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Von
Rosa von Praunheim
Im
Off singt eine Stimme, die das Französische nicht trifft und hörbar
Rosa von Praunheims eigene ist, ein Liebeslied in individuell-ausländischer
Sprache: »Selibran selbjischon do preboir / residon briarschi re far to
ki tue lepoir / e ce la bue oicekor koimatsche leberdon gricem bremte toi a
aaah trüü.« Dann
hört man den Tonmeister zählen: 5, 6, 7, während die Kamera auf
die schwarze Plastikjacke des schönen jungen Mannes (Rosa von Praunheim)
gleitet, bis sie die Aufschrift findet: Von Rosa von Praunheim. - Derweil singt
eine Frauenstimme (Carla Aulaulu): »Du bist, du bist mein Luleby, scheri
tu ba bi du leischei schei schei schei-Luleby«, und man sieht, wie ein
blutjunges Mädchen (Carla Aulaulu), vor Erschöpfung das eine ums andere
Mal zusammenbrechend, mit einem Einkaufsnetz die Treppen hochkeucht. Akustisch
wird eine erotische Beziehung hergestellt; die Männerstimme (sehr männlich):
»Liebe und reife Begierde unterwerfen mich dir ganz und gar.«
Die Kamera zeigt dazu in Großaufnahme das Netz, das zwischen den Schenkeln
des Dienstmädchens pendelt; aus den Maschen schlüpfen, drängen
und pressen geile steife Mohrrüben, die blanken Spitzen auf das weiße
Beinfleisch zielend, das stumpfe Ende, mit dem Haarkranz drumherum, im Netz
verbleibend. - Das Dienstmädchen rezitiert (off, asynchron): »Ich
leide bis zum Überdruß. Mein Besen in meinem Herzen ist vergoldet,
und ich bin voller Bluti-Bluti in meinem Herzen, denn der Schmutzi in meinem
Herzen ist feucht und voller Asseln.« Verzweifelt bemüht sie sich, den Küchenboden entlang
sich windend, der Herrschaft Tee zu bereiten. Mutter und Töchter (Familie
Klostermann), im Abendkleid, sitzen steif und verklemmt zu Tisch, die Mädchen
haben sich Plastikeierbecher auf den Kopf geschnallt und Papier in die Nase
gestopft; eine Tochter sticht das Dienstmädchen in den Körper; dazu
ist eine komplizierte Stellung erforderlich. Halb peinlich berührt, halb
amüsiert, verfolgen sie des Dienstmädchens exzessiven Tanz. Carla,
zusammenbrechend, rafft sich wieder und wieder hoch. Ein Zucken, freilich, ist
das letzte.
Rosa von Praunheim hat die erste
Einstellung seines ersten Films zum Programm einer radikalen Filmästhetik
gemacht. Der Film ist kein Werk, das sich abschließt. Die Filmtechnik
meldet sich zur Stelle (der Tonmeister zählt). Der Ton läuft neben
dem Bild her, selbständig (asynchron). Es bleibt offen, ob die Geräusche
(die Musik) den Film vorantreiben oder die Bilder. Was man hört/sieht hat
keinen rechten Gegenstand denn sich selbst. Die Rituale des bürgerlichen
Alltags von 1967 sind von Rosa von Praunheim in lustvolle Exzesse getrieben
und offensichtlich zur eigenen Sache gemacht.
Vergebens bemühte man sich
1968, dem Film eine künstlerische oder politische Aussage zu entnehmen.
Die Kameraarbeit (darauf zu achten, war man gewohnt) hatte jedoch kaum Eigenständiges,
auch der Schnitt machte nicht auf sich aufmerksam. Die Verurteilung bürgerlichen
Klassendünkels schien offenbar nicht den Inhalt des Films auszumachen.
Bemerkt aber wurden die sehr ambivalenten Gefühle des Rosa von Praunheim,
der bürgerliche Szenen mit Lustgewinn nachspielte, parodierte, travestierte
und ganz offensichtlich gleichzeitig ins Gegenteil verkehrte: ins Antibürgerliche.
1968, als VON ROSA VON PRAUNHEIM aufgeführt wurde, suchte die Studentenbewegung
die Konfrontation mit dem System der bürgerlichen Gesellschaft. Rosa von
Praunheim aber war mit seinem Erstlingsfilm diesen (zunächst verbalen)
Schlachten weit voraus, benutzte Systemeinrichtungen (die trivialen Riten des
bürgerlichen Alltags) froh und zufrieden für sich und fand darin Nischen
für die eigene Kultur. Er nahm mit dieser ästhetischen Strategie vorweg,
was erst später seinen theoretischen Platz bekam (die Lehre von den zwei
Kulturen).
Der Filmtitel trifft es. Nur in
seiner Person konnte der Reichtum, die Vielfalt und die Ambivalenz der Gefühle
erhalten bleiben - in der Gesellschaft, in der er lebt. Grade dadurch, daß
VON ROSA VON PRAUNHEIM auf zeitgenössische Strömungen keine Rücksicht
nahm und privateste Selbstdarstellung schien, war der Film - mit anderthalb
Jahrzehnten Abstand wird es deutlich - das genaue Barometer sich damals entwickelnder
politischer und kultureller Tendenzen, nämlich die Einnistung der einen
Kultur in die andere.
Das Fernsehen zeigte den Film
gleich nach der Erstaufführung (bei der Hamburger Filmschau) im dritten
Programm des WDR. Es bewies damit mehr Gespür für das Neue, damals
nicht Faßbare des Films als die deutsche Presse. Für sie war dies ein
Film »für den man kein Verständnis aufbringen kann« (Rhein-Neckar-Zeitung),
der »indiskutabel« ist (Frankfurter Allgemeine Zeitung), eine »Zumutung«
(Mannheimer Morgen). Ihm wurden »tierische Urlaute« (Mannheimer
Morgen), »Gebrüll« (Spandauer Volksblatt) und »auf Voyeursinstinkte
abzielendes Gefuchtel« (FAZ) vorgeworfen. Die »sexuelle Notstandsübung
pubertärer Mädchen« (Mannheimer Morgen) war von »abstoßender
Häßlichkeit« (Spandauer Volksblatt). Die westberliner Zeitung
rügte das »fehlende Konzept« und teilte damit die Einschätzung
des ostberliner Neuen Deutschland, das Rosa von Praunheim »von der herrschenden
Klasse zu künstlerischer Impotenz verdammt« sah. Allein die damals
noch (rechts)liberale Welt rühmte »äußerste Esoterik,
ergreifende Enthüllung, schöne Obszönität«.
Rosa von Praunheim hatte mit seinem
Paukenschlag die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregt. Die Empörung
war groß, weil er die Ordnung zwischen links und rechts störte und
die Zuständigkeiten zwischen Kunst, Kultur und Politik nicht einhielt.
Heute würde man lobend sagen, daß VON ROSA VON PRAUNHEIM sich der
Erfassung entzog. Auch damit war er, 1968, seiner Zeit voraus. Der Film wurde
Motor der Bewegung (ein Begriff, der sich erst später einstellte) des Anderen
Kinos. Jahre nach Carla Aulaulus »Bluti-Bluti in meinem Herzen«
stimmte sich die Experimentalfilmerin Dore O. ein: »BRÜTI IN EUREN
HERZEN / OOH WIR ALTE BRUT / BLÜTIS FALLEN / GÜTI GÜTI BLUD«
(in der hamburger Zeitschrift Henry).
Die Irritation der Öffentlichkeit
und die Zustimmung der Privaten leiteten sich gleichermaßen aus der Adresse
des Films her. Denn Rosa von Praunheim nahm sich keinen pädagogisch, kulturell,
künstlerisch oder politisch zu bearbeitenden (fremden) Gegenstand vor,
sondern beschrieb, feierte, schmähte den eigenen Gegenstand, nämlich
sich selbst im haßgeliebten bürgerlichen Getto. Die Ambivalenzen
waren realistisch. Rosa von Praunheim entzog sich mit seinem Film dem terroristischen
Kleinbürgerritual, aber er eignete sich diese Welt gleichzeitig an, zu
sehr ist die Beschreibung von Lust erfüllt. Die strenge Welt der Frauen
(Klostermann) und die erotisch besetzte Ausbeutung der Dienstmagd (Carla Aulaulu)
bleiben in VON ROSA VON PRAUNHEIM nicht nur intakt, sie feiern fröhliche
Urständ - freilich mit umgekehrtem Vorzeichen. Das Herrschaftsritual ist
in Praunheims Film ein antibürgerliches, denn es war - 1967/68 - nur noch
Hülse, die von Praunheim in seinem Film instandbesetzt wurde. Das Ritual
selbst lebt im kleinbürgerlich-antibürgerlichen Filmmacher, der sich
als Prähippie in der Bürgerwelt bewegt, aufs schönste weiter.
Im wütenden Aufschrei der
offiziellen Meinung drückte sich damals ein Gefühl aus: das Gefühl
der Angst, einen angestammten und bis dahin sicher geglaubten Platz im eigenen
Machtbereich zu verlieren - durch einen, der sich sorglos und provokativ über
die traditionellen Grenzen hinweg von einem ins andere Lager bewegte, hier und
dort gleichermaßen zu Hause war. Praunheim verstörte ebensosehr das
linke Lager, das sich 1968 zu formieren begann. VON ROSA VON PRAUNHEIM machte
auch dort Angst, weil er sich, im Jahr des akademisch/begrifflichen Zugriffs,
der argumentativen Ebene entzog. Das war ein fundamentaler Verstoß gegen
das Selbstverständnis der Studentenbewegung, Ziele und Methoden zu entwickeln
und fürs erste Freund und Feind zu sortieren.
Die Gestalten des VON ROSA VON
PRAUNHElM-Films sind Freund und Feind zugleich. Das sollte auch für die
(Praunheims [die filmzentralen-Redaktion]) folgenden Filme gelten. - Fürs
Jahr 1968 war der Film ein Skandal - und eine Befreiung für die, die damals
schon die alten und neuen Diskurse in eine Sackgasse laufen sahen. Daher machte
der Film, der den einen Angst machte, den anderen Mut, nämlich denen, die
in ihm ein Vor-Bild für eine neue subversive Bewegung erkannten: statt
verbaler (und tatsächlicher) Konfrontation bot die geschickte Unterwanderung
und schnell entschlossene Benutzung bürgerlicher Einrichtungen (die, sieht
man nur richtig hin, häufig genug leerstehen) Möglichkeiten des Weiterlebens
und Überlebens.
Die Instandbesetzungsästhetik
der Rosa-von-PraunheimFilme eilte ihrer Zeit beträchtlich voraus; die französische
Neue Philosophie (Foucault, Baudrillard, Deleuze) wurde erst viel später
populär. Praunheim war auf sich allein gestellt; er konnte nichts anderes
tun, als sich als Privatmann mit VON ROSA VON PRAUNHEIM öffentlich zu machen.
Grade dadurch war er, unabgesichert, unakademisch, uncineastisch, offen genug,
mit Unbefangenheit und Dreistigkeit, ja Sorglosigkeit die herrschenden Strukturen
zu mißachten, zu ignorieren und von einem dogmatischen (ästhetischen,
politischen) Fettnapf in den anderen zu treten.
Es wird so sein, daß Praunheim
damals, 1967, Reflektionen dieser Art mitnichten angestellt hat. Das ist geradezu
die Voraussetzung seines Films, der, das große Wort sei gewagt, Epoche
machen sollte. Mit Naivität und Elan, dilettantisch, machte er den Film.
Erst fünfzehn Jahre später begann man im genialen Dilettanten das
Vorbild einer neuen Kultur zu sehen (Jörg Richard erfand 1983 das »kulturpädagogische
Reimwort«: »Das kulturelle Unterpfand ist der geniale Dilettant«'),
und damit war jeder gemeint, der Kultur und Subkultur, Kultur und Leben, Privatperson
und Öffentlichkeit auf einen Nenner zu bringen weiß: nämlich
auf sich selbst, als Person. Praunheim wird mit VON ROSA VON PRAUNHEIM der deutsche
Ahnherr dieser erst heute akademisch erfaßten kulturphilosophischen Richtung
sein.
Die Interpretation aus der Perspektive
des Jahres 1984, die hier versucht wird, gibt freilich den falschen Eindruck
vom Film, welcher eben nicht interpretiert, sondern gelebt (miterlebt) werden
will; die Einheit von Leben und Film geht nicht übers Wort. Besser wäre
es - hier, im Buch -, über das Privatleben Rosa von Praunheims zu plaudern,
das in seinem Erstlingsfilm manifest geworden ist. Es bietet sich Klatsch &
Tratsch aus der Produktionsgeschichte des Films an, welche damit begann, daß
er in der Malklasse der offenbacher Kunsthochschule einen korpulenten Mann mit
roten Haaren kennenlernte, Donatus Bölkow, genannt Rosenhütchen. In
dessen frankfurter Wohnung wurde VON ROSA VON PRAUNHEIM gedreht. Kameramann
war der junge Dieter Krammig vom Hessischen Fernsehen, der grade dabei war,
versuchsweise aus dem Routinebetrieb auszubrechen. Praunheim fand ihn »sexuell
äußerst anziehend, und darüber hinaus faszinierte mich seine
bürgerliche Ausstrahlung«. Das billig erstandene Schwarzweißmaterial
wurde unter der Hand beim Fernsehen entwickelt.
Der Film war in wenigen Tagen
abgedreht. »Story war das wenigste.« Die kleine Carla Aulaulu
- er heiratete sie später, um in Berlin ein Ehestandsdarlehen zu erlangen
- diente den Zweimeter-Frauen der Familie Klostermann, welche sich eigens für
die Filmaufnahmen Abendkleider geschneidert hatten. »Carla bekam von den
Dreharbeiten auf den kalten Steinfliesen eine Eierstockentzündung, außerdem
war sie im Zweifel darüber, ob sie durch den Geschlechtsverkehr mit Farbigen
sich nicht einen Tripper zugezogen hatte, und verwechselte zu allem Unglück
bei einem Schwangerschaftstest die Bedeutung von positiv und negativ. Sie saß
zwischen den Szenen nackt am Schminktisch mit Schaum vor dem Mund von stimulierenden
Pillen und rauchte aufgeregt eine Haschischzigarette.« Die Produktionskosten
in Höhe von tausend Mark brachte Praunheim nur mit Ach und Krach auf. Als
ihm das Hessische Fernsehen zu seiner größten Überraschung 4000
Mark für den Ankauf des Films zahlte, behielt er das Geld als Kapital für
die folgenden Filmproduktionen für sich und ließ sich auf einen Rechtsstreit
mit den Klostermann-Frauen, dem Kameramann und Rosenhütchen ein.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: Rosa von Praunheim; Band 30 der Reihe
Film, herausgegeben
in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek von Peter W. Jansen und
Wolfram Schütte im Carl Hanser Verlag, München/Wien 1984, Zweitveröffentlichung
in der filmzentrale mit freundlicher Genehmigung des Carl Hanser Verlags
VON
ROSA VON PRAUNHEIM
BRD
1967
Buch,
Ton, Musik, Produktion, Regie: Rosa von Praunheim. - Kamera: Dieter Krammig.
- Schnitt: Fee Gürsching. - Darsteller: Carla Aulaulu, Helga Klostermann,
Maibritt, Astrid und Nicole Klostermann. - Drehort: Wohnung von Donatus Bölkow,
Frankfurt/M. - Produktionskosten: ca. 1000 DM. - Format:16 mm, sw. - Originallänge:
12 min. - Uraufführung: 18.2.1968, Hamburger Filmschau. - Festival: 8.10.
1968, Internationale Filmwoche Mannheim. – TV-Erstausstrahlung: 12.10. 1968
(WDRIII). - Verleih: Freunde der Deutschen Kinemathek (16 mm).
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