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Von
Löwen und Lämmern
Seid engagiert
und tugendhaft
Robert Redfords Spielfilm "Von Löwen
und Lämmern" tut weltwichtiger, als er ist. Als Kommentar zur Lage
der US-amerikanischen Nation kann er sich nicht profilieren, eher als erbaulich-didaktische
Bundesligakonferenzschaltung.
Es ist 10 Uhr morgens in Washington, DC. Ein aufstrebender
republikanischer Senator hat eine eher liberale Journalistin zu einer Audienz
bestellt. Zur selben Zeit in Kalifornien. Ein im Sinne der US-amerikanischen
Polit-Topografie vermutlich ähnlich liberaler Hochschullehrer (Politologie)
hat einen begabten, aber untermotivierten Studenten zu einem frühen Sprechstundentermin
geladen. Und auch in Afghanistan - hier ist es noch Nacht - werden Befehle an
eine Hubschrauberpatrouille ausgegeben. Sie stellt die Verbindung zwischen den
beiden Gesprächen da: Ihr Einsatz findet nämlich im Rahmen einer neuen
Strategie statt, die der Senator gerade der Journalistin zu verklickern sucht,
und zwei der dort im Hubschrauber sitzenden Soldaten sind ehemalige Studenten
des besagten Professors. Ihr freiwilliges Engagement beim "Krieg gegen
den Terror" ist der Ausgangspunkt der Predigt, die der 68er dem unterengagierten
Kurzhosenträger hält.
Während die beiden Gespräche ihren Lauf
nehmen und mehr oder weniger offen enden, vollendet sich das Schicksal der beiden
Freiwilligen auf einem stark an die Bad Segeberger Karl-May-Festspiele erinnernden
Hochplateau unter Taliban-Beschuss und einer diesen in jeder Hinsicht übertönenden
New-Age-Sinfonik. An allen drei Schauplätzen ist die gleiche Menge Zeit
vergangen. Die Regie hat nach Art einer Bundesligakonferenzschaltung zwischen
den Schauplätzen hin- und hergewechselt.
Dass eine der drei aristotelischen Einheiten gewahrt
wird, ist nicht das Einzige, was "Von Löwen und Lämmern"
mit einem erbaulich-didaktischen Theaterstück, wie man es in den 50er-Jahren
gespielt hätte, gemeinsam hat - irgendwo zwischen "Die zwölf
Geschworenen", "An Inspector Calls" und "Biedermann und
die Brandstifter". Die Dialoge, an denen ja nun alles hängt, sind
mit zarter Laubsäge ausgefräste Sätze zum engagierten Aufsagen,
wobei wenigstens die beiden Nichtliberalen noch ein paar Chancen haben, auch
ihre Körpersprache einzusetzen. Tom Cruise als Senator hat einen gewissen
Schauwert, weil der Zuschauer geneigt ist, die einstudierten Körperkorrekturen,
das knirschende Grinsen und die ruckartigen Verbindlichkeitsanstrengungen abwechselnd
seiner Rolle, seiner Person und sinistren Scientology-Trainingslagern zuzuschreiben.
Und der schlaffe Jungmann aus Kalifornien kann wenigstens seinen unengagierten
Körper etwas ausschlenkern lassen. Robert Redford als Prof und Meryl Streep
als Journalistin bleiben hingegen ganz hochgespannte Aufsagemaschinen, unabhängig
von Streeps passiver und Redfords eher aktiver Variante.
Es ist ein bisschen rätselhaft, warum mit ein
paar Wochen Vorlauf erst der bekannte Sonderfilmkritiker Frank Schirrmacher
in Frankfurt und dann noch eine Herrenrunde mit Ex-Außenminister Fischer,
Historiker Heinrich August Winkler und dem Regisseur Redford hochselbst an zentralem
Ort in Berlin diesem hölzernen Rhetorikseminar so viel künstlerisch
unverdiente Aufmerksamkeit zollen. Nun, es geht natürlich nicht um Kunst.
Schirrmacher brachte den Streifen auf das Paradox, zugleich "einen Moment
vollständiger Offenheit" herzustellen und doch ein "Antikriegsfilm"
zu sein, der ohne Gut und Böse auskomme. Auch Fischer war bewegt. In Wirklichkeit
weiß natürlich jeder die ganze Zeit, wer in diesem Film die Guten
sind, nur ist die Begründung für europäische Verhältnisse
ungewöhnlich. Vielleicht herrscht hierzulande aber gerade an dieser Mischung
aus moralischem Absolutismus und zivilisationsverzweifelter Panikrhetorik ein
gewisser Nachholbedarf.
Sein zentrales Thema findet Redford weniger in der
Frage, was die amerikanische Außenpolitik jetzt tun sollte. Das bleibt
unentscheidbar im Hintergrund. Die eigentliche Krisendiagnose betrifft weniger
die empirischen Vereinigten Staaten von Amerika als den ethischen Kern des gleichnamigen
utopischen Projekts. "Rom steht in Flammen", darüber herrscht
hier Einigkeit. Gesucht wird nach der verloren gegangenen inneren Einstellung.
Der Senator ist engagiert, aber nur für sich selbst. Er steht ganz unten
auf der Engagement-Leiter. Der begabte Schlaffi ist nicht engagiert, aber wenigstens
auch kein Egoist: Er ist Präsident einer studentischen Verbindung (immerhin!).
Der Professor ist engagiert, aber mit seiner letzten Predigt hat er dazu beigetragen,
dass sich zwei seiner besten Leute in Afghanistan verheizen lassen. Die Journalistin
ist engagiert: Sie glaubt dem Senator seine Propaganda nicht, kann aber nicht
verhindern, dass der Sender sie trotzdem sendet.
Bleiben die beiden Soldaten. Sie geben nicht nur
mehr als die anderen, ihr Leben nämlich. Verwundet inmitten des Pappmachégebirges
geben sie ein leuchtendes Beispiel für Mannesmut und Freundesliebe, schlagen
Möglichkeiten der individuellen Rettung aus, um einander beistehen zu können,
und ziehen den Tod der Gefangenschaft vor. Diese Männer sind die Löwen
aus dem Titel des Films, wie der Prof ihn erklärt. Leider seien ihre Führer
nur Lämmer. Ungediente zumal! Der Senator hat keine Fronterfahrung, erfahren
wir, sondern habe sich nur in Geheimdienstkunde ausgezeichnet. Von dem Rest
der Bande will der Film gar nicht erst reden; wir kennen sie ja. Ihre Gesichter
sind auf den Fotos hinterm Schreibtisch zu erkennen, die den Senator im Kollegenkreis
des Kabinetts Bush zeigen.
Filme, die ihre Betrachter motivieren, nach ihrer
Botschaft zu suchen, haben ohnehin ein Problem. Dieser Film ist so einer. Er
möchte die Welt mit ihrem individualistischen Lärm, ihren wirren Lifestyles,
die Demokratie im Zeitalter maximaler Unterwerfung unter die Privatwirtschaft
und die ganze USA mit ihrem durchgeknallten Mix aus Glauben, Ideologie, Lethargie
und Skepsis herauskürzen, um auf eine klare Formel zu kommen, mit der man
anschreiben kann, was schief läuft. Die Bilder, die er sich von Dialogen
und Unterrichtssituationen holt, täuschen darüber hinweg, dass ihn
gerade die Offenheit des Gesprächs wenig interessiert: Das ist eher eine
bewährte therapeutische Maßnahme, um auf den einen kranken Kern zu
kommen. Tun wir ihm also den Gefallen, den er von uns Rezipienten erwartet,
und präparieren seine Botschaft heraus. Sie liegt ziemlich offen zutage.
Die Offenheit der politischen Frage ist nicht diese
Botschaft, sondern die, dass man inmitten einer komplexen Wirklichkeit von verrannten
Wahnsinnsfeldzügen und vergeblichen politischen Engagiertheiten in Wirklichkeit
sehr genau zwischen Gut und Böse unterscheiden kann. Die Guten sind die
couragierten Altruisten, die Bösen die bequemen Egoisten. Amerika aber
sind zweierlei Dinge: ein real existierender Staat, der im Schlamassel steckt
und da auch bleiben wird, und eine spirituell-utopische Gemeinschaft der Guten.
Die aber lässt sich reparieren.
Besonders brisant an dieser schlichten Ablösung
der Tugenden von den Absichten und Ideen des je Tugendhaften ist, wie "68"
hier zum Modell für ein soziales oder bürgerschaftliches Engagement
wird, das auch die freiwillige Meldung zum Auslandseinsatz einschließt.
Vielleicht ist das auch der Grund, warum Joschka Fischer dieser Film bei der
Diskussion mit Regisseur Redford so ausnehmend gut gefallen hat. Schließlich
ist auch er dafür bekannt, einen Kriegseinsatz mit antifaschistischem Engagement
begründet zu haben. Nun lässt sich 68 zwar in der Tat nicht auf Pazifismus
um jeden Preis reduzieren, und der Afghanistan-Einsatz ist auch nicht dasselbe
wie der Russland-Feldzug der Nazis, wie Horst-Eberhard Richter neulich in dieser
Zeitung suggerierte. Aber die totale Flexibilisierung der Tugend "Einsatz"
und "Courage" für alles und jeden, solange es nur altruistisch
ist, schustert ungewollt nicht zuletzt dem ganz normalen Selbstmordattentäter
die besten Argumente zu. Da zöge man, würde man so tugendabsolutistisch
diskutieren, doch schlaffe, skeptische Kalifornier vor.
Die Redford-Figur kennt zwar das Dilemma ihrer Position,
mit der der Film so eindeutig sympathisiert: Er hätte nicht zu dem Freiwilligeneinsatz
geraten. Aber ihr Problem ist, dass sie, solange sie keine anderen Kriterien
hinzuzieht, auch keine Gegenargumente weiß. Dies trägt der Film nicht
aus, er lässt es allenfalls als persönliche Tragödie des Profs
ahnen, der darauf besteht, am wichtigsten sei, dass man sagen könne, man
habe etwas versucht. Die von ihren feigen Führern missbrauchten tapferen
Frontsoldaten bleiben als mythisches Bild bestehen, das man ja nicht zum ersten
Mal in der Dämmerung eines verloren gehenden Krieges zu sehen bekommt.
Was hingegen völlig fehlt, ist jede politische Qualifizierung des je tugendhaften
Aktes. Welches Demokratiedefizit soll er kompensieren, welches politische Kalkül
trägt ihn, nicht zuletzt: In welche ökonomische Formation ist er eingetragen?
Denn schließlich sind hitzige Opferbereitschaft und jugendliche Selbstverausgabung
begehrte Rohstoffe nicht nur buchstäblich Menschen verheizender Kriege
oder unauthentisch gewordener Politik: Sie sind auch die Hefe, aus der man erfolgreiche,
neoliberale Unternehmen zusammenbraut.
Diedrich Diederichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der: taz
Von
Löwen und Lämmern
USA
2007 - Originaltitel: Lions for Lambs - Regie: Robert Redford - Darsteller:
Robert Redford, Meryl Streep, Tom Cruise, Michael Peña, Peter Berg, Tracy
Dali, Andrew Garfield, Derek Luke, Louise Linton - Prädikat: wertvoll -
FSK: ab 12 - Länge: 92 min. - Start: 8.11.2007
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