein bißchen gejobbt: im Modeladen oder beim
Fernsehen, einer macht Musik. Nur Lelaina (Winona Ryder), jung, ambitioniert
und hübsch, weiß genau was sie will: Dokumentarfilmerin werden, weshalb
sie den Alltag ihrer Freunde auf Video bannt.
Eines
Tages taucht ein junger Mann auf, Michael, ein aufgeweckter Medienmensch, der
einen eher subalternen Posten bei einem Musik-TV-Sender bekleidet. Michael (dargestellt
von Regisseur Ben Stiller) ist smart und charmant, sieht gut aus, hat Geld,
Lebensstil und Energie. Und er scheint sich für Lelainas Person und ihre
Projekte zu interessieren. Nicht lange wird es dauern, da steht Lelaina im weißen
Designerkleidchen wie ein Fremdkörper in der heimeligen Wohnhöhle.
Und Troy, der Musiker und Mitbewohner, wird die beiden in einer linden Sommernacht
beim Sex im offenen Cabrio entdecken.
Welche
Konflikte setzt solch Aufeinandertreffen der Lebensweisen frei? Welche Hoffnungen?
Wünsche? Ängste? Was wird aus den bedeutenden Projekten im banalen
Alltag ihrer Realisierung? Und wie reagiert die Gruppe auf Lelainas potentiellen
„Verrat"? Fragen, die sich aufdrängen, und die, genau beobachtet und
präzis gezeigt, einige spannende Geschichten erzählen könnten.
VOLL
DAS LEBEN läßt sich auf soviel Realität leider nicht ein. Den
Traditionen der Filmindustrie muß Tribut gezahlt werden. Und so entwickelt
sich, was sich als lockeres dialogorientiertes Gruppenporträt anließ,
schnell zu einer Story nach dem Standardmodell: Girl loves boy und boy loves
girl - nur daß beide es noch nicht wissen. Der Lelaina Bestimmte nämlich
ist jener Musiker Troy (überzeugend Ethan Hawke), ein Hamlet der 90er Jahre,
ein Melancholiker, der seine Angst und Ratlosigkeit gegenüber den Zufällen
des Lebens hinter nihilistischen Sprüchen und coolen Gesten verbirgt und
seine Gefühle hinter Bergen von Eis. Einer, dem unterdrückte Agressivität
ins Gesicht geschrieben ist. Ein
brillanter Zyniker, der vom Leben nichts will als „a couple of smokes, a cup
of coffee and a little bit of conversation". Eine
interessante Figur - auch sonst lebt dieser Film von seinen Charakteren und
ihrer Darstellung, zerstört ihre mögliche Entfaltung aber durch ihre
Einbindung in eine Story, die kompliziertere Bewußtseinslagen flugs durch
Eifersucht ersetzt. Nur Winona Ryder sieht man die smarte Erfolgsfrau schon
zu sehr an, als daß sie noch sehr berühren könnte. Vielleicht
wäre Janeane Garfalo, die flippige Vickie, eine überzeugendere Lelaina
gewesen.
Auch
die formale Aufspaltung in die zum Teil sehr witzigen Homevideoszenen („Mummy,
mummy, why can't I love myself") und die glattgetünchten übrigen
Sequenzen weist auf das Grundproblem eines solchen Films hin, nämlich im
Rahmen einer Major-Company-Produktion eine ernsthafte Auseinandersetzung mit
den Realitäten des Lebens versuchen zu wollen.
Nein,
in diesem Film über die 90er Jahre ist dann doch alles beruhigend beim
Alten: am Ende steht das junge Paar glücklich vereint im Grün vor
dem eigenen Häuschen. Dahinter die Skyline von Houston.
Silvia
Hallensleben
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in: epd film
VOLL
DAS LEBEN
REALITY
BITES
USA
1993. R:
Ben Stiller. B:
Helen Childress. P: Danny De Vito, Michael Shamberg. K: Emmanuel Lubezki. Sch:
Lisa Schurgin. M: Karl Wallinger. M: Karyn Rachtman. T: Stephen Hal6ert. A:
Sharon Seymour, Jeff Knipp. Ko:
Eugenie Bafaloukos. Pg:
Jersey Films. V: UIP. L: 98 Min. St: 18.8.1994. D: Winona Ryder (Lelaina Pierceh
Ethan Hawke ITroy Dyerh Ben Stiller (Michael Grates), Janeane Garofalo (Vickie
Miner), Steve Zahn (Sammy Gray), Swoosie Kurtz ICharlane McGregorh Joe Don Baker
(Tom Pierce), John Mahoney (Grant Gubler).
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