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Voll
frontal
Ich
mag Filme wie Steven Soderberghs „Solaris”
(2002), ein Streifen, der so ganz anders wirkt als Tarkovskys Original
von 1972. Oder
„Sex, Lies, and Videotape” (1989), „Traffic”
(2000), „Oceans Eleven” (2001) und „Erin Brokovich” (2000). Soderbergh
überraschte mich mit jedem seiner Filme. Ebenso erging es mir mit „Full
Frontal”. Um es von vornherein zu sagen: Mit dieser eher einer Anfängerübung
von Filmstudenten gleichenden „Geschichte” über einen Tag Hollywood kann
ich so ganz und gar nichts anfangen. Soderbergh „verfolgt” seine Protagonisten,
die in einer Art Film im Film „spielen” – wenn man von „Spielen” hier sprechen
kann – mit der digitalen Handkamera, was dem Streifen offenbar eine Art Dokumentarcharakter
verleihen soll. Aus dieser Spannung – Film im Film versus Dokumentarfilm – könnte
man nun einiges an Spannung, Handlung, Dramatik, Komik herausholen, auch wenn
die Idee nicht gerade neu ist.
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I N H A L T •
Doch
was Soderbergh „erzählt”, verlässt die fundierte Basis einer Kunst,
die auch nur irgendetwas zu sagen hat. „Voll frontal” hat nichts zu sagen, obwohl
ständig geredet wird. Was „passiert”? Soderbergh stellt uns Personen vor.
Carl (David Hyde Pierce), Redakteur irgendeines Magazins, verliert seinen Job.
Seine Frau Lee (Catherine Keener) legt ihm morgens einen Brief auf den Tisch,
in dem sie ihm mitteilt, sie wolle ihn verlassen. Lee ist unzufrieden mit ihrem
Job, hat keine wirklichen Freunde, und selbst die Beziehung zu ihrer Schwester
Linda (Mary McCormack) gestaltet sich schwierig. Linda, beziehungsunfähig,
will nach Tucson, um dort einen Mann zu treffen, den sie über das Internet
kennen gelernt hat. Bei diesem Mann handelt es sich um Ed (Enrico Colantoni),
der zusammen mit Carl das Drehbuch zu dem Film „Rendevous” geschrieben hat und
der gerade in seinem kleinen Privattheater ein Stück mit dem Titel „The
Sound and the Fuhrer” probt. Darin unterhält sich Hitler (Nicky Katt) mit
Eva Braun und versucht ihr zu erklären, dass er für private Beziehungen
überhaupt keine Zeit habe.
In
einer weiteren Geschichte treffen wir auf die Reporterin Francesca (Julia Roberts),
die über den Schauspieler Nicholas (Blair Underwood) eine Story schreiben
will. Dabei handelt es sich um einen Film im Film, den der blasierte Regisseur
Gus (David Duchovny) dreht. Francesca wird von der mittelmäßigen
Schauspielerin Catherine, Nicholas von dem Starschauspieler Calvin gespielt.
Der Film heißt „Rendevous”.
Alle
Personen treffen sich dann auf einer Party zum 40sten Geburtstag von Gus.
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I N S Z E N I E R U N G •
Ich
muss gestehen, dass meine Interpretationsfähigkeit bei diesem Film versagt.
Zum einen erkenne ich keine wirkliche Geschichte, die Soderbergh erzählen
will – nicht einmal in Ansätzen. Dazu trägt bei, dass die Dialoge
– und geredet wird in „Full Frontal” ziemlich viel – weder in einem irgendwie
gearteten Zusammenhang einer Handlung stehen (denn „gehandelt” wird in diesem
Streifen eigentlich nicht) und sich zudem als Ausdruck von eklektizistischer
Selbstverliebtheit erweisen. Ähnliches gilt für die „aufgeregte” Handkamera,
die immer „drauf hält”, ihre Objekte „einfängt”, aber nichts wirklich
zeigt. Es ist nicht einmal sicher, dass die obige Wiedergabe der Handlung diese
richtig schildert, weil das Mittel „Film-im-Film” derart undurchsichtig, überstrapaziert
(David Fincher, Jerry Weintraub, Terence Stamp und Brad Pitt haben Cameo-Auftritte
à la Film-im-Film-im-Film ...!) und nicht auflösbar erscheint, dass
man nicht umhin kommt, sich irgendwann im Laufe der gut 100 Minuten am Kopfe
zu kratzen.
Roger
Ebert schreibt in seiner Besprechung des Films u.a.: „There is a scene [...]
where a character comes to a tragic end while masturbating. That could symbolize
the method and fate of this film.” „Voll
frontal” ergeht sich in einer kaum erklärbaren Selbstverliebtheit, die
nicht einmal dazu taugt – was man zunächst annehmen könnte –, eine
Satire auf den Hollywood-Betrieb abzugeben. Soderbergh wechselt, wenn es darauf
ankommt, seinen leblosen Figuren näher zu kommen, ihnen Leben zu geben,
flugs die Szenerie. Ein Hauch von Neurosen, Problemen, Konflikten, Streitereien
usw. breitet sich über der Handlung aus, doch die Handkamera, die Geschwätzigkeit
und der ständige Wechsel der Szenerie sorgen dafür, dass sich das
alles schnell wieder in Luft auflöst. Ein Luftballon von einem Film. Man
bläst hinein, und bläst und bläst – knall!
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F A Z I T •
Ein
Film zum Vergessen. Ausrutscher eines begabten Regisseurs. Was soll ich mehr
dazu sagen?
Wertung:
1 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Diese
Kritik ist zuerst erschienen -unter dem Namen POSDOLE - in:
Voll
frontal
(Full
Frontal)
USA
2002, 101 Minuten
Regie:
Steven Soderbergh
Drehbuch:
Coleman Hough
Musik:
Jacques Davidovici
Director
of Photography: Steven Soderbergh
Schnitt:
Sarah Flack
Darsteller:
David Duchovny (Bill / Gus), Nicky Katt (Hitler), Julia Roberts (Catherine /
Francesca), Blair Underwood (Nicholas / Calvin), Catherine Keener (Lee), Mary
McCormack (Linda), David Hyde Pierce (Carl), Brian Krow (Bellboy), Enrico Colantoni
(Arty / Ed), Erika Alexander (Lucy), Tracy Vilar (Heather)
Internet
Movie Database: http://german.imdb.com/title/tt0290212
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