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V wie Vendetta
Vergeblicher
Versuch
Das hat der Mann nicht verdient.
Alan Moore ist für die angloamerikanischen Comickultur so etwas wie Shakespeare für die europäische
Dramatik – das Medium unterscheidet zwischen der Zeit vor ihm und der Zeit nach
ihm. Nun wäre man zurecht angeekelt von einem Filmstudio, das den "Hamlet"
verfilmt, dabei aber aus Helsingör einen Kaiserpalast macht, eine glückliche
Liebesgeschichte mit Ophelia drüberpflastert und dieses unschöne Ende
ein bisschen "korrigiert". Warum also darf man in Moore-Verfilmungen
die Hauptperson ersetzen und ein Happy End dranklatschen ("From Hell")? Warum darf man
britische Distinguiertheit gegen humorloses US-Spektakel eintauschen ("League
of Extraordinary Gentlemen")? Von den wahrlich unterirdischen Versuchen,
das Monster-Epos "Swamp Thing" wahlweise mit Hilfe von Wes Craven,
Heather Locklear oder obskuren Footballspielern auf die Leinwand zu bringen,
wollen wir hier gar nicht anfangen. In der Diskussion um Literaturadaptionen
ist oft von der notwendigen Freiheit des Mediums Film die Rede, aber angesichts
mancher hier erwähnten Filme kann man sich des Gedankens nicht erwehren,
dass hier statt kreativer Entscheidungskraft eher schlichte Hybris und fatale
Dummheit am Werk war.
Im Vorspann von "V for Vendetta"
ist zu lesen, der Film basiere auf "dem Comic von David Lloyd" – es
ist bereits die vierte Verfilmung, der Moore seine Nennung verbieten musste.
Auf den ersten Blick immerhin besteht dazu weniger Grund als je zuvor: Dank
der Überlänge konnten erstaunlich viele dramaturgische Punkte des
Comics übernommen werden und von vielen der befürchteten Katastrophen
wird der Zuschauer verschont. So bleibt der maskierte Held auch im Film unenthüllt
und auch die kontroverse Prämisse eines Anarchie-Terroristen im faschistischen
England ist intakt geblieben. Zwar ergibt sich durch die notwendigen Vereinfachungen
eine Reihe von haarsträubenden Plotlöchern, aber man ist ja schon
dankbar, dass wenigstens die Grundidee übernommen wurde. Drüber hinaus
aber wird es schwierig und immer schwieriger.
Schon durch die "Matrix"-Sequels wurden die Gebrüder
Wachowski ja nicht gerade als Meister des Dialogdrehbuchs bloßgestellt,
und hier übertreffen sie noch die lächerlichsten Neo-und-Trinity-Wortwechsel
an Unglaubwürdigkeit. Halbgare verbale Spielereien, wie der einführende
Monolog des Hauptcharakters (in dem er so viele Worte mit V wie nur irgend möglich
benutzt) wirken spätestens in der deutschen Synchronisation völlig
neben der Spur, während Debut-Regisseur McTeigue seine Erfahrung bei den
Sequels zu "Star Wars" und "Matrix" ausspielt und die filmische Sprache
ganz aufs Spektakel beschränkt. Als Folge versuchen die Figuren ständig,
sich selbst zu erklären, nichts wird von der Kamera gezeigt, alles wird
von den Charakteren behauptet. Aus der enigmatischen, eisern determinierten
Naturgewalt des Comics wird so ein schwafelnder Demagoge, der gegen andere Demagogen
kämpft und sich dabei Fehler leistet, Hilfe braucht und – natürlich
– sich verliebt. Dazu missversteht die Ausstattungsabteilung unter Owen Paterson
den unterdrückten Pöbel als schickes Wohlstandsbürgertum, während
die Musik von Dario Marianelli jede noch so klischeehafte Emotion aufbläst
und plattwalzt. Zusammen mit einem (wie sollte es anders sein) drangeklatschten
neuen Ende, in dem die Revolution dann natürlich doch ganz sauber und gewaltfrei
abläuft und eine eigentliche Erbfolge doch noch schnell zur Liebesgeschichte
umgedeutet wird, ergibt sich ein Film, der anfangs ungelenk und übermäßig
hektisch geschnitten daherkommt, zur Mitte hin im orchestralen Schmacht- und
Explosionsspektakel versinkt und sich letztlich sogar noch zum richtigen Ärgernis
entwickelt.
Unter den Alan-Moore-Verfilmungen
ist "V for Vendetta" zwar immer noch die brauchbarste, aber wer seinen
"Hamlet" ohne Happy End bevorzugt, der ist hier fehl am Platze. Der
tiefste Schlag steht uns allen aber erst noch bevor: "Watchmen", Moores
letzter und größter Meilenstein des Genres, ist nach einem halben
Dutzend gescheiterter Anläufe jetzt ebenfalls von Warner reaktiviert worden.
Dieser hochkomplexe Stoff über die Konsequenzen der Gesetzlosigkeit und
des Übermenschentums findet damit sein drittes Studio, die dritte Drehbuchadaption
und ungefähr den fünften Regisseur – und wer noch daran
zweifelt, dass man auch aus diesem bitterbösen Szenario, das in einem wahrhaft
hamletesken, millionenfachen Massensterben kulminiert, eine schmachtende Liebesgeschichte
mit ordentlich Krawumm und Happy End machen kann, der hat nichts begriffen.
Daniel Bickermann
Diese Kritik ist zuerst erschienen im: Schnitt
V wie Vendetta
V for Vendetta. GB/D 2006. R: James McTeigue. B:
Andy Wachowski, Larry Wachowski. K: Adrian Biddle. S: Martin Walsh. M: Dario
Marianelli. P: Warner Bros, Silver Pictures, Studio Babelsberg u.a. D: Natalie
Portman, Hugo Weaving, Stephen Rea, John Hurt u.a. 132 Min. Warner ab 16.3.06
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